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Wie Indien mit seiner Impfdiplomatie China Konkurrenz macht

Indian Flag and Vaccine
Impfdiplomatie in Indien © Source: Allexxandar via Getty Images

Indiens Regierung verschenkt in seiner Nachbarschaft Millionen von Covid-19-Impfdosen. Die Regierung in Neu-Delhi erhofft sich dadurch bessere Beziehungen zu Ländern, die zuletzt zunehmend unter Chinas Einfluss geraten sind.

Während Coronavirus-Impfstoffe rund um den Globus ein knappes Gut sind, zeigt sich Indien im Umgang mit dem begehrten Vakzin großzügig. Zwischen Mitte Januar und Mitte Februar verschenkte die Regierung in Neu-Delhi mehr als sechs Millionen Impfdosen an andere Schwellen- und Entwicklungsländer – ein humanitärer Akt, der bei den Empfängern auf Anerkennung stieß: "Wir haben die Möglichkeit erhalten, schon früh mit der Impfkampagne loszulegen", sagte Nepals Premierminister Khadga Prasad Sharma Oli, der gerade mitten in einer Regierungskrise steckt. "Dafür möchte ich unserem Nachbarn meine Dankbarkeit ausdrücken."

Mit den Impfstofflieferungen macht Indien in weiten Teilen Südasiens von sich reden: Hunderttausende Impfdosen gingen an Länder wie Bangladesch, Myanmar, Bhutan, die Malediven und Sri Lanka. Vielfach nahmen ranghohe Regierungsvertreter die Transporte an den Flughäfen persönlich in Empfang – und lieferten dabei Bildmaterial für wohlwollende Medienberichte über die Hilfe des großen Nachbarlandes. Die Impfgeschenke haben sich für die Regierung in Neu-Delhi damit zu einem außerordentlich effektiven diplomatischen Werkzeug entwickelt: Indien kann sich in der Region als konstruktive Großmacht in Szene setzen – und positioniert sich damit auch als Alternative zu China.

Mit Milliardeninvestitionen im Rahmen ihrer sogenannten Seidenstraßeninitiative hatte die Regierung in Peking ihren Einfluss im Süden Asiens in den vergangenen Jahren massiv ausgebaut. Angesichts begrenzter finanzieller Mittel hatte Indien dem nur wenig entgegenzusetzen. Im Kampf gegen das Coronavirus ist die Ausgangsposition nun deutlich besser: Indien steht als unverzichtbarer Partner da – und hat Chancen, mit seinem Engagement China in den Schatten zu stellen.

Wie Indien setzt auch die Regierung in Peking auf Impfstoffdiplomatie und hat Ländern weltweit versprochen, sie mit den dringend benötigten Ampullen zu versorgen. Doch offenbar haben die Hersteller des Landes Probleme, ihre Exportversprechen zeitnah zu erfüllen. Mehrere Zielländer meldeten zuletzt, dass sich die Lieferungen aus China verzögerten. In Indien läuft zeitgleich die globale Impfstoffverteilung weiter auf Hochtouren: Im Lauf des Februars will das Land insgesamt 24 Millionen Impfdosen ins Ausland schicken – unter anderem an Brasilien und Marokko.

Erlauben kann sich Indien die Versorgung anderer Länder aufgrund seiner besonders leistungsfähigen Pharmaindustrie. Das Serum Institute of India (SII) ist der größte Impfstoffhersteller der Welt und produziert derzeit im Rahmen einer Lizenzvereinbarung täglich rund 2,5 Millionen Dosen des AstraZeneca-Impfstoffs. Damit ist das Angebot an Impfstoffen deutlich größer als die Kapazitäten bei der Durchführung von Impfungen: Zuletzt verabreichten die indischen Gesundheitsbehörden weniger als eine halbe Million Impfdosen pro Tag.

Angesichts des Impfstoffüberflusses hielt sich die öffentliche Kritik an den Exporten bisher in Grenzen. Es mehren sich aber die Forderungen, die Impfkampagne erheblich zu beschleunigen. Es sei unfassbar, dass die Regierung diese nicht deutlich ausweite, während sie gleichzeitig Tag für Tag mit ihrer Impfdiplomatie prahle, beklagte der frühere Botschafter K. C. Singh auf Twitter. Bis Mitte Februar hatte Indien rund neun Millionen Impfungen verabreicht – die Exporte lagen inklusive kommerzieller Verkäufe an andere Länder fast doppelt so hoch.

Weitere Lieferungen in großem Umfang sollen noch folgen: SII will in den kommenden Monaten die internationale Impfinitiative Covax mit 200 Millionen Impfstoffdosen versorgen, die Schwellen- und Entwicklungsländern zugutekommen sollen – über diesen Weg sollen Indiens Vakzine sogar im verfeindeten Pakistan verimpft werden.

Beobachter erwarten, dass sich Indiens Einsatz zumindest kurzfristig auszahlen dürfte: "Die außenpolitischen Vorteile könnten sich als beträchtlich herausstellen", kommentierte Harsh V. Pant, Politologe an der in Neu-Delhi ansässigen Denkfabrik Observer Research Foundation. Er sieht die indischen Vakzindosen als möglichen Türöffner um etwa die angekratzten Beziehungen zum Nachbarn Bangladesch zu verbessern oder Konflikte mit Nepal, das sich zuletzt verstärkt China zugewandt hat, auszuräumen.

Doch die ersten Erfahrungen mit Indiens Impfdiplomatie zeigen auch, dass die Ampullen für die außenpolitischen Probleme des Landes kein Allheilmittel sind und Erfolge rasch verpuffen können: In Sri Lanka hat es Neu-Delhi ebenfalls mit einer Regierung zu tun, die China zugewandt ist. Der vor anderthalb Jahren gewählte Staatschef Gotabaya Rajapaksa nahm kürzlich zwar die Impfstofflieferung aus Indien in Empfang, fügte dem Land aber bereits kurz darauf eine diplomatische Niederlage zu. Seine Regierung beschloss Indiens Beteiligung an einem geplanten Hafenprojekt in der Hauptstadt Colombo zu streichen – entgegen einer Einigung, die Indien mit seinem Vorgänger erzielt hatte. Unangetastet blieben jedoch Infrastrukturprojekte Chinas – das Land hat Sri Lanka ebenfalls Hunderttausende Impfdosen zugesagt.