EN

Internationale Politik
Türkei stimmt Schwedens NATO-Beitritt zu, doch Ratifizierung steht aus

Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan spricht auf einer Pressekonferenz der Nordatlantikvertragsorganisation (NATO)

Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan spricht auf einer Pressekonferenz der Nordatlantikvertragsorganisation (NATO).

© picture alliance / AA | Aytac Unal

Der türkische Präsident Erdoğan zeigte sich im Vorfeld des NATO-Gipfels am 11. und 12. Juli in Vilnius lange kompromisslos, was die Aufhebung seines Vetos gegen den schwedischen NATO-Beitritt anging. Das nordische Land habe seine Forderungen nach einer stärkeren Zusammenarbeit bei der Terrorismusbekämpfung nicht erfüllt und zudem nur wenige Wochen vor dem Gipfel die Verbrennung eines Korans in Stockholm erlaubt. Doch Erdoğan wartete auch auf ein positives Signal aus Washington bezüglich der Lieferung von F-16-Kampfjets. Und in letzter Minute stellte er eine weitere Bedingung: die Wiederaufnahme des EU-Beitrittsprozesses der Türkei. Während er nun sein Veto gegen den NATO-Beitritt Schwedens am Vorabend des Gipfels aufgegeben hat, dürfte die Ratifizierung im türkischen Parlament erst im Oktober erfolgen und bis dahin wiederum ein Druckmittel darstellen.

Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan zeigte sich im Vorfeld des NATO-Gipfels am 11. und 12. Juli in Vilnius lange kompromisslos, was die Aufhebung seines Vetos gegen den schwedischen Antrag auf NATO-Beitritt anging.

Er argumentierte, dass das nordische Land die Forderungen nach einer stärkeren Zusammenarbeit bei der Terrorismusbekämpfung nicht erfüllt habe, und kritisierte Schweden auch dafür, dass es nur wenige Wochen vor dem Gipfel die Verbrennung eines Korans in Stockholm erlaubt habe.

Doch Erdoğan wartete auch auf ein positives Signal aus Washington. Denn es ist inzwischen ein offenes Geheimnis, dass die Ratifizierung des Beitritts Schwedens durch das türkische Parlament an die Zustimmung des US-Kongresses zum Verkauf von F-16-Kampfjets an die Türkei geknüpft wurde.

In letzter Minute stellte Erdoğan dann eine weitere Bedingung.  Am Sonntag, dem 9. Juli, kurz bevor er Istanbul in Richtung Vilnius verließ, sagte Erdoğan, die Europäische Union (EU) solle zunächst den Weg für den Beitritt Ankaras zur Union freimachen, bevor das türkische Parlament den Beitritt Schwedens genehmige. Der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz wies Erdoğans Versuch, hier eine Verbindung herzustellen, sofort zurück und argumentierte, die beiden Themen hätten nichts miteinander zu tun.

Am 10. Juli, nach einem Treffen mit dem schwedischen Premierminister, schien der türkische Staatschef sein Veto schließlich aufzugeben. Erdoğan erklärte sich bereit, dem Parlament die Ratifizierung „so bald wie möglich“ vorzulegen, wie NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg gegenüber Reportern erklärte. Während sich viele über die Gründe für Erdoğans Positionswechsel wunderten, war die Entscheidung eine große Erleichterung für die NATO-Mitgliedsländer, die nach einer geschlossenen Front gegenüber Russland streben.

Endgültige Entscheidung über Schweden auf Oktober verschoben

Es dauerte jedoch ein paar Tage, bis man begriff, dass die Schweden-Saga noch nicht zu Ende ist. "Die Türkei hat nicht Ja zur NATO-Mitgliedschaft Schwedens gesagt, sondern dazu, den Weg für ihre Mitgliedschaft zu öffnen", erklärte Ömer Çelik, Sprecher der regierenden Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung, am 13. Juli gegenüber einem Nachrichtensender.

In der Tat hat Erdoğan derzeit zugestimmt, dem Parlament die Mitgliedschaft Schwedens zu unterbreiten, nachdem der schwedische Ministerpräsident versprochen hatte, einen Fahrplan vorzulegen, wie er künftig mit den von der Türkei als feindlich betrachteten Gruppen umgehen wird. Hier geht es einerseits um die Sympathisanten der PKK, andererseits um die Anhänger des Geistlichen Fethullah Gülen, den Ankara beschuldigt, den Putschversuch von 2016 inszeniert zu haben.

Doch letztlich soll die Telefondiplomatie zwischen der Türkei und den USA im Vorfeld des Gipfels Erdoğans Haltung aufgeweicht haben.

Telefondiplomatie zwischen der Türkei und den USA

Die zahlreichen Telefongespräche zwischen den Außenministern der Türkei und der USA im Vorfeld des Gipfels führten schließlich zu einem Telefongespräch zwischen Erdoğan und US-Präsident Joe Biden selbst. In diesem bekräftigte Biden, er werde darauf drängen, den US-Kongress zu überzeugen, der bisher nicht bereit war, grünes Licht für den Verkauf der F-16 zu geben. Bidens Entscheidung, während des Gipfels in Vilnius ein bilaterales Treffen mit Erdoğan abzuhalten, hat ebenfalls eine Rolle gespielt, da ein solcher Händedruck dessen Image als „Weltführer“ festigt.

Aber Erdoğan hat sein letztes Wort zu Schweden noch nicht gesprochen, sondern den Ball ins Feld des türkischen Parlaments geworfen. "Wenn die USA die Zustimmung des Kongresses für den Verkauf von F-16 brauchen, dann brauche ich die Zustimmung des Parlaments für Schwedens Mitgliedschaft", sagt Erdoğan in einer typischen Quid-pro-quo-Taktik.

Man kann davon ausgehen, dass Ankara und Washington versuchen werden, die Genehmigungsverfahren in ihren jeweiligen gesetzgebenden Organen gleichzeitig ablaufen zu lassen. Erdoğan wird auch mit einer Einladung von Biden zu einem Arbeitsbesuch in Washington rechnen, der sein Image vor den Kommunalwahlen im kommenden März aufpolieren wird.

Schließlich brachte Erdoğan als zusätzliches Element eine mögliche Wiederbelebung der Beziehungen zwischen der Türkei und der EU ins Spiel, als er die Erwartung äußerte, dass Gespräche über die Modernisierung der Zollunion sowie über die Visaliberalisierung aufgenommen werden. Die Verhandlungen über beide Themen sind aufgrund der demokratischen Rückschritte der Türkei ausgesetzt.

Kritischer EU-Bericht

Erdoğan scheint durch die jüngste Entscheidung der EU-Staats- und Regierungschefs ermutigt, die nach neuen Wegen der Zusammenarbeit mit dem türkischen Staatschef suchen, nachdem dieser in den jüngsten Wahlen ein neues fünfjähriges Mandat erhalten hat. Da die türkischen Beitrittsgespräche eingefroren sind, versuchte die EU nach den Wahlen, Erdoğan die positive Botschaft zu übermitteln, man werde weiterhin mit ihm zusammenzuarbeiten – offenbar auch, um ihn zu ermutigen, seine Einwände gegen die schwedische NATO-Mitgliedschaft aufzugeben.

Doch Erdoğan scheint den Spieß umzudrehen und "diesen Bericht" als Druckmittel gegen die EU einsetzen zu wollen. Der nächste EU-Bericht über die Türkei soll im Oktober veröffentlicht werden, wenn das türkische Parlament aus der Sommerpause zurückkehrt. Es ist sehr wahrscheinlich, dass Erdoğan die Verabschiedung durch das Parlament verzögern wird, bis er den Inhalt des Berichts kennt.

Kurz gesagt, Erdoğan ist es zwar gelungen, als der Führer aufzutreten, der den NATO-Gipfel vor dem Scheitern bewahrt hat, doch indem er die Ratifizierung zum schwedischen NATO-Beitritt auf Oktober verschoben hat, hat er sich immer noch einen Verhandlungsspielraum erhalten. Obwohl viele Beobachter glauben, dass es für Erdoğan sehr schwierig sein wird, einen Rückzieher zu machen und die Entscheidung über Schweden auf unbestimmte Zeit zu verschieben, wird er wohl seine Möglichkeiten ausreizen, um sich diplomatische Vorteile in den Beziehungen zur EU und zu den USA zu sichern.