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Südafrika
Ein Staat, dem es nicht gelingt, Gewalt zu beenden

Südafrika schafft es nicht die anhaltende Gewalt gegen Frauen und Einwanderer zu bändigen
Proteste Kapstadt

Protestierende Frauen vor dem Parlament in Kapstadt, Südafrika

© picture alliance / AP Photo

In einer Zeitung wurden die Ereignisse der vergangenen Woche in Südafrika als "Südafrika‘s Höllenwoche" bezeichnet. Innerhalb nur weniger Tage kam es gleich zu zwei Gewaltherden: die anhaltende Gewalt gegen Frauen und die immer wieder auflodernde Gewalt gegen Einwanderer und Ausländer.

Am 1. September gerieten nach dem Tod eines Taxifahrers Geschäfte von Ausländern in dem heruntergekommenen Wohn- und Geschäftsviertel Malvern im Osten Johannesburgs in das Visier von Randalierern und Plünderern. Hinterlassen wurde eine blutige Spur von Brandstiftungen sowie Plünderungen. Bis Montag breiteten sich die Ausschreitungen auf acht Gebiete aus, in denen Migranten (und Südafrikaner) kleine Einzelhandelsgeschäfte betreiben.

Nach nur wenigen Tagen kam es zu mindestens 10 Todesfällen (darunter zwei Ausländer) und mehr als 400 Festnahmen. Berichten zufolge wurden rund 50 Ladenlokale, die überwiegend von Afrikanern aus anderen Teilen des Kontinents betrieben werden (vorwiegend Nigerianern), während der Ausschreitungen zerstört oder beschädigt. Parallel zu den Unruhen fand ein landesweiter Streik von Lastwagenfahrern statt, die gegen die Beschäftigung von nicht-südafrikanischen Lastwagenfahrern protestierten. Die Polizei schien mit der Gesamtsituation vollkommen überfordert, wobei mittlerweile auch der Grund dafür deutlich wird: das polizeiliche Meldewesen war aufgrund von internen Kämpfen auf höchster Ebene der Geheimdienste nicht funktionsfähig.

Aufstände gegen Migranten sind in Südafrika ein immer wiederkehrendes Phänomen. Im Mai 2008 wurden bei einer Reihe von fremdenfeindlichen Angriffen 62 Menschen getötet. Im Jahr 2015 führte eine weitere landesweite Zunahme fremdenfeindlicher Angriffe auf Einwanderer dazu, dass einige ausländische Regierungen zu dem Entschluss kamen, ihre Bürger in die Heimat zurückzuholen.

Auch nun gab es internationale Reaktionen. Die Afrikanische Union machte eine unmissverständliche Veröffentlichung zu den Angriffen auf Händler mit Migrationshintergrund und Nigeria entsandte einen Sonderbeauftragten nach Südafrika. Tansania strich Flüge nach Südafrika. Es kam zu gewaltsamen Demonstrationen bei südafrikanischen Auslandsvertretungen sowie Unternehmen in der Demokratischen Republik Kongo. In den sozialen Medien verbreiteten sich Bilder von früheren Gewaltausschreitungen und Mobgewalt —  diese Bilder standen jedoch in keinerlei Zusammenhang mit den aktuellen Geschehnissen — was wiederum zu weiteren Spannungen führte. Aus Protest gegen diese Gewalt haben nigerianische Prominente sowie die sambische und madagassische Fußballnationalmannschaft von geplanten öffentlichen Veranstaltungen Abstand genommen.

Die Südafrikaner machen die im Ausland geborenen Einwohner zum Sündenbock, verantwortlich für soziale Missstände, wirtschaftliche Stagnation, Krankheitsausbrüche bis hin zu Kriminalität und Drogen. Der hetzerische Ton kommt nicht allein von den Anführern dieser fremdenfeindlichen Gewalt. Im Zuge des Wahlkampfs der nationalen Wahlen in 2019 waren bei den meisten politischen Parteien, sowohl bei der Regierung als auch bei der Opposition, alle möglichen fremdenfeindlichen Äußerungen zu beobachten, die als Lockmittel für Wählerstimmen genutzt wurden. Die Economic Freedom Fighters, eine extrem linke Abspaltung vom ANC, stellte infrage, ob Menschen, die außerhalb des Landes geboren wurden - selbst Personen, die als Kinder von südafrikanischen Eltern im Ausland geboren wurden - jemals als "richtige Südafrikaner" betrachtet werden könnten.

Die Südafrikaner sind verständlicherweise wütend, dass das Land zu den ungleichsten Gesellschaften der Welt gehört. Die aktuelle Arbeitslosenquote lag laut StatsSA im ersten Quartal 2019 bei 29 Prozent. Betroffen ist vor allem die Jugend, die Plünderungen und Ausschreitungen gingen auch hauptsächlich von Jugendlichen aus. Mehr als die Hälfte der Bevölkerung lebt in Armut.

Keine dieser fremdenfeindlichen Kampagnen basiert auf Beweisen. Studien haben ergeben, dass Einwanderer weder Südafrikanern Arbeitsplätze wegnehmen noch für die hohe Kriminalitätsrate verantwortlich sind. Die Mehrheit der Ausländer erhält auch keinerlei staatliche Unterstützung, wie beispielsweise Sozialleistungen. Die jüngsten Bevölkerungsstatistiken von Südafrika zeigen, dass bei einer Gesamtbevölkerung von über 58 Millionen Menschen etwa 1,64 Millionen oder 2,82 Prozent Migranten zu zählen sind. Der Prozentsatz ist nicht hoch, von einem Zustrom an Migranten kann nicht die Rede sein. Fakten scheinen jedoch keine Rolle zu spielen. Doch warum sollte sich die Regierung dem berechtigten Zorn von Millionen armer und hoffnungsloser Südafrikaner stellen, wenn sie doch auch einfach auf fremdenfeindliche Kampagnen zurückgreifen können?  

„Letztendlich", sagt das Institute for Race Relations (IRR), ein Partner der FNF, „liegt die Lösung darin, rassenbasierte Gesetze aufzuheben, Eigentumsrechte zu stärken und den Arbeitsmarkt zu liberalisieren, um Südafrika als eine investitionsfreundliche Volkswirtschaft zu positionieren, welches für Wachstum sorgt und Arbeitsplätze schafft.“ Was das IRR vollkommen zu Recht behauptet, ist, dass Südafrikaner Ausländern die Schuld für das geben, was der ANC hinsichtlich wirtschaftlicher Chancen versäumt hat.

Noch schlimmer ist die Epidemie anhaltender Gewalt gegen Frauen. Geschlechtsspezifische Gewalt stand in der vergangenen Woche im Mittelpunkt der nationalen Diskussion aufgrund der Vergewaltigung und Ermordung der 19-jährigen Studentin der Universität von Kapstadt, Uyinene Mrwetyana, durch einen Postangestellten, als diese das Postamt betrat, um ein Paket abzuholen. Ebenfalls letzte Woche wurde die 14-jährige Janika Mallo im Hinterhof ihrer Großmutter tot aufgefunden, nachdem sie vergewaltigt und ermordet worden war. Darüber hinaus wurde Box-Champion Leighandre „Baby Lee" Jegels von ihrem Freund - einem Polizisten außer Dienst - ermordet.

Durchschnittlich bringen 109 Frauen täglich in Südafrika eine Vergewaltigung zur Anzeige - die tatsächliche Zahl dürfte jedoch noch viel höher sein. Im vergangenen Jahr wurden etwa 3000 Frauen ermordet – dies entspricht einer Frau alle drei Stunden – was laut Angaben der Weltgesundheitsorganisation mehr als das Fünffache des weltweiten Durchschnitts ist. Geschlechtsspezifische Gewalt ist mittlerweile so weit verbreitet und alltäglich geworden, dass sie in den nationalen Medien kaum noch Erwähnung findet.

In bestimmten Teilen Südafrikas gibt es auch das Problem der sogenannten „korrigierenden“ Vergewaltigung, bei der Lesben vergewaltigt werden, um sie zur Heterosexualität zu konvertieren. Ein denkwürdiger Fall dieser Art war die Vergewaltigung und Ermordung von Eudy Simelane, einem Mitglied der südafrikanischen Fußballmannschaft und LGBT-Aktivistin. Jede Woche kommt es allein in Kapstadt zu mehr als 10 Vergewaltigungen oder Gruppenvergewaltigungen an Lesben, wobei mindestens 31 Opfer in den letzten 10 Jahren dabei ums Leben kamen.

Oppositionsführer Mmusi Maimane sagte: „Wir brauchen dringend klare und entschlossene Maßnahmen und können keinen Moment länger warten. Die Täter solcher abscheulichen Handlungen ins Gefängnis zu bringen, genügt nicht mehr. Es ist nötig die Ursachen dieses sozialen und moralischen Verfalls zu bekämpfen.“

Am Dienstagnachmittag erlangte eine Petition zur "Wiedereinführung der Todesstrafe in Südafrika bei Verbrechen gegen Frauen" mehr als 382 000 Unterschriften, während eine weitere Petition, in der das Parlament aufgefordert wurde, "geschlechtsspezifische Gewalt in Südafrika zum Ausnahmezustand zu erklären", mehr als 253 000 Unterschriften erhielt.

Als Präsident Cyril Ramaphosa am Donnerstag die Versammlung des Weltwirtschaftsforums (WEF) in Kapstadt verließ, traf dieser auf militante und wütende Frauen und Männer, die vor dem Parlament und so weit das Auge reichte unter dem Motto #EnoughIsEnough gegen Gewalt protestierten. Aktivisten sagen, es sei die größte Demonstration gegen frauenfeindliche Übergriffe in letzter Zeit. Vor Ramaphosas Besuch am Donnerstag war der gesamte Zaun des Parlaments mit Plakaten versehen, die die Aufschrift der neuen Bewegung #AmINext („Bin ich die Nächste?“) gegen Gewalt gegen Frauen trugen.

Ramaphosa lehnte die Forderungen nach dem Ausruf des Ausnahmezustands ab und teilte mit, die Forderungen zwar gehört zu haben, den Ausnahmezustand jedoch auf Dringlichkeit herabgestuft zu haben. "Ich werde daher das Parlament auffordern, dringende Maßnahmen zu erörtern und ausfindig zu machen, die unverzüglich umgesetzt werden können." Er bezeichnete die Geschehnisse als ein Verbrechen. "Es ist ein Verbrechen gegen unsere gemeinsame Menschlichkeit."

Als es jedoch darum ging, das entscheidende „Wie“ zu benennen, nannte er lediglich eine handvoll wieder aufgewärmter Lösungsansätze, die bislang nicht funktioniert haben, wie etwa eine aktualisierte und modernisierte Liste von Sexualstraftätern (der Staat konnte keine genaue Liste erstellen).

Und hier kommen wir leider zu einem Punkt, an dem sich beide Arten von Gewalt überlappen. Obwohl sie sich auf vielen Ebenen unterscheiden, kann die Hauptursache dieser Gewalt in staatlichem Versagen gesehen werden. Hochrangige Beamte des Staates kommen trotz unverhohlener Korruption sowie Vergewaltigungsvorwürfen (wie beim ehemaligen Präsident Zuma) davon und sind dabei noch unfähig, die Wirtschaft zu reformieren. Untermauert wird dies von einem korrupten und unfähigen Polizeiapparat und einer Kultur der scheinbaren Straflosigkeit.

Große Hoffnungen wurden auf Cyril Ramaphosas Präsidentschaft gesetzt, um diesen Missständen Abhilfe zu schaffen. Bisher ist er deutlich hinter den Erwartungen zurückgeblieben.

 

Jules Maaten ist Regionaldirektor der Friedrich-Naumann-Stiftung für Subsahara-Afrika mit Sitz in Johannesburg