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50 Jahre Freiburger Thesen
Das Eigentum findet in der Freiheit seine Begründung und Begrenzung

Ein Aufsatz von Claus Dierksmeier
Freiburger Thesen

Liberalismus ist nicht Besitzindividualismus oder Klientelpolitik für Reiche. Aber er kann dazu verkommen. Dem wollten die Freiburger Thesen entgegenwirken – mit der Festlegung: „Nicht die Freiheit hat im Eigentum, sondern das Eigentum in der Freiheit seine Begründung und Begrenzung.“ Dass dies mehr als nur eine wohlfeile These darstellt, dass diese Festlegung vielmehr exakt dem Wesen der Freiheitsidee entspricht, möchte ich hier im Rückblick auf die Lehren des Philosophen Karl Christian Friedrich Krause (1781–1832) zeigen. Denn dieser – hierzulande vergessene, in Spanien und Lateinamerika sehr verehrte – Denker verpflichtete schon um 1800 den Freiheitsgebrauch auf globale und intergenerationelle Verantwortung. Seine Lehre liefert wichtige Impulse für gegenwärtige Versuche, die Idee der Freiheit mit dem Streben nach moralischer, sozialer und ökologischer Nachhaltigkeit zu vermitteln. Entlang der Fragen, „wozu“, „woran“ und „von wem“ Eigentum erworben werden können soll, stelle ich Krauses Überlegungen zu Begründung und Begrenzung des Eigentums durch die Idee der Freiheit dar.

Eigentum – wozu?

Der Sinn allen Privateigentums ist nach Krause, dass „das Äußere […] in die Abhängigkeit von der Freiheit der Rechtsperson gestellt werde“. Menschen sollen Eigentum unter „Ausschluss aller anderen Personen“ erlangen können, damit jede Person einen geschützten „Freiheitskreis“ erhalte, in dem sie sich individuell verwirklichen kann. Der Ausschluss anderer ist sekundäre Rechtsfolge einer primären und rechtfertigungsbedürftigen Beziehung auf Güter. Das Recht zur Ab- und Ausgrenzung definiert also nicht das Privateigentum. Vielmehr zieht umgekehrt das Recht auf Eigentum bisweilen – jedoch nicht immer – bestimmte Abgrenzungs- und Ausschlussrechte nach sich.

Krause nimmt Eigentum vom Blickwinkel universaler Freiheit aus in Augenschein und stuft so den Konflikt zwischen Privat- und Allgemeininteresse vom Philosophisch- Prinzipiellen aufs Rechtlich- und Politisch-Pragmatische herunter: Sachen sollen – prinzipiell – im Interesse der Freiheit aller genutzt werden. Die Berücksichtigung der Allgemeinheit wohnt demnach dem Recht zum Privatisieren von Gütern von Grund auf inne. Sie kommt jedem Eigentum als interne Grenze, nicht als externe Schranke, zu. Da alles irgendwie irgendwem irgendwann als Mittel zum Zwecke der Freiheit dienen kann (zum Beispiel zukünftigen Generationen in heute noch unvorhersehbarer Weise), plädiert Krause für ein – rechtliches – Verbot, Sachen sinnlos zu zerstören und stellt – politisch – die Forderung auf, dafür zu sorgen, dass Dinge so zugeordnet und in Dienst genommen werden, dass sie möglichst viel und möglichst vielen Freiheit verschaffen.

Beispiel: Nicht-Eigentümern gesteht Krause stets Nießbrauch zu, wo dies zu einer für die Freiheit aller vorteilhafteren Güternutzung führt. Formen des Gesellschaftseigentums oder auch dingliche Rechte am Eigentum anderer wie Gebrauch, Wohn- und Wegerecht sollen ebenfalls möglichst breit ansonsten (zu) knapp genutzte Güter zugänglich machen.

Eine Attacke auf die private Eigentumsfreiheit ist das in Krauses Augen nicht. Obschon es ein unbedingtes Recht darauf gibt, überhaupt Eigentum zum eigenen, freien Gebrauch zu haben, erkennt Krause nur bedingte Rechte auf bestimmte Güter an. Krause operiert mit einem relativen Eigentumsbegriff, keinem absoluten: Eigentum kann nie Selbstzweck, sondern muss stets erkennbar Mittel zum Zweck universaler Freiheit sein.

Um im Namen der Freiheit wirklich aller schutzwürdig zu sein, hat Eigentum, vereinfacht gesagt, sozialverträglich und nachhaltig gebraucht zu werden. Im Regelfall unterstellt dies der Staat im Vertrauen auf die Selbstverantwortung der Eigentümer, jedoch behält die Rechtsgemeinschaft sich (präventiv) im Falle höchst lebensrelevanter Güter das Recht zu Kontrollen vor (bspw. bei der Grundwasserversorgung) oder auch (reaktiv) bei grobem und offenkundigem Missbrauch. Jenes Eingriffsrecht reicht bis hin zu – entschädigungspflichtigen – Enteignungen.

Krause ordnet demnach die soziale Dimension des Eigentums weder der privaten vor (wie Kommunisten), noch (wie Libertäre) nach. Vielmehr behandelt er die soziale Dimension als ein dem Eigentumsgedanken selbst innewohnendes regulatives Prinzip. Ein klassischer Anwendungsfall ist die sozialstaatliche Grundsicherung: Wenn der Staat das Vermögen der einen besteuert, um anderen zu einem Start ins eigene Leben zu verhelfen, verletze dies nicht die Eigentumsfreiheit, sondern manifestiere ihr innerstes Prinzip, so Krause. Durch Auflagen im Interesse der Freiheit aller werde die Freiheit einzelner Eigentümer eben verwirklicht, keinesfalls verwirkt.

Eigentum – woran?

Mit den Mitteln des Eigentumsrechts will Krause eine gesunde Mittelstellung finden zwischen den „entgegenstehenden Forderungen der Gütergemeinschaft einerseits und des strengen (absoluten) Privateigentums“ andererseits. Um dieser doppelten Distanz willen erklärt er, man könne zwar (in juristischer Hinsicht) Eigentum an etwas haben, nie aber (ontologisch gesehen) absoluter Eigentümer von etwas sein. Diese zunächst etwas sperrige Unterscheidung zielt vor allem gegen die Lehre vom „unbedingten Besitz“, demzufolge ein Eigentümer mit seiner Sache stets tun könne, „was ihm beliebt und gelüstet“. Ein solches Verständnis von Eigentum als das Innehaben von Rechten ohne jegliche Rücksicht auf andere gehe fehl. Denn, wie gesagt, Eigentumsrechte gelten nie total, nur funktional; und ihre wesentliche Funktion ist Freiheit.

Ein Beispiel dazu: Tiere, so Krause, verfügen über ein hinreichendes Niveau an sowohl Freiheit (Selbststeuerung) als auch Personalität (individuelles Innenleben), so dass es geboten erscheint, sie nicht als bloße Sachen zu betrachten und zu behandeln, sondern als Lebewesen, die sich zuallererst selbst gehören. Besitz- und Gebrauchsrechte über Tiere können dennoch erworben werden, müssen sich aber daran messen lassen, ob sie der partiellen Autonomie und den daraus resultierenden Grundrechten der Tiere gerecht werden. Dass Tiere derlei nicht einfordern oder gar für ihre Rechte Gegenleistungen erbringen können, ist unerheblich. Hier wie auch im Falle von Menschen, die sich der ihnen zustehenden Rechte nicht effektiv bedienen oder diese durch Eigenleistung erwerben können (kleine Kinder, Menschen mit schweren geistigen Behinderungen), habe die Rechtsgemeinschaft die betreffenden Rechte stellvertretend zu sichern.

Weiteres Beispiel: Geistiges Eigentum bzw. Eigentum an „geistigen Sachen“. Krause zufolge erwerben dessen Schöpfer kein unumschränktes Recht auf ihre Produkte, wohl aber einen – seinerseits im Lichte der Freiheit aller zu konturierenden – Anspruch auf wirtschaftlichen Profit. Entschädigungspflichtige Eingriffe, zum Beispiel bei Texten oder Erfindungen von hohem allgemeinem Interesse, seien legitim. Mögliche Anwendungen dieses Gedankens, etwa im Hinblick auf pharmazeutische Generika in Entwicklungsländern, liegen auf der Hand.

Dabei ist Krause kein Freund von Gleichmacherei. Denn dem für alle gleichen Recht auf Eigentum als Mittel zum Zweck der Freiheit entspringt und entspricht auch ein Recht, sich (etwa durch Leistung und Fleiß) ungleich zu machen. So lassen sich Vermögensunterschiede rechtfertigen. Allerdings sei keineswegs jegliche Ungleichheit Ausdruck von Freiheit oder Abdruck individuellen Strebens. Wo Ungleichheit besteht, weil Chancen fehlen, herrscht Unfreiheit. Wo die Exklusivität privater Eigentumsverhältnisse der Inklusivität des Freiheitsprinzips widerstreitet, sei folglich nicht diese, sondern jene aufzuheben.

Eigentum – von wem?

Die Erde, so Krause, gehört allen Weltbürgern, gegenwärtigen wie zukünftigen, gemeinsam. Auf Weltteilhabe hat jeder Mensch ein Freiheitsanrecht. Wer immer etwas in Besitz nimmt, hat daher das Recht anderer auf Weltteilhabe – und mithin eine Wirksphäre für ihre Freiheit – zu wahren. Das lässt sich nicht im Alleingang leisten, sondern nur durch eine Rechtsgemeinschaft aller Menschen. Ein Rechtszustand sei anzustreben, in der „jedem Erdbürger, wohin er auch käme, überall sein eigenstes persönliches Recht geleistet“ werde. So wie die Weltbürger als Einzelne für sich Menschenrechte beanspruchen, sollen sie gemeinsam dafür sorgen, dass eben jene Rechte auch für alle anderen wirksam werden; und zwar unabhängig davon, wie weit entfernt (räumlich oder zeitlich) jene anderen leben. Zukünftige Generationen werden daher von Krause ausdrücklich mitgedacht.

Menschenrechtlich besehen seien auch die Fernsten unsere Nächsten – und treten mit einem gleichwertigen Anspruch auf Weltteilhabe auf. Demzufolge sei die Erde als „das ursprüngliche äußere Eigentum der Einen ganzen Menschheit“ anzusehen, weshalb im letzten Grunde „alles allen zu vernünftigen Zwecken auf gleiche Weise“ gehört. Um dieser Idee vom ursprünglichen Gemeinbesitz der Erde gerecht zu werden, braucht es nach Krause eine kosmopolitische Ordnung, welche alle bisherigen (lokalen, nationalen und regionalen) Rechtssysteme überformt und, wo nötig, transformiert. Der Sorge, dies könne zu einem Staatsmoloch und einer Weltmonokultur führen, begegnet Krause mit dem Hinweis, dass es auch zukünftig noch etliche Lebensbereiche geben werde und solle, deren individuelle und kollektiv-kulturelle „Selbständigkeit erhalten werden muss“. Historisch erworbene Besitztümer unterliegen dem Revisionsrecht jener anzustrebenden Weltrechtsgemeinschaft lediglich insoweit, als sie die Verwirklichung der Grundrechte andernorts verhindern. Völker etwa, die wegen kolonialen Unrechts oder durch Naturkatastrophen darben, seien auf Kosten begünstigterer Nationen besserzustellen.

So bringt Krause schon kurz nach 1800 den kritischen Impuls der Freiburger Thesen, Freiheit nicht nur als Grund des Privateigentums, sondern ebenso als dessen Grenze zu begreifen, gerade auch in globaler Hinsicht in Stellung – und mit Konzepten, die z.T. auch heute noch ihrer Einlösung harren.

Claus Dierksmeier ist Professor für Globalisierungsethik an der Universität Tübingen