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Menschenrechte
Frauenrechte weltweit verteidigen - nicht nur am Internationalen Tag der Menschenrechte

Nachbericht zur Internationalen Menschenrechtskonferenz in Tübingen am 10.12.2025
Video-Keynote von Reem Al-Salem, UN-Sonderberichterstatterin für Gewalt gegen Frauen und Mädchen

Die Video-Keynote von Reem Al-Salem, UN-Sonderberichterstatterin für Gewalt gegen Frauen und Mädchen.

© FNF

Am 10. Dezember, dem internationalen Tag der Menschenrechte, richtete die Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit gemeinsam mit dem Institut für Politikwissenschaft, dem Weltethos-Institut und dem College of Fellows an der Universität Tübingen eine internationale Konferenz mit dem Schwerpunkt Frauenrechte als Menschenrechte aus. Unter dem Titel „Courage Against Power - Defending Women’s Rights Worldwide“ stand im Zentrum die Frage, wie Frauenrechte weltweit verteidigt und gestärkt werden können. Janet H. Anderson, Frauenrechtsexpertin und Journalistin, war die exzellente Moderatorin der gesamten Konferenz. Der Anlass war hochaktuell, denn in vielen Regionen erleben wir eine massive Verschärfung der Lage. Frauen werden systematisch aus dem öffentlichen Raum gedrängt, Bürgerrechte werden eingeschränkt und die Arbeit von Aktivistinnen wird kriminalisiert, besonders in ländlichen Räumen. Zugleich zeigen mutige Frauenrechtsverteidigerinnen in allen Teilen der Welt, dass Freiheit nur durch gemeinsamen Einsatz und internationale Vernetzung geschützt werden kann. Genau diese Stimmen von Frauen wollte die Konferenz sichtbar machen und damit auch den Anspruch der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit unterstreichen, Menschenrechtsverteidigerinnen zu unterstützen und ihnen eine Plattform zu geben. Das Thema knüpfte zeitlich passend an das Internationale Jahr der Frau an, welches vor 50 Jahren (im Jahr 1975) von der UN ausgerufen und weltweit zelebriert wurde, um auf Missstände hinzuweisen und Fortschritte anzustoßen.

UN-Sonderberichterstatterin: Ich bezeichne es als "Fem Genozid"

Ein Highlight der Konferenz war auch wegen dieser Anknüpfung an das Internationale Jahr der Frau vor 50 Jahren eine inspirierende Video-Keynote von Reem Al-Salem, UN-Sonderberichterstatterin für Gewalt gegen Frauen und Mädchen, deren Ursachen und Folgen. In ihrer Keynote zeichnete Al-Salem ein eindringliches globales Lagebild: Trotz wichtiger rechtlicher Fortschritte seit der Unterzeichnung der Beijing Declaration and Platform for Action (BPfA) 1995 leiden Frauen weltweit weiterhin unter Gewalt und Unterdrückung, meist durch Familienmitglieder, aber auch durch autoritäre Regime wie die Taliban in Afghanistan. Diese Form systematischer Ausgrenzung bezeichnete sie als „Fem Genozid“, da Frauen bewusst aus dem öffentlichen Leben verdrängt werden. Besonders besorgniserregend, so Reem Al-Salem, ist, dass in vielen Staaten Femizid noch immer kein eigener Straftatbestand ist, ein Zustand, der dringend reformiert werden müsse. Abschließend lenkte die Sonderberichterstatterin die Aufmerksamkeit der Konferenzteilnehmer auf zwei alarmierende globale Entwicklungen: digitale Gewalt gegen Frauen, die nicht im Virtuellen bleibt, sondern reale, oft grausame Konsequenzen für Frauen hat. Zweitens, zunehmende Verletzungen des humanitären Völkerrechts in Konfliktsituationen und der Einsatz sexualisierter Gewalt als Waffe, der die Welt in eine tiefe, düstere Realität stürze, eine Spirale, aus der wir ohne entschiedenes Handeln nicht herausfinden werden.

Die Unterdrückung von Frauenrechten in autoritären und illiberalen Systemen

Im ersten Panel wurde von Frozan Akbaryaar (Aktivistin aus Afghanistan), Veronika Tsepkalo (Aktivistin aus Belarus) und Dr. Juliana Tappe Ortiz (Forscherin an der Universität Tübingen) die systematische Verfolgung, Unsichtbarmachung und Repression gegenüber Frauen in autoritären Staaten und illiberalen Systemen beleuchtet. Die Diskussion brachte unterschiedliche regionale Erfahrungen aus Afghanistan, Belarus und Lateinamerika ein und machte gleichzeitig die vielen Parallelen sichtbar. Auf dem Panel wurden viele Aktivitäten als sogenannter „High risk Feminism“ bezeichnet. Viele Frauenrechtsverteidigerinnen engagieren sich genau dann mit besonderer Entschlossenheit, wenn sie kaum noch etwas zu verlieren haben und dennoch sehr viel für ihre Gesellschaften gewinnen können. Es wurde betont, dass und wie Autokratien gegen Frauen sogenannte Genderpolitik durchführen, um die Bevölkerung zu kontrollieren. Wenn Autokraten die Hälfte der Gesellschaft, nämlich Frauen, kontrollieren, wird es am Ende zu Unterdrückung der gesamten Bevölkerung führen. Es ist auch sehr entscheidend, zwischen großen Städten und ländlichen Räumen zu unterscheiden, da meist die Berichterstattung nur über große Städte stattfindet, in denen manchmal ein deutlich positiveres Bild herrscht, während in ländlichen Räumen Frauen sehr stark unter Repressionen leiden.

Ein weiterer Schwerpunkt war die Rolle der Diaspora. Menschenrechtsverteidigerinnen im Exil bleiben häufig gefährdet, weil ihre Familien in der Heimat unter Druck gesetzt werden. Gleichzeitig sind sie unersetzlich, da sie Kontakte und Informationskanäle ins Herkunftsland aufrechterhalten, digitale Interviews führen und wichtige Daten sichern. Auch die Bedeutung transnationalen Drucks wurde deutlich. Beispiele aus Belarus zeigten, wie selbst ungewöhnliche internationale Appelle (hier wurde von einem Kontakt zu Donald Trump berichtet) politische Wirkung entfalten können und sogar zur Freilassung politischer Gefangener beitragen. Darüber hinaus wurde diskutiert, dass offizielle Zahlen Menschenrechtsverletzungen oft nur unzureichend abbilden. Deshalb müsse die Dokumentation von Geschichten und persönlichen Berichten weiter ausgebaut werden, auch im Rahmen von Publikationsreihen wie die Human Rights Defenders der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit. Die Beiträge aus Lateinamerika machten deutlich, wie lange die Region bereits gegen antifeministische Bewegungen kämpft und wie daraus in den letzten Jahren allgemein gebräuchliche Begriffe wie Femizid entstanden sind. Ein zentrales Fazit dieses Panels war, dass eine Verbindung zwischen individuellen Schicksalen und solider Datengrundlage notwendig ist, denn weder reine Statistiken noch alleinige Einzelfälle erreichen ausreichend Aufmerksamkeit.

Panel 1

(v.l.n.r.): Frozan Akbaryaar (Aktivistin aus Afghanistan), Veronika Tsepkalo (Aktivistin aus Belarus), Dr. Juliana Tappe Ortiz (Forscherin an der Universität Tübingen) und Janet H. Anderson (Moderatorin).

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Organisierte Schutzstrategien - auch abseits offizieller Strukturen

Pushback gegen Frauen findet nicht nur auf nationaler Ebene durch Regierungen und Autokraten statt, sondern auch auf internationaler Ebene. Während der Konferenz machte Dr. Ayesha Khan von ODI Global in einer Impuls-Präsentation zu einer Studie des Human Rights Hub der Friedrich-Naumann-Stiftung deutlich, dass an verschiedenen Stellen versucht wird, die Arbeit internationaler Menschenrechtsinstitutionen (wie z.B. im UN-Menschenrechtsrat) durch eine Politik des Anti-Gender- und Anti-Frauenrechtsdiskurses zu beeinflussen. Die Analyse zeigte dies anhand verschiedener Dokumente, die vom UN-Menschenrechtsrat verabschiedet worden sind. An diese institutionelle Ebene knüpfte das zweite Panel an. Bestehend aus Bettina Metz (UN Women Germany), Dr. Erika Schläppi (Mitglied im CEDAW Committee) und Aleid van den Brink (Mitglied der GREVIO - im Rahmen der Istanbul-Konvention) widmete sich die Diskussion erfolgreichen Schutzstrategien auf internationaler, europäischer und nationaler Ebene.

Ein wichtiges Thema war die Zusammenarbeit mit Männern, da antifeministische Gruppierungen durch Frauenorganisationen oft schwer erreicht werden können. Allianzen mit Männerinitiativen, etwa im Sinne der „He for She“-Kampagne, können hier neue Wege eröffnen. Weitere Diskussionen drehten sich um die Bedeutung von Schattenberichten, die als zivilgesellschaftliche Gegengewichte (beispielweise als Instrument für das UN-CEDAW-Komitee sowie GREVIO zur Überprüfung staatlicher Berichterstattung und Darstellung) immer relevanter werden. Ihre Erstellung wird jedoch erschwert, wenn führende Aktivistinnen inhaftiert oder eingeschüchtert werden. Zudem wurden Fragen der Finanzierung thematisiert. Organisationen geraten schnell in eine problematische Abhängigkeit von einzelnen Geldgebern, weshalb nachhaltige und gemeinschaftsbasierte Modelle zunehmend an Bedeutung gewinnen. Die Panelistinnen unterstrichen außerdem, dass rechtliche Fortschritte nur der Anfang sind. Die Veränderung gesellschaftlicher Einstellungen und Rollenbilder ist ein langfristiger Prozess, der oft eine ganze Generation umfasst. Instrumente wie CEDAW, insbesondere Artikel 5 sowie die dazugehörigen Allgemeinen Empfehlungen, bieten moderne Ansätze, um geschlechtsspezifische Stereotype sichtbar zu machen und abzubauen. Schließlich wurde diskutiert, dass Begriffe wie „gender ideology“ oder "Gender-Wahnsinn" genutzt werden, um Errungenschaften der Gleichstellung zurückzudrehen. Dem setzen die Expertinnen überzeugende, menschenrechtsbasierte Gegenargumente entgegen. Ein durchgängiger Gedanke des Panels war, dass Frauenrechte keine kulturelle Frage sind, sondern universelle Menschenrechte. Strukturelle Muster von Ungleichheit weisen global bemerkenswerte Gemeinsamkeiten auf.

Panel 2

(v.l.n.r.): Aleid van den Brink (Mitglied der GREVIO - im Rahmen der Istanbul-Konvention), Bettina Metz (UN Women Germany), Dr. Erika Schläppi (Mitglied im CEDAW Committee) und Janet H. Anderson (Moderatorin).

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Fazit: Frauenrechte müssen weiter entschlossen verteidigt werden

Die Konferenz zeigte eindrucksvoll, wie systematisch Frauenrechte weltweit angegriffen werden. Gleichzeitig wurde deutlich, wie viel Mut, Widerstandskraft und Kreativität Frauenrechtsverteidigerinnen überall aufbringen. In den Grußworten von Teresa Morrkopf-Widlok (Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit), Dr. Christopher Gohl (Weltethos-Institut), Dr. Sara Bangert (College of Fellows) und dem Abschlusswort von Prof. Dr. Gabriele Abels (Institut für Politikwissenschaft) wurde deutlich: Rechte entfalten ihre Wirkung erst dann vollständig, wenn sie im Alltag gelebt und verteidigt werden. Deswegen bilden auch Konferenzen wie die Internationalen Menschenrechtskonferenz eine wichtige Plattform für die Darstellung und den Austausch über Erfolge und Rückschritte. Die Beiträge auf der Konferenz machten insgesamt deutlich, dass Fortschritt kein Selbstläufer ist. Jede Generation muss sich neu für die Freiheit einsetzen. Der gemeinsame Appell des Nachmittags war daher klar: Frauenrechte müssen entschlossen verteidigt werden und zwar mit Mut, ausdauernder Arbeit sowie internationaler Vernetzung und Sichtbarkeit. Dies trägt zudem zu einer erhöhten Resilienz gegen Autokratien bei, die Frauenrechte verletzten und mit Anti-Gender Rhetorik Politik machen. Die Auseinandersetzungen, die heute geführt werden, entscheiden darüber, wie frei künftige Generationen leben können.

MeRe-Konferenz

Dr. Christopher Gohl (Weltethos-Institut), Prof. Dr. Gabriele Abels (Institut für Politikwissenschaft), Dr. Sara Bangert (College of Fellows), Teresa Morrkopf-Widlok und Dr. Salim Amin (beide FNF).

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