Überwachung
Verschlüsselungsverbot: Die EU fällt in alte Muster zurück - und will den Überwachungsstaat

Nach den Terroranschlägen in Europa
Handy Messenger

Schockwellen, anders lässt sich die Wirkung der Terroranschläge von Wien und Paris nicht bezeichnen. So viel Leid und Elend, pervertiert und verblendet von einem irregeleiteten radikalen Glauben. Und die europäische Politik? Sie fällt in alte Muster zurück. Noch mehr anlasslose Überwachung soll die Antwort sein. 

Staatstrojaner, Anti-Terror Uploadfilter, Vorratsdatenspeicherung – an allen Ecken und Enden wird in Deutschland und Europa über eine Ausweitung behördlicher Eingriffsrechte diskutiert.

Jetzt setzt der europäische Ministerrat zum nächsten Massenüberwachungsvorhaben an. Laut einem erst jetzt bekannt gewordenen Entwurf sollen alle Betreiber von Messenger-Diensten wie WhatsApp oder  Signal  zukünftig einen Generalschlüssel für den behördlichen Zugriff auf verschlüsselte Kommunikation hinterlegen. 

Ein hoch problematisches Vorhaben, nicht nur wegen des Angriffs auf den Datenschutz. Ein solcher Generalschlüssel gefährdet auch die gesamte IT-Sicherheit in dem Messenger-Bereich, ist er doch ein potenzielles Einfallstor für Hacker und Cyber-Kriminelle. Übrigens, allein in Deutschland wird von einem Schaden von fast 90 Millionen Euro ausgegangen. Ganz ähnlich wie beim Staatstrojaner, für dessen Einsatz zur Quellen-TKÜ auch IT-Sicherheitslücken gezielt offengehalten und ausgenutzt werden, wird der immense Schaden für die Gesamtbevölkerung in Kauf genommen. Wir erinnern uns: Selbst die NSA war nicht in der Lage, ihre genutzten Sicherheitslücken geheim zu halten.

Ein Generalschlüssel zur Überwachung von Chats ist ein Werkzeug, von dem Diktatoren träumen. Auch russische Hacker werden sich über die Arbeitserleichterung freuen. Wir dürfen nicht unterschätzen, in welch schwierige Verhandlungsposition die EU mit Autokraten aller Art gerät, wenn sie Überwachungsbefugnisse einführt, die autokratische Regime ebenfalls nutzen. Das deutsche NetzDG zum Beispiel wurde von Russland und der Türkei kopiert, weil es sich ausgezeichnet zur Einschränkung der freien Meinungsäußerung im Netz eignet und mit dem Mäntelchen der Rechtsstaatlichkeit aufgehübscht ist..

Eine bessere Terrorbekämpfung entsteht nicht durch mehr Überwachung. Immer wieder sehen wir, dass klassische – und gründliche – Polizeiarbeit auf Grundlage der bestehenden auch digitalen  Eingriffsrechte am meisten bewirkt. Ganz zu schweigen von der Arbeit der Dienste oder der Zusammenarbeit von Diensten und Polizei. Die österreichische Politik diskutiert gerade, ob es Versäumnisse in Wien gegeben hat. 

Gerade erst im Juli 2020 hat der Europäische Gerichtshof die Regelungen für den geschäftlichen Datentransfer aus der EU in die USA („Privacy Shield“) für rechtswidrig erklärt. Hauptgrund: die europäischen Daten sind dort nicht ausreichend vor dem Zugriff von Behörden wie der National Security Agency (NSA) oder dem FBI geschützt. Amerikanische Verhältnisse will wohl keiner in Europa haben.

Dieser Beitrag erschien erstmalig am 10.11.2020 im Focus.