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Veranstaltung
Bildungspolitik ist eine Mutfrage

100. Geburtstag von Hildegard Hamm-Brücher
Hamm-Brücher
© picture-alliance / dpa | Ursula_Düren  

Dieses Jahr wäre der 100. Geburtstag der großen Liberalen gewesen. Der Gründer der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit, Theodor Heuss, holte sie in die Politik. Als Bildungsreformerin wurde sie bekannt. Als Reformerin für Demokratie und Bürgerrechte bleibt sie uns in Erinnerung. Auf einer Gedenkveranstaltung wollen wir an die große Liberale erinnern.

Seit Beginn ihrer politischen Arbeit in den Nachkriegsjahren galt die 1921 geborene Hildegard Hamm-Brücher als eine unabhängige Liberale, als eine Politikerin, die – mit einem starken moralischen Kompass ausgestattet – bereit war, auch unbequem zu sein, wenn es der Einsatz für Frauen- und Bürgerrechte erforderte. Mit ihren Reden und zivilgesellschaftlichem Engagement prägte sie über lange Zeit liberale Werte in der Öffentlichkeit.

Ihr Einsatz speiste sich aus der Sorge um die liberale Demokratie; nicht selten lösten ihre Stellungnahmen Diskussionen aus, die zur Selbstverständigung der Gesellschaft beitrugen. Ihre großen Themen wurden die demokratische Bürgergesellschaft und die Bildungspolitik. Beides hing eng miteinander zusammen, denn Demokratie fing für Hamm-Brücher bereits mit der Schule an. Schon 1947 hatte sie eine Schulreform unter dem Leitmotiv „gleiche Chancen für alle“ gefordert. Später war sie mit einem Volksbegehren gegen die bayerische Konfessionsschule erfolgreich. Die Einübung demokratischer Spielregeln in der Schule sei, so Hamm-Brücher, das beste Mittel gegen jegliche Form von Radikalismus.

Den Ruf einer exzellenten Bildungs- und Kulturpolitikerin hatte sich die populäre Liberale, die auch eine erfolgreiche Wahlkämpferin war, in ihrer Tätigkeit als Stadträtin 1948 in München – damals übrigens die jüngste Frau in dieser Funktion in Deutschland – und dann in vielen Jahren als Abgeordnete im Bayerischen Landtag erworben. 1967 wurde sie in das Hessische Kultusministerium berufen und zwei Jahre später, nach Bildung der sozialliberalen Koalition, in das Bundesbildungsministerium, jeweils als Staatssekretärin.

„Bildungspolitik“, so Hamm-Brücher, sei „die wichtigste Form der Sozialpolitik“ und Teil einer liberalen gesellschaftlichen Emanzipationsbewegung. Mit Ralf Dahrendorf war sie sich über die Notwendigkeit eines „Bürgerrechts auf Bildung“ einig. Das Bildungssystem zu reformieren, hieß für Hamm-Brücher, statt „hierarchischer Entscheidungsstrukturen […] neue Kooperationsmodelle“ zu erproben. Also in Schulen und Hochschulen offene Strukturen, Chancengerechtigkeit, die Entfaltung individueller Begabungen und die Einübung demokratischer Tugenden und Praktiken zu ermöglichen.

Kooperation und partnerschaftliche Zusammenarbeit waren auch ihre Themen als Staatsministerin im Auswärtigen Amt, in das Hans-Dietrich Genscher sie von 1976-1982 berief. Hier entwickelte sie die Kulturarbeit zur „dritten Säule“ der Außenpolitik neben Diplomatie und Wirtschaft. Eine politische Zäsur gab es 1982, als sie den Koalitionswechsel der FDP mit Hinweis auf die Gewissensfreiheit der Abgeordneten ablehnte. In der Öffentlichkeit galt sie fortan als couragierte und unabhängige Liberale.

Der Abschied aus dem Bundestag 1990 bedeutete für Hildegard Hamm-Brücher keineswegs den Rückzug in die Zuschauerrolle. Im Gegenteil – sie weitete nun ihre zivilgesellschaftliche Tätigkeit aus und förderte zahlreiche, auf Teilhabe an der Demokratie zielende Projekte. Mit diesen wollte die Menschen zu einer möglichst breiten Partizipation für eine „Demokratie als Lebensform“ befähigen, wie sie es in Anlehnung an ihr politisches Vorbild Theodor Heuss nannte. Zur Ermutigung dieser Impulse diente Hamm-Brücher auch die ihr 1964 mitbegründete Theodor-Heuss-Stiftung.

1994 kehrte sie noch einmal in die aktive Politik zurück, als sie für die FDP als erste Frau überhaupt für das Amt des Bundespräsidenten kandidierte. Sie erhielt dabei in den ersten Wahlgängen auch zahlreiche Stimmen anderer Parteien – ein deutliches Zeichen für die breite Anerkennung ihres jahrelangen Wirkens.

Zunehmend verstand sie sich als „freischaffende Liberale“ und kämpfte leidenschaftlich bis ins letzte Lebensjahr für einen aktiven demokratischen Bürgersinn: „Der organisierte und nicht organisierte Liberalismus, alle Verfechter und Hüter der Freiheit also – und nicht ihre Feinde –, sollten sich an die Spitze dieser Bürgerbewegung setzen.“ Unermüdlich beklagte sie die Geschichtsvergessenheit; maßgeblich für ihr politisches Handeln empfand sie einen Leitsatz aus den Flugblättern der Widerstandsgruppe „Weiße Rose“: „Zerreißt den Mantel der Gleichgültigkeit, den ihr um Euer Herzgelegt habt“. Diesen dramatischen Appell verstand Hamm-Brücher als Auftrag, wo immer es notwendig war, „gegen Wegsehen, Intoleranz und mangelnde Zivilcourage anzukämpfen“.

Hildegard Hamm-Brücher, die 2016 im hohen Alter von 95 Jahren verstarb, verkörperte einen Liberalismus, „der sich für Bürgerrechte, Zivilcourage und demokratische Kultur einsetzte“, betonte Joachim Gauck, der damit auch die zukünftige Verpflichtung benannte.