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Rumänien: Liberale Trendwende bei den Parlamentswahlen erwartet

Künftige Regierung zwischen den konservativen und den bürgerlichen Liberalen wahrscheinlich
Wahlen in Rumänien
© Author: picture alliance / AA | Mihai Barbu

Nach acht Jahren sozialdemokratischer Mehrheit wird bei den rumänischen Parlamentswahlen am 6. Dezember eine Trendwende erwartet. Laut Umfragen führt die konservative Nationalliberale Partei (PNL) mit über 30 Prozent der Stimmen. Um den zweiten Platz ringen die Liberalen von USRPLUS mit den Sozialdemokraten (PSD) mit jeweils rund 20 Prozent Zustimmungswerten. Während für USRPLUS ein Ergebnis in dieser Höhe einer Nikolausbescherung gleichen würde, droht der PSD mit dem schlechtesten Wahlergebnis in ihrer dreißigjährigen Existenz Knecht Ruprecht ins Haus zu fallen. Dass sich die Liberalen danach einer Regierung anschließen werden, ist wahrscheinlich, aber noch nicht ausgemacht.

Das Debakel der Sozialdemokraten begann spätestens im Mai 2019, nach der endgültigen Verurteilung des ehemaligen PSD-Vorsitzenden Liviu Dragnea zu drei Jahren Haft wegen Korruption. Schon seit der Machtübernahme im Jahr 2016 hatte Dragnea mit dem Versuch, durch seine antidemokratisch agierende und von Korruption gezeichnete Regierung die Justizgesetze zu verwässern, die massivsten Bürgerproteste seit der kommunistischen Wende in Rumänien provoziert.

Das damit verbundene Korruptionsetikett führte bereits zu einem schlechten Ergebnis bei den Europawahlen und Ende des Jahres 2019 zur Niederlage bei der Präsidentschaftswahl. Dadurch verloren die Sozialdemokraten die parlamentarische Unterstützung ihrer Juniorpartner und als Konsequenz auch die Regierung zugunsten der PNL, die von Präsident Klaus Johannis unterstützt werden. Trotz neuer Führung, die sich reformfreudig gibt, blieb das Wählervertrauen niedrig, und die PSD verlor auch bei den Kommunalwahlen im Oktober sowohl die Landeshauptstadt Bukarest als auch andere Großstädte und Landkreise – ein Trend, der sich nach jüngsten Umfragen fortsetzen dürfte.

Liberale oder konservative Regierung?

Für die PNL scheint trotz manchem Fauxpas die Sternstunde geschlagen zu haben. Obwohl Präsident Klaus Johannis in einer Ansprache ein Zeichen setzte und die Wähler aufforderte, entweder für die Nationalliberale Partei PNL oder die Newcomer von USRPLUS zu stimmen, wünschen sich große Teile der PNL-Parteiführung öffentlich eher eine rein konservative Regierung. Die Antikorruptions- und LGBTIQ-freundliche Agenda von USRPLUS stößt in den Reihen der PNL eher auf Unbehagen. Auch Ministerpräsident und PNL-Parteivorsitzender Ludovic Orban soll in diese Richtung schielen. Zwei weitere EVP-Mitglieder, die Partei der ungarischen Minderheit (UDMR) und die „Volkspartei“ PMP des ehemaligen Präsidenten Traian Basescu, werden in Umfragen mit jeweils fünf bis sechs Prozent gehandelt. Weitere Unterstützung wäre somit von der Partei des früheren Premierministers Victor Ponta notwendig. Dieser löste sich 2018 von seiner Mutterpartei PSD, gründete die Partei „PRO-Rumänien“ und schluckte jüngst eine weitere Partei samt deren Vorsitzenden Călin Popescu-Tăriceanu. Der gibt sich – trotz einer zweifelhaften Vergangenheit – als frischer Sozialliberaler und kommt in Umfragen auf etwa neun Prozent.

Damit die konservative Arithmetik auch aufgeht, bedarf es einer niedrigen Wahlbeteiligung, bei der jede Partei auf ihre Stammwählerschaft setzt und allein die PNL darüber hinaus mobilisieren kann. Derzeit gehen Umfrageinstitute in der Tat von einem historischen Tief bei der Wahlbeteiligung von 40 Prozent aus.

Die junge liberale Partei USRPLUS wird über eine hohe Wählermobilisierung im In- und Ausland einen Großteil der Proteststimmen auf sich vereinen und dadurch höchstwahrscheinlich die 20-Prozent-Marke erreichen. Die Partnerpartei der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit fokussiert sich voll und ganz auf dieses Szenario und bereitet in öffentlichen Erklärungen bereits eine Zusammenarbeit mit der PNL vor. Da sich einige Großstädte in Rumänien in Quarantäne befinden und derzeit überall im Land aufgrund der Pandemie erhebliche Einschränkungen bestehen, ist schwer vorhersehbar, wie die Wahlbeteiligung am Wahltag ausfallen wird, und wessen Anhänger den größten Mobilisierungsgrad aufweisen werden.

Wer ist die USRPLUS?

Von Konservativen als „Sexo-Marxisten“ und Linken als „libertäre Kapitalisten“ betitelt, scheint der im Sommer besiegelte Zusammenschluss von der „Union zur Rettung Rumäniens“ (USR) und der „Partei für Freiheit, Einheit und Solidarität“ (PLUS) die politische Mitte gefunden zu haben. Während die USR im Jahr 2016 gegründet wurde, entstand PLUS erst im Januar 2019. Gemeinsam positionieren sie sich als Mitte-Rechts-Partei und sprechen offen von liberaler Politik und Zielen. PLUS-Vorsitzender Dacian Cioloș wurde zum Vorsitzenden der liberalen „Renew Europe“-Fraktion im Europäischen Parlament gewählt. Zusammen mit dem USR-Vorsitzenden Dan Barna werden sie sich bis ins nächste Jahr hinein den Parteivorsitz teilen, wenn der Abschluss des Vereinigungsprozesses über interne Neuwahlen abgeschlossen wird.

Im Mittelpunkt des 40-Punkte-Wahlprogramms von USRPLUS stehen Antikorruption und Transparenz. Ihr Wahlslogan „Ein Rumänien ohne Diebstahl“ spricht Bände. Desgleichen fordert die Partei die Abschaffung von Sonderprivilegien für Politiker, weswegen ihre Parlamentarier kurz vor der Wahl medienwirksam ihr Mandat kündigten. Ein nicht abgeschlossenes Mandat führt zum Verlust einer Sonderrentenzahlung, die sich das Parlament im Jahr 2015 großzügig gewährt hatte.

Auch stehen die neuen Liberalen für eine Verschlankung des Parlaments von über 465 auf 300 Sitze, und sie machen sich dafür stark, dass strafrechtlich Verurteilten das Recht auf politische Würdenämter verwehrt wird. Außerdem stehen sie für Null-Steuern auf das Mindestgehalt, Einführung der digitalen Bürgerschaft, Entpolitisierung des Schul- und Bildungssystems, digitale Bildung, Abschaffung unnötiger staatlicher Agenturen, Transparenz, Entbürokratisierung und eine Verbesserung der Bedingungen im Gesundheitssystem. Für den Nachbarstaat Moldau fordern sie die Einrichtung eines Demokratie-Fonds zur Unterstützung der Zivilgesellschaft und der unabhängigen Presse.

Raimar Wagner ist Projektleiter der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit für Rumänien und die Republik Moldau mit Sitz in Bukarest.