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80 Jahre Kriegsende
8. Mai 1945 – Ein Ende, das ein Anfang war

Wie der Tag der Kapitulation das Ende des Zweiten Weltkriegs markierte, den Grundstein für Demokratie legte – und warum das Gedenken heute aktueller denn je ist.
Der 8. Mai 1945 markiert das Ende des Zweiten Weltkriegs und den Beginn eines neuen Europas.

Der 8. Mai 1945 markiert das Ende des Zweiten Weltkriegs und den Beginn eines neuen Europas.

© picture-alliance/ ZB | Hans Wiedl

Zusammenbruch, Niederlage, Neuanfang, Aufbruch und Befreiung – im Laufe der Jahrzehnte wurde der 8. Mai 1945 mit vielfältigen Begriffen bedacht. Sie werfen unterschiedliche Perspektiven auf das Ende des Krieges und der nationalsozialistischen Diktatur, und für jedes dieser Schlagworte hat es Gründe gegeben. Denn unmittelbare Erinnerung von Zeitgenossen ist individuell verschieden, die der zahlreichen Anhänger und Mitläufer grundlegend anders als die der vom NS-Regime rassisch und politisch Verfolgten; wieder anders für diejenigen, die mit Kriegsende neuerliche Gewalt, Flucht und Vertreibung erfuhren. Für unsere Gesellschaft ist aber die kollektive Erinnerung der Geschehnisse entscheidend, und dass hier um Deutungen immer wieder gerungen wird, beweist zunächst einmal, dass unser Gedenken nicht in Ritualen erstarrt, sondern uns für die Gegenwart wichtig ist.

Wandel der Erinnerungskultur im Lauf der Zeit

Zweifelsohne sind Erinnerungskultur und Gedenkpolitik Zeitströmungen unterworfen; sie wandeln sich mit zunehmender Entfernung zum historischen Geschehen, zumal sich der Fokus von der Erlebnisgeneration inzwischen auf die Nachgeborenen verschoben hat. Was also bedeutet uns der 8. Mai 1945 für die politische und moralische Legitimation unserer liberalen Demokratie?

Die Kapitulation und ihre weltpolitischen Folgen

Formal ist es der Tag, an dem die am 7. Mai 1945 in Reims unterzeichnete Erklärung der bedingungslosen Kapitulation der deutschen Streitkräfte in Kraft trat. Noch in der Nacht zum 9. Mai folgte dann im Offizierskasino der Wehrmachtspionierschule in Berlin-Karlshorst die Kapitulationserklärung gegenüber den sowjetischen Streitkräften. Damit war die Zeit der offenen kriegerischen Auseinandersetzung beendet. Allerdings nur in Europa, in anderen Teilen der Welt, im Pazifikraum, in Asien setzte sich der Krieg noch bis in den Herbst 1945 fort. Und jenseits der sich bald als „Eiserner Vorhang“ (Winston Churchill im März 1946) erweisenden Grenzziehung der Einflusszonen von westlicher Demokratie und Sowjetsozialismus etwa mündete die Zerschlagung des menschenverachtenden nationalsozialistischen Unrechtsregimes in neue Formen der Unfreiheit, die erst in der europäischen Freiheitsrevolution von 1989 überwunden wurden.

Zwischen Besatzung und Befreiung: Deutsche Deutungen

Im Mai 1945 waren sich die Alliierten insoweit einig, dass Deutschland, so die vom amerikanischen Präsidenten Harry S. Truman gebilligte Direktive 1067, „nicht besetzt (wird) zum Zwecke seiner Befreiung, sondern als besiegter Feindstaat“. Im kollektiven Umgang der Deutschen in den ersten Jahrzehnten nach dem Krieg dominierte die Erleichterung über das Ende der kriegerischen Gewalt, erst allmählich wich diese unmittelbare Erfahrung der überlebenden Zeitgenossenschaft allmählich dem Bewusstsein einer „Befreiung vom Nationalsozialismus“. In der DDR war dies dagegen von Anfang an das verordnete staatliche Selbstverständnis und wurde als offizieller Feiertag bis 1967 begangen. Mit dieser Wendung tat sich die freiheitliche Gesellschaft im westlichen Deutschland schwerer, erst die bekannte Rede von Bundespräsident Richard von Weizsäcker 1985 führte zu einer breiteren – über die Intellektuellen hinausweisenden – öffentlichen Debatte über den Charakter des 8. Mai.

Bundespräsidenten prägen das öffentliche Erinnern

Dabei berührte Weizsäcker eigentlich kaum Neuland, denn viele Jahre zuvor hatten bereits die beiden liberalen Bundespräsidenten Theodor Heuss und Walter Scheel den Boden für ein umfassenderes Verständnis der Erinnerung an den 8. Mai bereitet. Heuss stellte seinen Zeitgenossen 1949 die Ambivalenz des Erlebten vor Augen, als er im Parlamentarischen Rat bei der Beschlussfassung des Grundgesetzes die Symbolkraft dieses Datums befragte: „Im Grunde bleibt dieser 8. Mai die tragischste und fragwürdigste Paradoxie der Geschichte für jeden von uns. Warum? Weil wir erlöst und vernichtet in einem gewesen sind.“ Und es war dann Walter Scheel, der als Bundespräsident und FDP-Ehrenvorsitzender 1975 erstmals den Gedanken der Befreiung offen ansprach: „Wir wurden von einem furchtbaren Joch befreit, von Krieg, Mord, Knechtschaft und Barbarei. Und wir atmeten auf, als dann das Ende da war. Aber wir vergessen nicht, dass diese Befreiung von außen kam, daß wir, die Deutschen, nicht fähig waren, selbst dieses Joch abzuschütteln, daß erst die halbe Welt zerstört werden mußte, bevor Adolf Hitler von der Bühne der Geschichte gestoßen wurde.“

Von Schuld, Leid und internationaler Neuordnung

Seitdem prägen vor allem die Fragen von Leid und Schuld das Gedenken an den „8. Mai 1945“. Die Erinnerung wäre aber nicht vollständig ohne den Blick auf die damalige Neuordnung nicht nur der deutschen Gesellschaft, sondern auch der internationalen Staatengemeinschaft. Die Überwindung des Nationalsozialismus durch militärische Mittel war das eine, Deutschland in die Wertegemeinschaft der liberalen Demokratien zurückzuholen das andere. Freiheit und Sicherheit sollten zum Ausgangspunkt einer internationalen Neuordnung werden. Die Verflechtung in internationalen Organisationen und ein breit gespanntes Netz multilateraler Politik sollten wechselseitigen Schutz, Wiederaufbau und wirtschaftliche Erholung auch der bisherigen Kriegsgegner gewährleisten. Zum entscheidenden Faktor wurde dabei die faktische Führungsrolle der USA, die damit weltpolitische Verantwortung wahrnahmen und sich auch nach Ende des Krieges nicht auf den früheren Isolationismus aus der Zeit vor den Weltkriegen zurückzogen.

Die Rolle der USA und der Weg zur europäischen Integration

Bereits in der Atlantikcharta vom August 1941 waren erste Grundsätze festgelegt worden, die auch für die Nachkriegszeit Gültigkeit besitzen sollten, zuvorderst internationale Kooperation und das Selbstbestimmungsrecht der Staaten auf gleichberechtigter Grundlage. Auf der Konferenz von Bretton Woods beschlossen die beteiligten Staaten 1944 ein mehrschichtiges System zur Krisenbewältigung, wirtschaftlichen Entwicklung und Währungspolitik, zu dem dann der Internationale Währungsfonds, die Weltbank und die Organisation für europäische wirtschaftliche Zusammenarbeit (später OECD) gehörten. Flankiert wurde es vier Jahre darauf durch das – nach dem US-Außenminister George C. Marshall benannte – Konjunkturprogramm, das als Hilfe zur Selbsthilfe gedacht war und neben Krediten auch Rohstoffe, Lebensmittel und Waren bereitstellte. Das 1947 abgeschlossene Allgemeine Zoll- und Handelsabkommen (GATT), dem das westliche Deutschland 1951 beitrat, beschleunigte den Abbau von Zöllen und Handelshemmnissen erheblich. Die Grundsätze – Gleichbehandlung und Verbot der Diskriminierung – haben sich als leitende Prinzipien einer freiheitlichen Wirtschaftsordnung bewährt. Die Liberalisierungspolitik sollte schließlich ein erster Schritt zur europäischen Integration werden. Das Angebot einer liberalen Grundordnung galt dabei für alle Nationen – auch über Europa hinaus.

Hoffnungen auf eine neue Weltordnung und die Realität des Kalten Krieges

Die damalige Hoffnung auf eine globale Weltordnung von Frieden und Freiheit währte allerdings nur kurz. Dass sich die meisten Staaten innerhalb des Einflussbereichs der Sowjetunion nicht beteiligen konnten, wies bereits auf den Zerfall der Anti-Hitler-Koalition, die den Systemkonflikt nur kurzzeitig verdeckt hatte. Der Kalte Krieg stärkte die mit der Truman-Doktrin 1947 eingeleitete Politik des containment. Dennoch sorgte selbst unter den Bedingungen der bipolaren Weltlage die vor achtzig Jahren ins Leben gerufene Ordnung für relative Stabilität – und sie erlebte den Höhepunkt ihrer Wirksamkeit und Attraktivität mit der Revolution 1989 in Ost- und Mitteleuropa. In einer langen zeitlichen Perspektive hatte sich die Zäsur 1945 als ein erfolgreicher Aufbruch erwiesen – „ein Ende, das ein Anfang war“ (Hermann Rudolph).

Der 8. Mai als Mahnung für die Gegenwart

Jedoch steht die über Jahrzehnte in Europa geschaffene liberale Ordnung unter Druck, ja ist teilweise gebrochen, das wissen wir spätestens seit dem Überfall Russlands auf die Ukraine vor drei Jahren. In vielen Ländern werden Grundsätze der liberalen Demokratie in Frage gestellt, nun noch dramatisch verschärft durch die aktuelle US-amerikanische Abkehr von den Prinzipien der multilateralen Verflechtung und Menschenrechtspolitik. Die Büchse der Pandora ist wieder geöffnet. Angesichts dessen gewinnt der heutige Gedenktag des 8. Mai 1945, die Befreiung von einem Unrechtsregime, besondere Bedeutung: Er mahnt daran, dass Freiheit, Zivilgesellschaft und Demokratie immer wieder neu und rechtzeitig verteidigt werden müssen. An ihn als einen „Tag der Befreiung“ zu erinnern, ist nur gerechtfertigt, wenn wir tatsächlich bereit sind, heute aktiv Verantwortung für die Bewahrung damals wieder gewonnener Freiheit, Rechtsstaatlichkeit und Demokratie zu übernehmen.

Veranstaltungshinweise

15 Mai
15.05.2025 19:00 Uhr
Karlsruhe

Schicksalsjahr 1945 – 80 Jahre nach dem Kriegsende

Eine Lesung mit dem Filmregisseur und Bestsellerautor Volker Heise