Rentenreform
Rentengeschenke statt Rentenreform
Die Bundesregierung hat ein umfassendes Rentenpaket auf den Weg gebracht.
© picture alliance/dpa | Bernd WüstneckWas in dieser Woche im Bundeskabinett geschah, ist unverfroren: Die Bundesregierung beschloss die „Haltelinie“ von 48 Prozent des Durchschnittsverdienstes für die Rente bis 2031 sowie die Erhöhung der Mütterrente ab 2027. Die Kosten belaufen sich ab diesem Zeitpunkt auf einen zweistelligen Euro-Milliardenbetrag – trotz der extrem schwierigen Finanzlage und des schwachen Wirtschaftswachstums. Demografie hin oder her, die Politik legt noch eine ordentliche Schippe auf die Belastung der Steuer- und Beitragszahler sowie der künftigen Generationen obendrauf – wider besseres Wissen. Mutwillig und entschlossen wird der Generationenvertrag weiter unterminiert.
Dabei hat es in jüngster Zeit nochmals zwei Gutachten von Fachleuten gegeben, die das ganze Ausmaß der bevorstehenden Herausforderungen überzeugend darlegten – vom Mitglied des Sachverständigenrates Martin Werding sowie jüngst vom Ifo-Institut im Auftrag der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit. Es gibt inzwischen kaum ein politisches Kernproblem der nächsten Jahrzehnte, das so gut erforscht und in seinen Dimensionen und Folgen so gut prognostiziert wird wie die Finanzierung der Renten. Das ist logisch, denn demografische Trends sind träge und sehr gut vorausschaubar – im Vergleich etwa zum wirtschaftlichen Wachstum.
All dies interessiert die Bundesregierung offenbar überhaupt nicht – außer die tapfere CDU-Wirtschaftsministerin Katharina Reiche, die aber für ihren Ruf nach längeren Lebensarbeitszeiten selbst in der Union keinerlei Unterstützung fand, auch nicht beim Kanzler Friedrich Merz, der im Wahlkampf noch ganz andere Töne von sich gab. Das ist ein überaus gefährlicher Weg, der sich in wenigen Jahren furchtbar rächen wird. Denn jedes Jahr, das ohne Reformen verstreicht und zusätzliche Lasten schafft, verkürzt den Zeithorizont, in dem noch Weichenstellungen wie die Einführung oder der massive Ausbau einer Kapitaldeckung („Aktienrente“) hinreichend schnell bis Mitte des Jahrhunderts ihre Wirkung tun können, denn die Bildung von Finanzkapital braucht Zeit und ein stabiles Umfeld ohne zusätzliche Belastungen. Ähnliches gilt für die Verlängerung der Lebensarbeitszeit und alle anderen Maßnahmen, die zumindest teilweise die Zunahme der Lebenserwartung sowie die Schrumpfung der Erwerbsbevölkerung ausgleichen könnten.
Diese Ignoranz der Regierenden ist ein Skandal, der offenbar im Bundestag kaum zum Thema der dort vertretenen demokratischen Parteien gemacht wird. Es muss deshalb die Aufgabe der liberalen Opposition außerhalb des Bundestags sein, dies in aller Schärfe deutlich zu machen – zusammen mit der Wirtschaftswissenschaft, deren Vertreterinnen und Vertreter sich wohl in keiner wirtschafts- und finanzpolitischen Frage so einig sind wie bei der Notwendigkeit einer Reform der Alterssicherung in Richtung nachhaltig sicherer Renten in einer schrumpfenden und alternden Gesellschaft. Es wird höchste Zeit, dass sich – weithin sichtbar – eine Protestwelle formiert, die der Zerstörung der Generationengerechtigkeit, einem Kernelement unseres Sozialstaats, mit lauter Stimme entgegentritt. Und zwar heute und morgen und nicht erst in der ferneren Zukunft, wenn es zu spät ist.