EN

Niederlande
Niederländische Regierung fällt, Rutte tritt zurück

Der scheidende Premierminister Mark Rutte

Der scheidende Premierminister Mark Rutte.

© picture alliance / ANP | Robin van Lonkhuijsen

Die niederländische politische Landschaft befindet sich im Umbruch, nachdem die Regierung aufgrund von Meinungsverschiedenheiten über Maßnahmen zur Begrenzung von Einwanderung zurückgetreten ist. Nach monatelangen Verhandlungen gab die Vier-Parteien-Koalition aus Liberalen (VVD), Sozialliberalen (D66), Christdemokraten (CDA) und der kleinen Partei Christliche Union (CU) am Freitagabend das Ende der Regierung bekannt. Dies bedeutet Neuwahlen; bis dahin wird die Regierung geschäftsführend weiterarbeiten. Der viermalige Ministerpräsident Mark Rutte verkündete am Montag, dass er nicht mehr kandidieren werde.

Ideologische Vielfalt

Die Regierungskoalition war von Anfang an instabil. Am Ende der zehnmonatigen Koalitionsverhandlungen, den bisher längsten in den Niederlanden, kam im Ergebnis heraus, dass die gleichen Parteien der Vorgängerregierung sich erneut zu einer Koalition zusammentun und die Regierung bilden würden. Viele der Themen, die unter der vorherigen Regierung schon ungelöst blieben, lagen allerdings immer noch auf dem Tisch. Dazu gehörten die Reduzierung der stickstoffbedingten Umweltverschmutzung, die Wohnungsknappheit, die Unterstützung der Opfer der Erdbeben in Groningen und der Kinderbetreuungsgeldskandal sowie der Umgang mit Migranten. Aufgrund der unterschiedlichen ideologischen Standpunkte der Koalitionsparteien in diesen Fragen war es von Anfang an klar, dass es schwierig werden würde, einen Konsens zu finden.

Vorschlag zur Migration

Am Ende brachte die ungelöste Migrationsfrage die Regierung zu Fall. Die VVD und die CDA hatten sich monatelang für eine Reform des Asylsystems eingesetzt, nachdem überfüllte Asylzentren einen regelrechten Skandal ausgelöst hatten und der Druck, die Zuzugszahlen zu verringern, immer größer wurde. Es wurde die Wiedereinführung eines Systems mit zwei Asylkategorien vorgeschlagen: eine permanente für politisch Verfolgte, und eine temporäre für diejenigen, die aufgrund von Konflikten auf der Flucht sind. Gleichzeitig sollte die Zahl der Familienmitglieder, die Kriegsflüchtlinge begleiten, landesweit auf 200 pro Monat begrenzt werden.

Die Koalitionspartner D66 und insbesondere die Christliche Union stellten sich entschieden gegen die Begrenzung der Familienzusammenführung. Die Bedenken von D66 betrafen vor allem die Tragfähigkeit des neuen Systems (was einer der Gründe für die vorherige Reform war), während die der Christlichen Union eher grundsätzlicher Natur waren. Als "Familienpartei" befürwortet sie die Familienzusammenführung und konnte eine harte Obergrenze für Familienmitglieder nicht akzeptieren.

Nach monatelangen Verhandlungen sind die Kabinettsgespräche letzte Woche gescheitert. Am Mittwoch versuchte Rutte, mit einer Frist bis zum Wochenende eine Lösung des Problems zu erzwingen. Am Freitag spitzte sich der Streit zwischen den Parteien zu. Auf der Pressekonferenz nach der letzten Verhandlungsrunde gab Rutte bekannt, dass "die Differenzen unüberwindbar geworden sind" und kündigte den Rücktritt seines Kabinetts an.

Wie geht es weiter?

Das Scheitern der Koalition hat dazu geführt, dass diese nun als geschäftsführende Regierung weiterarbeitet, bis eine neue Regierung gebildet wird. Das wird nach den Neuwahlen geschehen, die voraussichtlich im November stattfinden werden. In der Zwischenzeit kann die geschäftsführende Regierung keine neuen politischen Entscheidungen treffen, sodass viele der anhaltenden Herausforderungen ungelöst bleiben.

Über Ruttes nächste Schritte, sowohl als VVD-Chef als auch als Ministerpräsident, sowie seine Nachfolge, wird heftig spekuliert. Da keine der anderen Parteien mit Neuwahlen gerechnet hatte, sind die meisten großen Parteien mit Führungsfragen konfrontiert. Bei den Christdemokraten haben drei mögliche Kandidaten für die Führungsposition bereits abgelehnt, während die Sozialdemokraten und die Grünen mitten in einer Diskussion über eine Parteifusion stecken. Es soll heißen, dass der Vizepräsident der Europäischen Kommission, Frans Timmermans, eine Rückkehr in die Niederlande als deren Listenführer erwägt, aber das Rennen ist noch lange nicht gewonnen.

Sicher ist, dass die Niederlande auf eine neue politische Ära zusteuert. In einer fragmentierten politischen Landschaft, in der die populistische Bauern-Bürger-Bewegung (BBB) in den Umfragen führt, scheint eine große Umwälzung bevorzustehen. Für die Liberalen kann dies ein Fluch oder ein Segen sein, da sowohl die VVD als auch die D66 in der vorherigen Koalition in einer schwierigen Lage waren. Ein Szenario, in dem beide Parteien um die Spitzenposition konkurrieren, scheint vorläufig allerdings unwahrscheinlich.