Liberalismus
Freiheit ist unteilbar, genau wie das Recht
v.l.: Jörg Thadeusz, Moderator; Sabine Leutheusser-Schnarrenberger Bundesministerin a.D., Stellvertretende Vorstandsvorsitzende der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit und Wolfgang Kubicki, Stellvertretender Bundesvorsitzender der FDP.
© Milena RadatzDer Liberalismus steht in Deutschland unter Druck und der freiheitliche Geist droht zu erlahmen. Auf der Berlin Freedom Week warnen Wolfgang Kubicki und Sabine Leutheusser-Schnarrenberger vor einer Gesellschaft, die Freiheit nur den Gleichgesinnten zugesteht und mahnen: Freiheit und Recht sind unteilbar. Sonst untergraben wir das Fundament der liberalen Demokratie.
Was bedeutet Freiheit in einer Zeit, in der gesellschaftliche Fronten sich verhärten und politische Debatten zunehmend in Schlagworten verhallen? Auf der Berlin Freedom Week sprachen Sabine Leutheusser-Schnarrenberger und Wolfgang Kubicki über die Herausforderungen eines Liberalismus, der sich weder vereinnahmen noch vereinfachen lässt. Mit ihnen diskutierten zwei prägende Stimmen des organisierten Liberalismus in Deutschland, moderiert vom Journalisten Jörg Thadeusz. Die Debatte kam zur richtigen Zeit, denn der Liberalismus in Deutschland hat derzeit einen schweren Stand. Sichtbarstes Zeichen dafür ist das Abschneiden der FDP bei der vorgezogenen Bundestagswahl im Februar. Seitdem fehlt eine dezidiert liberale Stimme im Deutschen Bundestag.
Zur Lage des Liberalismus in Deutschland
Wolfgang Kubicki sieht einen Erklärungsansatz für den schweren Stand des Liberalismus darin, dass in der Bevölkerung eine starke Sehnsucht nach einer Politik besteht, die im stillen Hintergrund alles regelt. Die Politik von Angela Merkel habe zudem damit begonnen, in der Gesellschaft Dinge zu tabuisieren, indem man einen bestimmten Lösungskorridor als „alternativlos“ vorgab. Der Liberalismus hingegen lässt dem Menschen die Freiheit zu entscheiden und in wahrer Freiheit, wie sie auch das Grundgesetz garantiert, ist stets das Recht auf Unvernunft mitverankert.
Wolfgang Kubicki, Stellvertretender Bundesvorsitzender der FDP.
© Milena RadatzSabine Leutheusser-Schnarrenberger betonte, dass der Liberalismus anspruchsvoller sei als andere politische Angebote, weil er den Menschen als Individuum sehe und nicht nur das Kollektiv. Weil der Liberalismus den Menschen etwas abverlange und weniger bequem und gemütlich sei. Leutheusser-Schnarrenberger beschrieb Deutschland als ein Land, in dem längst nicht alle liberal denken und handeln, aber in dem der Liberalismus einen festen Platz hat. Viele Errungenschaften und gesellschaftspolitische Fortschritte, um deren Existenz heute wieder gerungen wird, seien erst auf Initiative der Liberalen entstanden. Der Liberalismus habe damit breite Spuren in der Gesellschaft hinterlassen.
Meinungsfreiheit oder meine Freiheit?
Aber wie steht es um diese Errungenschaften heute? Wie steht es heute beispielsweise um die Meinungsfreiheit als Grundvoraussetzung liberaler Demokratie? Viele Menschen in Deutschland haben das Gefühl, ihre Meinung nicht mehr frei äußern zu können. Immer mehr Bürgerinnen und Bürger wägen ihre Worte ab, bevor sie öffentlich Stellung beziehen. Das zeigt eine kürzlich veröffentlichte Umfrage des Allensbach-Instituts. Das Panel beschrieb es so: Zwischen der Sorge vor juristischen Konsequenzen und sozialer Ausgrenzung wirke bei vielen Menschen eine „Schere im Kopf“. In aufgeheizten Debatten werde man auf seine Worte festgenagelt und habe oft nicht einmal die Chance, noch einmal zu erklären, was man eigentlich gemeint habe. Dabei wirken auch die Mechanismen sozialer Medienplattformen verstärkend mit.
Bemerkenswert ist dabei ein Widerspruch, den die aktuelle Allensbach-Umfrage zutage förderte: Fast die Hälfte der Befragten befürwortet es, bestimmte Aussagen zu verbieten. So sprechen sich 52 Prozent für ein Verbot des Satzes „Soldaten sind Mörder“ aus, 49 Prozent wollen „Homosexualität ist eine Krankheit“ und 43 Prozent die Aussage „Frauen gehören an den Herd“ untersagen. Das zeigt: Viele empfinden ihre eigene Freiheit als eingeschränkt und wollen zugleich anderen das Wort verbieten. Das ist kein liberales Verständnis von Meinungsfreiheit. „Wenn sich manche über Einschränkungen der Meinungsfreiheit entrüsten, dann meinen sie oft eine Einschränkung ihrer Freiheit – die Freiheit der Gleichgesinnten“, so Sabine Leutheusser-Schnarrenberger.
Sabine Leutheusser-Schnarrenberger Bundesministerin a.D., Stellvertretende Vorstandsvorsitzende der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit.
© Milena RadatzMit der Meinungsfreiheit in Deutschland, wie sie das Grundgesetz als historische Errungenschaft der Aufklärung und als Lehre aus unfreien Systemen garantiert, verhält es sich jedoch anders als viele meinen. Leutheusser-Schnarrenberger und Wolfgang Kubicki machten in der Diskussion deutlich, dass Meinungsfreiheit mehr bedeutet als die Freiheit des Zustimmenden. Vieles sei vielleicht unanständig, geschmacklos oder widerlich, verstoße gegen Anstand und Moral, sei aber nicht strafbar. Eine strafwürdige Beleidigung beispielsweise liege erst dann vor, wenn es darum geht, eine Person herabzuwürdigen oder zu diskreditieren. Die Meinungsfreiheit schützt nicht nur das, was mehrheitsfähig oder angenehm ist, sondern gerade auch das Unangenehme, das Unsägliche, und das muss eine offene Gesellschaft aushalten können.
Das Recht ist unteilbar, genau wie die Freiheit
Doch genau dieses gegenseitige Aushalten geht inmitten gesellschaftlicher Spaltung und einem zunehmend feindseligen Klima verloren, selbst wenn die Meinungsfreiheit formal gilt. Ergebnis ist, dass das Verständnis von Rechtsdurchsetzung und Meinungsfreiheit in eine Schieflage zu geraten scheint. Angriffe auf Andersdenkende bleiben oft unkommentiert oder werden stillschweigend hingenommen, obwohl sie die Grundfesten unserer Demokratie berühren. Beispiele wie Charlie Kirk oder Bernd Baumann zeigen, dass Solidarität häufig endet, sobald es um Angriffe auf Andersdenkende geht. Kubicki betonte: „Genau wie Freiheit unteilbar ist, ist auch das Recht unteilbar.“
Bildergalerie
Annett Witte, Hauptgeschäftsführerin der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit.
© Milena Radatz
Harald Geywitz, Telefónica Germany GmbH & Co. OHG.
© Milena Radatz
Jörg Thadeusz, Moderator; Sabine Leutheusser-Schnarrenberger Bundesministerin a.D., Stellvertretende Vorstandsvorsitzende der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit und Wolfgang Kubicki, Stellvertretender Bundesvorsitzender der FDP.
© Milena RadatzLeutheusser-Schnarrenberger ergänzte, dass das Verständnis von der Gleichheit vor dem Recht essentiell ist: Selbst der demokratische Gesetzgeber könne sich nicht über das Recht hinwegsetzen.
Das Panel war sich einig, dass ein Bröckeln dieses Fundaments unseres Rechtsstaats nicht hinzunehmen sei. Denn sobald wir dies akzeptieren, untergraben wir unsere Demokratie. Kubicki warnte weiter, dass die Legitimation von Norm- und Rechtsverletzungen aus vermeintlich guten Gründen das Recht in Willkür verwandele.
Das Vertrauen in den Rechtsstaat zurückgewinnen
Umfragen zeigen, dass das Vertrauen in die Justiz zurückgeht und dass genau dieses Gefühl der Willkür in Deutschland derzeit erneut entsteht. Kubicki schilderte, dass er aktuell oft in Deutschlands Osten unterwegs ist. Im Hinblick auf Fälle von Hausdurchsuchungen im Rahmen von Strafermittlungen, über die in den letzten Monaten medial berichtet wurde, sagten ihm Menschen dort oft: „Das hatten wir schon mal, dass wir etwas gesagt haben und am nächsten Tag stand die Polizei vor der Tür.“
Kubicki und Leutheusser-Schnarrenberger betonten: Im Rechtsstaat bedeutet eine Ermittlung zunächst nur einen ersten Verdacht. In den allermeisten Fällen wird das Verfahren eingestellt, die Unschuldsvermutung gilt bis zum Urteil. Leutheusser-Schnarrenberger stellte dem jedoch pointiert entgegen, es werde von Unschuldsvermutung gesprochen, aber real werde schon bei den ersten Ermittlungen von vielen ein Urteil gefällt. Insbesondere, wenn dies begleitet wird von medialer Berichterstattung, die nicht weiter nach Verdachtsgraden und genauen Straftatbeständen unterscheidet. Der Eindruck in der Öffentlichkeit und in den Medien sei dann ein ganz anderer.
Kubicki betonte jedoch, dass gerade aus seiner 40-jährigen Erfahrung als Strafverteidiger heraus sein Vertrauen in den Rechtsstaat nicht erschüttert sei. Der Rechtsstaat funktioniere grundsätzlich: Fehlentscheidungen werden in höheren Instanzen korrigiert und Exzesse im Ermittlungsverfahren – etwa rechtswidrige Hausdurchsuchungen – werden als solche erkannt. Dennoch gibt es immer wieder Fälle, in denen die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, die den Leitsatz „im Zweifel für die Meinungsfreiheit“ vorgibt, nicht bis zu den unteren Strafinstanzen durchdringt. Leutheusser-Schnarrenberger betonte, dass sich dies jedoch nicht durch neue Gesetze lösen lasse, da es immer auf den konkreten Einzelfall ankomme.
Liberale Politik stellt den Menschen in den Mittelpunkt
Leutheusser-Schnarrenberger beschrieb dies so: „Jetzt machen die ein Gesetz und es wird alles besser; es wird der Strafrahmen erhöht und jetzt wird es besser. Die Erwartung der Menschen in Handeln der Politiker darf nicht mit Symbolpolitik enttäuscht werden.“ Gleichzeitig sei es aber ein Bereich, in dem die öffentliche Debatte selbst etwas bewirken könne. Kubicki sprach sich dafür aus, dass die Freien Demokraten auch künftig vorbehaltslos für Menschen eintreten sollen, die von staatlicher Macht bedroht werden, für diejenigen, die aufgrund bloßer Vorwürfe gesellschaftlich an den Pranger gestellt werden. Sowohl Leutheusser-Schnarrenberger als auch Kubicki betonten, dass eine Politik, die den Menschen ins Zentrum stellt, auch Menschen erreichen kann. Liberale akzeptieren Menschen so, wie sie sind, und akzeptieren, dass das Gegenüber mit seiner Position auch Recht haben könnte.