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Syria Untold
Kinder im Krieg: Fotos aus Ost-Aleppo

Wie die Kinder hinter der Belagerung lebten
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Ein kleines Mädchen steht auf einem zerstörten Auto im al-Mashhad Viertel in Aleppo. Aufgenommen am 27. September 2015. Foto von Ameer Alhalbi/NurPhoto.

In meiner Jugend und bis ich das Erwachsenenalter erreichte, habe ich mich durch Fotografie ausgedrückt. Die Kinder Syriens drückten ihre Gefühle auch aus, mit ihrer Kunst zu spielen und zu überleben.

Im Jahr 2012 fürchtete sich Aleppo. Kämpfe zwischen Regime- und Oppositionskräften hatten begonnen. Die Schlacht war eine ungleiche, mit dem Regime und seinem Militärarsenal auf der einen Seite und den leichten Waffen der Oppositionskämpfer auf der anderen. Scharmützel waren alltäglich und Soldaten, die in den Straßen der Stadt patrouillierten. 

Ich nahm das folgende Foto auf, als schon vier Jahre lang gekämpft wurde, während des Staatsfeiertages Eid, im Jahr 2016. Nur wenige Monate später würden Regime-Kräfte das abgebildete Viertel einnehmen, nach einer tödlichen Belagerung und Bombenkampagne, die in der massenhaften Vertreibung der Einwohner münden sollten. Eigentlich ist Eid eine Zeit, in der die Menschen ihren liebsten Tätigkeiten frönen und die alltäglichen Aufgaben herunterfahren. Vielleicht suchten die Kinder es sich nicht aus, dieses Spiel zu spielen, genauso wie sie es sich nicht aussuchten, hier zu leben. Hier gab es nur wenige Wahlmöglichkeiten; die schreckliche Situation wurde jedem aufgezwungen, mit nur wenigen Alternativen und noch weniger für die Kinder von Ost-Aleppo.

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Ich war auch ein Kind, 14 Jahre alt, als die Revolution 2011 begann. Ein Jahr später wurde mir zweimal in die Hand geschossen. Ich glaube, dass sich Menschen wandeln, die in Krisenregionen leben, besonders Kinder. Der Krieg wirkt auf ihre Psyche ein und verursacht tiefgreifende Veränderungen. Ich war auch eines dieser Kinder. 

Im fünften Jahr des Krieges war es egal, wo du in Aleppo hinblicktest, du konntest seine Folgen sehen: Gebäude, Schulen und Straßen waren vollkommen zerstört, ausgebrannte Autos und ausgebombte Geschäfte prägten die Landschaft.

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Dieses kleine Mädchen kannte sich aus in ihrer zerstörten Umgebung. Und sie kannte dieses rote Auto. Sie spielte damit, wie jedes andere Kind auf einer Schaukel spielen würde, doch dieses Auto machte sie sich zu eigen. Es war ihr tägliches Spiel.

Leben hat eine andere Bedeutung für Kinder, die umgeben von Krieg aufwachsen. Anstatt in eine ihrer Schulen zu gehen, die das Ziel von Bombardements des Regimes waren, verbrachten Kinder ihre Zeit damit, im Schutt der Gebäude zu spielen und in ausgebombten Autos in zerstörten Straßen.

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Nour spielt Fußball in Aleppo. Aufgenommen am 29. Dezember 2015.

Nour, ein 18-jähriger Rettungssanitäter, verlor sein Bein ein Jahr früher, im Jahr 2015, nachdem die Regierung Fassbomben in der Nähe seines Zuhauses in Aleppos Bustan al-Qasr Viertel abgeworfen hatte. Trotz seines jungen Alters verstand er, dass das Wort „Behinderung“ ein Zustand der Psyche und nicht des Körpers ist. Als wir uns begegneten, erzählte er mir: „Was mich traurig macht, ist, dass ich Menschen nicht mehr mit derselben Energie und Kraft helfen kann wie vorher.“

Nour und ich waren fast gleich alt und statt uns über unsere ersten Jahre an der Uni zu unterhalten, sprachen wir über die Beeinträchtigungen durch den Krieg.

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Loai Mashhadi, heute 25 Jahre alt, war Soldat in der syrischen Armee in den Jahren 2012 und 2013. Er quittierte den Dienst und kehrte zurück in seine Heimatstadt Aleppo, wo die Freie Syrische Armee sein Viertel kontrollierte. Er erlebte tägliche Bombardements.

Ein paar Monate später entschied er sich, dem Syrischen Zivilschutz beizutreten. Während der Zeit seiner Arbeit in Aleppo wurde er zweimal verwundet, da die Bombardements der Regierung in vielen Fällen auf Rettungshelfer wie ihn abzielten. Loai lebt jetzt in der Türkei. Ich habe einmal mit ihm über Skype gesprochen und es bestürzte mich, als er anfing vor mir zu weinen, da ich sonst immer zu ihm ging, wenn ich niedergeschlagen war.

In meiner Jugend und bis ich das Erwachsenenalter erreichte, habe ich mich durch Fotografie ausgedrückt. Die Kinder Syriens drückten ihre Gefühle auch aus, mit ihrer Kunst zu spielen und zu überleben.

Überleben war ein tägliches Abenteuer und die Bedeutung von Leben ist so groß. Indem wir das Leben liebten und die Momente unserer Jugend unsterblich machten, bewiesen wir, dass wir da waren. Wir wollen leben und wir wollen lachen und es schien so sinnlos, nur herumzusitzen und auf den Tod zu warten. 

Über den Autor: Ameer Alhalbi

Ameer Alhalbi wurde 1996 in Aleppo geboren. Er lebt und arbeitet heute als Fotograf in Paris und machte 2019 seinen Abschluss an der Speos Photography School. Er bekam zahlreiche Auszeichnungen für seine Arbeit.