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Südafrika
Wahl der guten Hoffnung

Ein Beitrag aus unserem Debatten-Magazin liberal.
Mmusi Maimane

Hoffnungsträger: Mmusi Maimane, Fraktionsvorsitzender der Democratic Alliance und Oppositionsführer in der Nationalversammlung.

© picture alliance / AP Photo

Seit dem Ende der Apartheid in den Neunzigerjahren wird Südafrika vom ­African National Congress (ANC) regiert. Doch die einstige Aufbruchstimmung ist verflogen. Das Land versinkt in politischen Skandalen und Korruption, die Wirtschaft liegt darnieder. Hoffnungsträger bei den Parlamentswahlen am 8. Mai ist die Democratic Alliance (DA) unter Führung des jungen charismatischen Mmusi Maimane, des ­„Obama Südafrikas“. Die Wahlbeteiligung spielt dabei eine paradoxe Rolle.

An einem Montag im März tat Cyril Ramaphosa, der seit einem Jahr amtierende Präsident Südafrikas, was viele Präsidenten im Wahlkampf tun: Er mischte sich unters Volk und begleitete Pendler auf dem Weg zur Arbeit. Hierzu nahm der ANC-Politiker zur morgendlichen Stoßzeit einen Zug. Der Zug war – wie so oft in Südafrika – hoffnungslos überfüllt. Die Fahrgäste hingen hinten am Waggon, hielten sich an Fenstern und Türen fest oder fuhren auf dem Dach sitzend mit. Dem Zug geschah dann, was vielen Zügen auf der Strecke ebenfalls fast täglich geschieht: Er blieb stecken. Für die Strecke von 50 Kilometern benötigte er mehr als drei Stunden.

Diese Anekdote versinnbildlicht Südafrikas aktuelle Lage. Alles stockt. Überall haben die Bürger jede Menge Grund, sich zu beschweren und zu klagen. Sie klagen über die Korruption, die von der Regierung und dem ANC ausgeht. Sie klagen darüber, dass man Schmiergelder zahlen muss, um einen Termin für die Führerscheinprüfung zu bekommen. Sie klagen darüber, wie viel Geld während der Präsidentschaft von Ramaphosas Vorgänger Jacob Zuma in dunkle Kanäle floss und gestohlen wurde. Sie klagen, wie es der Wahlkämpfer Ramaphosa nun im Pendlerzug zu hören bekam, über die katastrophale Verfassung der öffentlichen Verkehrsmittel. Sie klagen über die Rationierung von Trinkwasser. Zunehmend klagen sie auch über die unzuverlässige Stromversorgung. Eine mobile App, die angibt, wann man im Dunkeln sitzen wird, ist bereits mehr als 500.000-mal heruntergeladen worden.

Schwierig zu regierendes Land

Südafrika ist schwierig zu regieren. Anders als in vielen europäischen Ländern besteht ein sehr geringes Maß an kultureller Homogenität. Südafrika ist unglaublich vielfältig. Die Verfassung erkennt elf offizielle Sprachen an, aber es gibt derer rund 35. Ein charakteristisches Merkmal der Gesellschaft ist die Ungleichheit: Die meisten Weißen gehören der Mittelschicht an und sind vergleichsweise wohlhabend, während die Schwarzen mehrheitlich in Armut verharren. Millionen Menschen fristen ihr Dasein in Elendsvierteln, in Bretterbuden und Wellblechhütten.

Die Jugendarbeitslosigkeit ist dramatisch. Schätzungen zufolge ist jeder zweite Jugendliche ohne Arbeit. Das sind größtenteils die Spätfolgen der Apartheid: Schwarze Mitbürger konnten kein Kapital ansparen und eigenen Wohlstand aufbauen. Und unter Zuma ging es für sie auch nicht aufwärts. Die Jahre seiner Präsidentschaft gelten als vergeudete Zeit.

DA fordert ANC heraus

Die wirtschaftliche und politische Situation des Landes würde jede Regierungspartei, die ihre Amtszeit verlängern möchte, vor große Herausforderungen stellen. Für den ANC aber ist die Lage aufgrund seiner politischen Positionierung sogar noch komplexer. Seit 1994 regiert er als Partei der Mitte. Sein bekanntester Slogan lautete „A Better Life for All“. Die Partei strebte an, in allen gesellschaftlichen Lagern Stimmen zu gewinnen. Sie erreichte dieses Ziel viele Jahre. Inzwischen wird sie jedoch von rechts und links in die Zange genommen.

Rechts vom ANC findet sich die größte Oppositionspartei, die Democratic Alliance (DA), ein Partner der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit. Die meisten DA-Wähler gehören der Mittelschicht an. Sie sind in der großen Mehrheit weiß und leben in den Städten. Seit 2015 aber ist ein Schwarzer Parteivorsitzender. Er schlägt die notwendige verbindende Brücke.

Die Kundgebungen und Wahlkampfveranstaltungen der DA locken mittlerweile Tausende von schwarzen Wählern an. Die Partei hat besonders von ihrem Widerstand gegen Zuma profitiert und gewinnt zunehmend Stimmen der schwarzen Mittelschicht in den Städten. Sie ging in Johannesburg und Tshwane (Pretoria) siegreich aus den Kommunalwahlen 2016 hervor und konnte die Regierungsgeschäfte übernehmen; eine Zeit lang auch in Port Elizabeth in der Provinz Ostkap.

In der Provinz Westkap stellt die DA schon seit zehn Jahren die Regierung und hat viel Anerkennung dafür gewonnen, dass die Provinz besser verwaltet wird als jede andere. In den letzten nationalen Wahlen 2014 vereinigte die DA 22 Prozent der Stimmen auf sich. In diesem Jahr dürfte es allen Umfragen zufolge ein deutlich größerer Anteil werden.

 Links vom ANC haben die Economic Freedom Fighters (EFF) unter Führung von Julius Malema ihr Lager aufgeschlagen. Gemeinsam mit anderen führenden EFF-Mitgliedern wurde Malema 2012 aus dem ANC ausgeschlossen. Er ist ein radikaler Hitzkopf, der Menschen beleidigt und häufig Rasse als politisches Kampfmittel einsetzt. Auf einer Veranstaltung rief er: „Wir rufen nicht zum Abschlachten der Weißen auf – jedenfalls noch nicht.“

Cyril Ramaphosa amtierender Präsident in Südafrika.

Cyril Ramaphosa amtierender Präsident in Südafrika.

© picture alliance / AP Photo

Spaltpilz Korruption

Neben DA und EFF gibt es Dutzende kleinerer Parteien, von denen einige nur ein Prozent der Stimmen auf sich vereinigen oder über buchstäblich gerade einmal fünf Mitglieder verfügen. Den beiden großen Oppositionsparteien die Stirn zu bieten würde für jede Regierungspartei eine Herausforderung bedeuten. Für den ANC jedoch ist die Situation deshalb besonders schwierig, weil er aufgrund seiner internen Spaltungen fast wie zwei unterschiedliche Parteien unter einem Dach auftreten muss.

Die Ursache für diese Spaltungen finden sich im Vorlauf des umstrittenen ANC-Parteitages vom Dezember 2017, der nach dem Veranstaltungsort kurz als Nasrec-Parteitag bezeichnet wird. Der damalige Präsident Zuma hatte zuvor Minister entlassen, die aus Sicht der Öffentlichkeit gegen die Korruption vorgingen. Die Partei zerfiel danach in die Unterstützer Zumas und seine Gegner, die endlich etwas gegen die Korruption unternehmen wollten. Nkosazana Dlamini-Zuma, eine ehemalige Ehefrau Zumas, und Ramaphosa, damals Vizepräsident, wetteiferten um die Nachfolge des Parteichefs. Mehr als 5.000 Delegierte der Orts- und Provinzverbände gaben ihre Stimmen ab. Nach der Auszählung wurde Ramaphosa neuer Parteichef – aber nur mit einem Vorsprung von 179 Stimmen gegen das Zuma-Lager.

 Zu einer institutionellen Spaltung des ANC, wie sie sich unter anderem der DA-Chef Maimane wünscht, ist es noch nicht gekommen. Doch wie zerrissen der ANC seitdem ist und wie weit noch immer der Einfluss der Anhänger Zumas reicht, zeigt ein Blick auf die Wahllisten. Dort finden sich die Namen vieler Zuma-Verbündeter – ein herber Misserfolg für Ramaphosa. Es ist ihm nicht geglückt, sich parteiintern durchzusetzen, sich die Loyalisten seines Vorgängers vom Leib zu halten und ihren Einfluss einzuschränken.

Folglich ist denkbar, dass die ANC-Fraktion im Parlament Ramaphosas Vorhaben für die Zeit nach den Wahlen unterminiert. Da es aber Ramaphosa nicht gelingt, die Korruption gerade in den obersten Regierungs- und Parteikreisen wirksam zu bekämpfen, verschlechtert sich das Ansehen des ANC stetig. Das könnte sein Wahlergebnis erheblich beeinträchtigen. Und das wiederum würde nichts Gutes für Ramaphosas Handlungsspielraum und Gestaltungsfähigkeit im Anschluss an die Wahlen bedeuten.

Politische Identität im Wandel

Insgesamt zeichnet sich vor diesem Hintergrund ein historischer Umbruch in Südafrika ab: Die „politische Identität“ wandelt sich. Das heißt, das politische Selbstverständnis der Menschen ist nicht mehr ganz so unauflöslich wie einst an die Hautfarbe gebunden. Daran hat die DA, die sich darum immer aktiv bemüht hat, großen Anteil. Es ist heute nicht mehr so, dass sich der ANC auf die „Befreiungsdividende“ verlassen kann. Lange genug waren viele Menschen der Partei für ihren Beitrag zur Befreiung von der Apartheid 1994 derart dankbar, dass sie ihr ohne zu zögern ihre Stimmen schenkten und nicht im Traum daran dachten, für eine andere Partei zu stimmen – und damit blieb der ANC die Partei der Schwarzen.

Aber im Laufe der Zeit hat sich die Gesellschaft gewandelt. Eine schwarze Mittelschicht ist entstanden, die in die ehemals weißen Vororte umgezogen ist. Die Zugehörigkeit zu einer sozialen Schicht und die relative ökonomische Position gewinnen an Bedeutung. Die Wähler sind kritischer und anspruchsvoller geworden. Ihr Durchschnittsalter ist stark gesunken, und die jüngere Generation wählt anders als ihre Eltern. Sie ist im Heute angekommen. Die Erinnerungen an den langen Kampf gegen die Apartheid verblassen und bestimmen nicht mehr die politische Diskussion.

 Statt um die weitere Aufarbeitung der Vergangenheit geht es für die Schwarzen wie für die Weißen in der Politik heute um drängende Gegenwartsthemen wie die Aussichten auf dem Arbeitsmarkt, die allgemeine Wirtschaftslage – und die Korruption. Außerdem wollen sie, dass der Strom nicht mehr ausfällt und dass das fließende Wasser nicht versiegt. Lang gepflegte und gehegte Loyalitäten bröckeln. Zum ersten Mal in Südafrikas neuerer Geschichte gibt es eine große Zahl an Wechselwählern. Viele davon richten nunmehr ihr Augenmerk auf die DA.

Bisher war die Wahlbeteiligung in Südafrika immer vergleichsweise hoch. Nach Angaben von Meinungsforschern könnte die Wahlbeteiligung bei den diesjährigen Wahlen jedoch auf ein Rekordtief fallen – und damit wahlentscheidend sein. Eine Umfrage des Forschungsinstituts IPSOS ergab, dass bis zu acht Millionen Menschen möglicherweise nicht wählen werden. Viele der Nichtwähler sind jünger als 35 Jahre. Häufig handelt es sich dabei um Jugendliche, die keine Arbeit haben und möglicherweise auch keine Aussicht darauf haben, jemals zu arbeiten.

Wahlbeteiligung wird entscheiden

Bei den Kommunalwahlen 2016 hatte die Wahlbeteiligung eine gewaltige Auswirkung. Natürlich lässt sich das nicht direkt vergleichen, da es nur um die Kommunalverwaltung in den Städten und Gemeinden ging und nicht um die Regierungen der Provinzen und die Nationalregierung – aber trotzdem ist das Beispiel instruktiv. Die DA jedenfalls konnte nach den Kommunalwahlen deshalb die Regierungs­geschäfte in Johannesburg und Tshwane übernehmen, weil städtische schwarze Stimmberechtigte, die bisher den ANC unterstützt hatten, den Wahlen fernblieben, teils aus Protest gegen Zuma. Umgekehrt, und ebenfalls wegen Zuma, war die Wahlbeteiligung zugunsten der DA in den Vororten außerordentlich hoch.

Somit ist eine der entscheidenden Fragen für die bevorstehenden Wahlen, ob die Stimmberechtigten, die 2016 wegblieben, jetzt an die Wahlurne zurückkehren. Wenn ja, dann könnte der ANC sein Ergebnis womöglich steigern. Doch wenn die Wahlbeteiligung tatsächlich auf ein Rekordtief fällt, dürfte sich das zu seinen Lasten auswirken und der DA auf paradoxe Weise weiteren Auftrieb geben.

 Zurzeit sind die Umfragen noch uneindeutig. Keine Umfrage sagt voraus, dass der ANC die Wahlen auf nationaler Ebene vollumfänglich verlieren könnte. Doch mehrere Institute rechnen nur mit einem knappen Sieg des ANC. Das Gesamtergebnis könnte stark vom Wahlausgang in der Provinz Gauteng abhängen, dem industriellen Kernland Südafrikas. Falls der ANC diese Provinz verliert, muss er womöglich national eine Koalition zusammenstellen.

Nach der „Ramaphoria“

Als es Ramaphosa im vergangenen Jahr gelungen war, Zuma aus dem Amt zu drängen, erfasste die Südafrikaner zunächst eine Welle der Begeisterung, im Volksmund umgehend „Ramaphoria“ getauft. Der Präsident ist beliebt und wird anders als seine Partei, in der viele Amtsträger korrupt sind, selbst als „clean“ betrachtet. Er hat auch bei den Unternehmern Anklang gefunden, weil er als marktfreundlich gilt. Binnen eines Jahres seiner Präsidentschaft ist die Begeisterung dennoch weitgehend verflogen. Es geht nicht wirklich voran im Land. Die Menschen wünschen sich eine bessere Zukunft für ihre Kinder. Für viele ist das drängendste Bedürfnis erst einmal ein Arbeitsplatz. In den Wahlen geht es damit vor allem um Hoffnung: um die gute Hoffnung, dass die Probleme Südafrikas endlich einer Lösung entgegengehen.

 

Stephen Grootes (Jahrgang 1975) gilt als profilierter Journalist und Politikbeobachter in seinem Heimatland Südafrika. Er ist Moderator einer renommierten Morgensendung des Radiosenders Talk Show und er schreibt für die Online-Publikation Daily Maverick.