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China Bulletin
Xi Jinpings bevorstehende dritte Amtszeit und die Zukunft Taiwans

Zhangzhou, China

Militärmanöver der PLAN in  Zhangzhou, China am 27. August 2022

© picture alliance / CFOTO | CFOTO

Chinas Präsident Xi Jinping hat die „Wiedervereinigung mit Taiwan“ als "unvermeidlich" bezeichnet. Viele Menschen in Taipei fragten sich, wie sich Xi auf dem diesjährigen Parteitag zur "Taiwan-Frage" äußern wird - und was seine dritte Amtszeit für die Zukunft der Insel bedeutet. Der stellvertretende CIA-Direktor David Cohen zeichnet dazu ein düsteres Bild. Seiner Einschätzung nach wird die chinesische Volksbefreiungsarmee PLA bis 2027 bereit sein, Taiwan zurückzuerobern. Dieser Zeitplan würde mit dem Ende von Xis dritter Amtszeit und wahrscheinlich dem Beginn seiner vierten zusammenfallen. In anderen Berichten wird behauptet, ein Versuch der gewaltsamen Vereinigung könnte bereits 2024 gestartet werden. Wie realistisch sind die Vermutungen?

Chinas neues Weißbuch zu Taiwan: Keine Samthandschuhe

Kurz nachdem die Sprecherin des US-Repräsentantenhauses, Nancy Pelosi, im Sommer aus Taiwan abgereist war, veröffentlichte der Staatsrat der VR China ein neues Weißbuch zu Taiwan. Es könnte Aufschluss über Xis Taiwanpolitik in den nächsten fünf Jahren geben. Das Weißbuch ist das erste offizielle politische Dokument Pekings zu Taiwan, seit Xi an die Macht kam. Das Dokument war seit einiger Zeit in Arbeit. Der Zeitpunkt der Veröffentlichung deutet darauf hin, dass das Weißbuch bis zum Parteitag zurückgehalten wurde.

Auffällig ist der aggressive Ton des Papiers. Im Vergleich zu den vorherigen Weißbüchern aus den Jahren 1993 und 2000 wird nun häufiger der Begriff "vollständige Vereinigung” verwendet. Das Ziel der Vereinigung wird direkt mit dem Ziel der "nationalen Verjüngung" in Verbindung gebracht - eine Formulierung, die als offizielle politische Ideologie der Pekinger Führung unter Xi gilt. Eine der berüchtigtsten politischen Maßnahmen auf der Basis dieser Ideologie war der Aufruf zur Schaffung einer starken und einheitlichen chinesischen Identität. Schwerwiegende Menschenrechtsverletzungen gegen die Uiguren in Xinjiang sind eine direkte Konsequenz daraus.

In der taiwanischen Bevölkerung ist die chinesische Identität inzwischen so unbeliebt, dass es nicht überraschen würde, wenn Peking nach einer Vereinigung eine ähnliche Politik auf der Insel durchsetzen wollte. Der Botschafter der VR China in Frankreich, Lu Shaye, bekräftigte kürzlich, dass China die Taiwaner nach der "Wiedervereinigung" "umerziehen" werde.

Ein weiterer signifikanter Unterschied zwischen dem Weißbuch 2022 und seinen früheren Versionen besteht in der Frage, was mit Taiwan nach seiner Vereinigung mit China geschehen soll. Formulierungen, die darauf hindeuten, dass Peking keine Truppen oder Personal auf die Insel schicken würde, wurden gestrichen. Auch das Versprechen, dass Taiwan sein kapitalistisches System beibehalten könne, ist verschwunden. Die Botschaft ist klar: Sollte Taiwan ein Teil Chinas werden, dann werden seine derzeitige Autonomie und Freiheit stark eingeschränkt, wenn nicht sogar aufgehoben, sei es im Rahmen des Modells "ein Land, zwei Systeme" oder anderer Modelle.  

Die Vereinigung wird ein harter Kampf sein - keine Herzen und Köpfe

Für die Mehrheit der Menschen in Taiwan, einer selbstverwalteten Insel mit einer blühenden Demokratie, ist es nicht akzeptabel, ihre Freiheit an China zu verlieren. Sowohl die militärische Einschüchterung als auch Pekings Drängen auf die Vereinigung haben zu einer Abneigung der Taiwaner geführt. Der Prozentsatz der Öffentlichkeit, der die KPCh als taiwanfeindlich einstuft, hat einen Rekordstand seit mehr als 20 Jahren erreicht. 

Die meisten Analysten halten es für unwahrscheinlich, dass Xi vor dem Ende seiner dritten Amtszeit eine groß angelegte Invasion Taiwans starten wird, wie einige Medien vermutet haben. Sicherlich haben sich die militärischen Drohungen und wirtschaftlichen Zwangsmaßnahmen Pekings in den vergangenen Monaten verschärft. Die zerrütteten Beziehungen zwischen beiden Seiten der Taiwanstraße werden sich in naher Zukunft kaum wieder verbessern. Einen Krieg, der das Land unweigerlich teurer zu stehen kommen würde, kann sich Peking jedoch nicht leisten, nicht zuletzt wegen der derzeitigen Wirtschaftsflaute in China und anderer Krisen wie der Bankenkrise oder der Corona-Krise im eigenen Land. Die einheitliche Reaktion Europas, der NATO und befreundeter Partner auf Russlands Einmarsch in die Ukraine diente auch als Warnung für China, falls es sich entschließen sollte, Taiwan mit Gewalt zu übernehmen.

Nichtsdestotrotz sollte Chinas Weißbuch zu Taiwan ernst genommen werden. Es handelt sich nicht nur um Propaganda. Die Umsetzung der chinesischen Politik stützt sich auf Verwaltungsrichtlinien und es liegt auf der Hand, dass dieses Weißbuch die Grundlage für künftige Richtlinien sein wird. 

*Yu-Fen Lai ist Programme Officer für digitale Transformation beim FNF Global Innovation Hub in Taipei