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Frühkindliche Bildung
Bundesweite KiTa-Krise - und nun ein Irrlicht aus dem Norden?

Eine Kindertageseinrichtung in Leipzig.

Eine Kindertageseinrichtung in Leipzig.

© picture alliance / ZB | Waltraud Grubitzsch

Dass es im deutschen Bildungssystem vor allem an gut ausgebildeten Personal mangelt, ist keine Neuigkeit. Der massive Lehrermangel an vielen Schulformen quer durch die Republik ist jedoch kein Vergleich zu den fehlenden Fachkräften in Krippen und Kindergärten. Gerade bei der frühkindlichen Bildung wurden Trends reihenweise verschlafen. Jahrelange Fehlplanungen in Bezug auf Bedarfe und Anforderungen zwischen Bundes-, Landes und Kommunalebene haben das Problem derart verschärft, dass im Jahr 2023 bundesweit mehr als 400.000 KiTa-Plätze fehlten – ohne Aussicht auf substanzielle Verbesserung. Leidtragende sind Eltern, Kinder und vor allem auch die mit Anforderungen und kompensatorischen Arbeiten überhäuften Erzieherinnen und Erzieher.

Das KiTa-System, welches jungen Familien und Alleinerziehenden eine gesicherte und pädagogisch qualitativ hochwertige Betreuung der Kinder verspricht, droht allzu häufig den eigenen Ansprüchen nicht mehr gerecht zu werden. Somit hat die KiTa-Krise nicht nur eine pädagogische, sondern auch eine große soziale und volkswirtschaftliche Komponente.

Die Komplexität des Systems wird abermals durch den Föderalismus verschärft. So haben die Bundesländer faktisch beispielsweise stark divergierende Personalschlüssel für Krippen- und Kindergartenkinder. Und auch die jeweilige Beitragshöhe für einen KiTa-Platz unterscheidet sich für Familien je nach Wohnort zum Teil massiv.

Dass die KiTa-Krise in ostdeutschen Bundesländern nicht ganz so virulent wie in den meisten westdeutschen Bundesländern ist, liegt an den gewachsenen Strukturen, aber auch an dem stark abweichenden Personalschlüssel gerade im Krippenbereich (1-3-Jährige).

Die Betreuungsrelation in Kitas: Zwischen steigendem Bedarf und drohendem Kollaps

Vor allem in der Betreuungsrelation ist aber der kritischste Punkt des Systems zu sehen. Von Bundes- und Landespolitik wurde noch in den jüngsten Qualitätsinitiativen versucht, die Betreuungsrelation zwischen Kindern und Erziehungspersonal zu verbessern. Doch gerade gesetzliche Veränderungen am Betreuungsschlüssel haben bisweilen gravierende Auswirkungen für alle. Es gleicht einem Dilemma: Erhöht man die Betreuungszahlen, vergrößert also die Gruppengröße, dann geht das nicht ohne Mehrbelastung des ohnehin am Limit arbeitenden Personals. Unter dem steigenden Druck wird es für Erzieherinnen und Erzieher immer weniger attraktiv, in Vollzeit zu arbeiten oder überhaupt diesem wertvollen Beruf nachzugehen. Verkleinert man jedoch die Gruppen und schafft einen besseren Betreuungsschlüssel, hat das zur Folge, dass noch mehr Kinder ohne Aussicht auf einen Betreuungsplatz bleiben.

Auch unter dem Druck steigender Bedarfe wurde Anfang des Jahres nicht mehr nur von einer virulenten Krise, sondern durch Betroffene von einem bevorstehenden Kollaps des Systems gewarnt. Immer mehr Kommunen müssen aktuell die Kernzeiten der Betreuung nach unten anpassen – von spontanen Ausfällen der Betreuungsmöglichkeiten ganz zu schweigen.

Das KiTa-System braucht zur Wiederherstellung der Verlässlichkeit und Attraktivität also dringend wirkungsvolle Reformen. Insofern ließ die beschlossene Gesetzesnovelle der niedersächsischen Landesregierung in der letzten Woche aufhorchen. Dort wurde nun mit der Gesetzesänderung der Versuch unternommen, das Problem des Personalmangels (zumindest übergangsweise) zu entschärfen.

Reformen im KiTa-System: Zwischen kurzfristiger Lösung und langfristiger Debatte

Für einen Zeitraum von bis zu sechs Jahren (bis Ende Juli 2030) kann in Niedersachsen nunmehr in Randzeiten weniger qualifiziertes Personal in Kindergarten-, Hort oder altersübergreifenden Gruppen eingesetzt werden. Pädagogische Assistentinnen und Assistenten dürfen die Leitung von Gruppen übernehmen, sofern sie sich zu begleitenden Weiterbildungen bereit erklären. Darüber hinaus werden Vertretungsverfahren bürokratisch vereinfacht, indem etwa eine Genehmigungspflicht in Anzeigepflicht umgewandelt wird.

Die zeitliche Beschränkung der Maßnahme soll dem Umstand Rechnung tragen, dass diese Herabstufung der Betreuungsstandards nicht als dauerhafte Lösung gelten kann. In dem beschriebenen Dilemma ist eine Entscheidung getroffen worden: hier nun also zu Lasten der Qualität. Kurzfristig verspricht dies eine gewisse Sicherheit für die Betreuungszeiten und größere Flexibilität für die Planungen.

Was es nun aber wirklich bräuchte, wäre eine bundesweite Debatte darüber, wie das mehr als angeschlagene KiTa-System grundlegend reformiert werden kann. Die Diskussion um den Bildungsföderalismus darf nicht erst bei den Grundschulen beginnen. Einheitliche Beitragshöhen und auch vergleichbare Ziele, was frühkindliche Bildung leisten kann und soll, müssen auf die Tagesordnung. Welche Kompetenzen (motorisch und kognitiv) nun vorrangig geschult werden, welche Grundvoraussetzungen möglichst vor dem Schuleintritt geschaffen werden sollen, um einen guten Start in die Grundschule zu ermöglichen – dies sind Fragen, die es bundesweit unter den jetzigen Rahmenbedingungen zu erörtern gilt. Auch die Frage, ob Schuleingangsuntersuchungen nicht vorgezogen werden, um noch auf Defizite reagieren zu können, sollte breiter diskutiert sein. Ausbildungswege und Fachkraftgewinnung müssen dabei mit größter Dringlichkeit behandelt werden. Einheitliche Regelungen, etwa auch zu den Verfügungszeiten, müssen gefunden werden. Bürokratische Entlastungen des pädagogischen Personals und KiTa-Leitungen sind essenziell.

Nur mit breiten und koordinierten Reformansätzen, die auf Bundes-, Landes- und Kommunalebene Wirkung entfalten, wird der Weg länderspezifischer Flickschusterei verlassen. Der Wichtigkeit der frühkindlichen Bildung wären diese größeren Ansätze aber angemessen.