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Montanunion
70 Jahre EGKS: Neue Herausforderungen für die Europäische Gemeinschaft

Michael Georg Link über ein Jubiläum, das Mut machen muss
Gründung Montanunion
Unterzeichnung des Montanunion-Vertrages am 18. April 1951. Die Außenminister der sechs Mitgliedsstaaten bei der Unterzeichnung im Uhrensaal des Außenministeriums in Paris. © picture-alliance / AKG | -

Mit der Montanunion erwuchs aus den Trümmern und Kriegsfeldern Europas mehr als die erste supranationale Organisation des Kontinents. Die Unterzeichnung des Vertrags von Paris am 18. April 1951 markiert die Geburt eines sich über die kommenden Jahrzehnte entwickelnden Lebensgefühls, das Generationen und ihr Zusammenleben geprägt hat. 1951 wurde der Grundstein gelegt für ein Europa in Frieden, Freiheit und Wohlstand.

Der Schuman-Plan, der den Weg zur Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS) ebnete, war dabei idealistisches und realpolitisches Meisterwerk zugleich.

Mit der gemeinschaftlichen Organisation der Schwerindustrie sollten die materiellen Voraussetzungen eines weiteren Krieges zwischen den Erzfeinden Frankreich und Deutschland unmöglich gemacht werden. Gleichzeitig entstand durch die EGKS ein gemeinsamer Markt für Kohle und Stahl zwischen den sechs Gründungsmitgliedern Frankreich, Italien, Luxemburg, Niederlande, Belgien und Deutschland. Er wirkte wie ein Katalysator für das wirtschaftliche Wachstum der kommenden Jahrzehnte und ermöglichte den Beginn einer vertrauensvollen Zusammenarbeit in Westeuropa.

Dass dabei nur sechs Jahre nach Ende des Zweiten Weltkrieges maßgebliche Souveränitätsrechte auf gemeinsame europäische Institutionen übertrugen wurden, ist bis heute in jeder Hinsicht mutig und visionär. Diesen Mut gilt es auch heute zu beweisen.

Neue Herausforderungen für die Europäische Gemeinschaft

Siebzig Jahre nach Gründung der EGKS steht die Europäische Union neuen Herausforderungen gegenüber: die Bewältigung der Corona-Pandemie, die Stärkung der globalen Handlungsfähigkeit, die Ausgestaltung der Digitalisierung, der Schutz der liberalen Demokratie, der Kampf gegen den Klimawandel. Courage! Nur Mut! Würden uns die Gründungsväter der Montanunion vielleicht heute zurufen.  

Und so gilt es, einerseits den Raum zu nutzen, den uns die europäischen Verträge schon heute für Reformen zugestehen. Dazu gehört etwa die Einführung von Mehrheitsentscheidungen in der gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik, damit die EU eine starke Rolle in der Weltpolitik einnehmen kann. Außerdem sollte die Europäische Kommission verkleinert und die Ressorts der Kommissare reformiert werden, um die Effizienz und Durchsetzungskraft europäischer Entscheidungen zu stärken.

Doch anders als die Montanunion, die vor allem ein Projekt der Eliten war, muss die Europäische Union von heute breiter aufgestellt sein. Ihre Zukunftsfähigkeit ist nur dann gesichert, wenn sie ein Projekt der Bürgerinnen und Bürger ist. Und so darf die nun beginnende Konferenz zur Zukunft der Europäischen Union kein Forum der Eliten werden. Stattdessen gilt es, in der Breite Reformvorschläge für unsere gemeinsame Zukunft zu diskutieren.

Zusammenspiel europäischer Institutionen stärken

Als Liberale haben wir vielseitige Ideen, die wir in die Debatte einbringen werden, etwa die Einführung einer „Bildungsfreizügigkeit“, damit junge Menschen ohne bürokratische Hürden in ganz Europa leben und lernen können. Sowie ein stärkerer Mechanismus zur Einhaltung rechtsstaatlicher Prinzipien in den Mitgliedsstaaten. Doch jede Politik kann nur so gut sein wie die Institutionen, die sie gestalten. Daher setzen wir auch auf Reformen, die das Zusammenspiel der europäischen Institutionen und der Mitgliedsstaaten stärken.

Denn nur wenn die Bürgerinnen und Bürger den in Sonntagsreden gepriesenen europäischen Mehrwert in ihrem eigenen Leben spüren, unterstützen sie langfristig auch das Projekt Europa. Das Jubiläum der Montanunion sollten wir daher zum Anlass nehmen, neuen Mut zu schöpfen. Wurde 1951 der Grundstein für ein Europa in Frieden, Freiheit und Wohlstand gelegt, gilt 2021: Neuen Mörtel mischen und ran an die Arbeit!
 

Michael Georg Link MdB ist europapolitischer Sprecher der FDP-Fraktion im Deutschen Bundestag und Mitglied des Vorstandes der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit.