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Thailand
Das System schlägt zurück

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© picture alliance / ZUMAPRESS.com | Chaiwat Subprasom

Thailand hat den Druck auf Demokratieaktivisten massiv gesteigert. Gegen Dutzende Personen laufen Verfahren, die zu jahrzehntelangen Haftstrafen führen könnten. Die Protestbewegung hat Momentum verloren – doch ihre Anführer geben noch nicht auf.

Es hätte Bunkueanun 'Francis' Paothongs letzter Tag in Freiheit sein können. Er nutzte ihn, um auf die Forderungen der thailändischen Demokratiebewegung aufmerksam zu machen. “Wir wollen ein besseres Leben als wir jetzt haben”, sagte Bunkueanun auf einer Veranstaltung der Friedrich Naumann Stiftung für die Freiheit Thailand und dem thailändischen Think Tank ISIS Ende März. “Derzeit herrschen wirtschaftliche und soziale Ungleichheit sowie politische Ungleichheit.” Thema der Veranstaltung war das harte juristische Vorgehen des Staates gegen Aktivistinnen und Aktivisten.

Einen Tag später hat Bunkueanun einen zuvor anberaumten Gerichtstermin – wegen eines ihm vorgeworfenen Vergehens im vergangenen Oktober. Erwartungsgemäß klagt ihn die Staatsanwaltschaft wegen “Gewaltakten gegen die Königin oder ihre Freiheit“ an. Bei einer Verurteilung könnte der 21-Jährige sowie vier weitere Aktivisten bis an ihr Lebensende ins Gefängnis geschickt werden. Weil das Gericht eine Kaution akzeptiert, dürfen sie zunächst in Freiheit bleiben.

Die Ermittler werfen den Aktivisten vor, bei einem Protest im Oktober den Konvoi der Königin angegriffen zu haben. Der hatte zuvor überraschend seine Route geändert und passierte eine Demonstration. Auf einem Video ist zu sehen, wie Polizisten Demonstranten von den Fahrzeugen zurückdrängen. Der Konvoi muss aber nicht anhalten und passiert die Menschenmenge letztendlich.

Die nun erhobenen Anklagen sind ein weiterer Schlag der thailändischen Justiz gegen die Demokratiebewegung, die im vergangenen Jahr international Schlagzeilen machte. Die Bewegung hat drei Kernforderungen: Sie verlangt den Rücktritt von Regierungschef Prayuth Chan-ocha, eine Verfassungsreform sowie eine Machtbegrenzung der Monarchie.

Bisher konnten die vorwiegend junge Leute keines ihrer ausgerufenen Ziele erreichen. Stattdessen hat die Bewegung massiv an Momentum verloren. Zwar finden weiterhin Demonstrationen statt, doch kommen meistens nur ein paar Tausende Menschen. Im vergangenen Jahr zogen die Protestveranstaltungen noch Zehntausende an. 

Lange Haftstrafen befürchtet

Die Bewegung hat es nicht geschafft, die breite Bevölkerung auf ihre Seite zu ziehen. Zwar gab es im vergangenen Jahr tatsächlich Ansätze einer öffentlichen Debatte über die Rolle der Monarchie im Königreich. Doch könnte auch diese vorsichtige Diskussion schon bald wieder vorbei sein.

Für den Bedeutungsverlust der Bewegung gibt es mehrere Gründe: Zum einen lässt die Regierung mittlerweile die Justiz mit aller Härte gegen Schlüsselfiguren vorgehen. Mehr als hundert unterschiedliche Verfahren wurden gegen Aktivistinnen und Aktivisten wegen unterschiedlicher Vergehen eröffnet.

Gegen mindestens 82 Personen wird wegen Majestätsbeleidigung ermittelt, darunter sind auch Minderjährige. Einige der Angeklagten könnten zu mehreren Jahrzehnten Haft verurteilt werden. „Die Regierung verwendet das Rechtssystem als Waffe“, sagte Kasit Piromya, ein ehemaliger Außenminister Thailands, auf der Veranstaltung der Naumann-Stiftung und ISIS.

Weil eine kleine aber radikale Minderheit auch Gewalt anwendete, hatte die Polizei außerdem einen Vorwand deutlich aggressiver gegen Demonstranten vorzugehen. Zuletzt setzte sie Gummigeschosse ein. Polizisten lösten außerdem ein Protestlager der Bewegung auf und nahmen dabei mindestens 70 Menschen fest. Die Staatsgewalt begründete die Aktion mit der Durchsetzung von Seuchenschutzgesetzen.

„Wir wollen, dass die Menschen frei leben können“

Beobachter vermuten, dass die Bewegung erfolgreicher gewesen wäre, wenn sie das Thema Monarchie zunächst ausgeklammert hätte. Tatsächlich zielten viele Demonstrationen zum Höhepunkt der Proteste fast nur noch gegen das Königshaus. Für thailändische Konservative, und davon gibt es viele, ist die Monarchie aber weiterhin ein Tabu. Die teils massive Kritik am Königshaus könnte sie abgeschreckt haben, sich mit den jungen Leuten zu solidarisieren - selbst wenn sie viele andere Forderungen, wie beispielsweise eine Verfassungsreform und Neuwahlen, begrüßt hätten.

Auch die Art und Weise, wie manche jungen Leute Regierung und Monarchie kritisierten, missfiel vielen Thailändern, insbesondere den Älteren. ”Bitte verwendet keine unflätige Sprache. Das ist für niemanden in der thailändischen Gesellschaft akzeptabel“, sagte Ex-Außenminister Kasit. “Ihr müsst mit euren Forderungen höflich bleiben.” 

Prinzipiell hat Kasit durchaus Verständnis für die Demonstranten. “Die Fragen, die ihr stellt, sind alle nachvollziehbar”, sagte er. Er rät der Demokratiebewegung aber dazu, genauer zu formulieren, was ihre eigentlichen Ziele sind und wie Thailands politische System in Zukunft aussehen soll. 

Tatsächlich gibt es unter den jungen Demonstranten unterschiedliche Ansichten, insbesondere was eine künftige Rolle der Monarchie betrifft. Manche Demonstranten streben mittlerweile eine Republik an, andere wollen den politischen Einfluss des Königshauses nur begrenzen. Für Kritik sorgte aus den eigenen Reihen auch eine Kampagne namens “Restart Thailand”, die sich an kommunistische Ideale anlehnte.

Aktivist Bunkueanun kann die Punkte des ehemaligen Außenministers nachvollziehen, zumindest teilweise. “Diese Bewegung ist nicht perfekt. Es gibt viele Kämpfe und Konflikte zwischen den Gruppen. Aber das heißt nicht, dass wir nicht das gleiche Ziel verfolgen: Wir wollen, dass die Menschen frei atmen und leben können - ohne die Kontrolle der Regierung.” 

 

Frederic Spohr ist Büroleiter der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit in Thailand und Myanmar mit Sitz in Bangkok.