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Eine Kolumne von Karl-Heinz Paqué

Libanon
Im Würgegriff der Interessen

Präsident und Premierminister versuchen, das Land voranzubringen. Sie haben nicht viel Zeit.
Flagge des Libanon

Flagge des Libanon

© picture alliance / SZ Photo | Rainer Unkel

Seit drei Jahrzehnten ist die Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit im Libanon präsent. Nur wenige Jahre nach dem Ende des fünfzehnjährigen Bürgerkriegs 1990 wurde Libanon als Projektland aufgenommen, seit über einem Jahrzehnt unterhält die Stiftung eine Büropräsenz in Beirut. Der Vorstandsvorsitzende der Stiftung Professor Paqué reiste aus diesem Anlass in ein faszinierendes Land, das allerdings seit Jahrzehnten von Krise zu Krise stürzt und seine wirtschaftlichen Chancen nicht voll nutzt. Er schreibt im Folgenden über die Gründe. Es besteht endlich Hoffnung, dass sich die Lage zum Besseren wenden könnte. Mehr als Hoffnung ist es allerdings noch nicht.

Wer in Beirut ankommt, der kann sich dem Charme der Stadt kaum entziehen. Früher wurde sie das Paris des Ostens genannt, und sie hat selbst nach Jahrzehnten von Kriegen und Terror noch immer den Charakter einer attraktiven Mischung aus mediterraner, französisch geprägter Atmosphäre und der arabischen Welt. Mehr als ein Hauch des alten Zaubers hat überlebt. Dies ist neben der grandiosen Mittelmehrküste dem Wiederaufbau der Innenstadt zu danken, der nach 1990 als ein großangelegtes Projekt von internationalem Zuschnitt unter Beteiligung weltweit namhafter Architekten durchgeführt wurde.

Die Stadt hat die physischen Spuren des Krieges weitgehend beseitigt, aber nicht dessen politische und wirtschaftliche Nachwirkungen, die sich bis in die jüngste Vergangenheit fortsetzen. Spricht man mit liberal orientierten Politikern und Beobachtern, so schält sich für den Libanon eine recht eindeutige Diagnose heraus. Für fast alle ist die neue Konstellation mit zwei eher technokratischen Spitzen des Staates - dem maronitisch-christlichen Staatspräsidenten Joseph Aoun, einem weithin angesehenen Militär, sowie dem sunnitisch-islamischen Premierminister Nawaf Salam, einem reputierten internationalen Juristen - eine Chance, um die politischen Konfliktfolgen der traditionellen religiösen Diversität des kleinen Landes ein Stück weit zu begrenzen und in wirtschaftliche Dynamik umzumünzen. Damit dies gelingt, bedarf es allerdings der Lösung von drei grundlegenden - und äußerst schwierigen - politischen Aufgaben.

Erstens muss die - von Iran unterstützte - Terrororganisation Hisbollah komplett entwaffnet werden. Dazu braucht es allem voran eine drastische Stärkung der libanesischen Armee, die eine vollständige Entwaffnung durchführen. Daneben braucht es außenpolitisch ein Stück weit eine Normalisierung der Beziehungen zu Israel, dem erklärten Feind der Hisbollah. Und schließlich muss die schiitische Volksgruppe vor allem im Süden des Landes, wo die Anhängerschaft der Hisbollah am größten ist, davon überzeugt werden, dass die gesellschaftliche und wirtschaftliche Unterstützung, die sie derzeit von der Hisbollah erhält, in Zukunft von einem - endlich funktionierenden - Zentralstaat verlässlich geleistet wird. All dies sind gewaltige Aufgaben, ohne deren Lösung eine nachhaltige Verbesserung der Lage Illusion bleibt.

Zweitens muss - noch grundlegender und wohl langfristiger - generell der Staat in seiner Handlungsfähígkeit und Verlässlichkeit gestärkt werden. Dazu bedarf es wahrscheinlich eines grundlegenden Reformprozesses, unter Umständen auch einer Verfassungsreform, die die Tücken im System des politischen Konfessionalismus,  wie ihn die Verfassung  und der sogenannte Nationalpakt des Libanons seit 1943 vorschreibt, überwindet, ohne die politische Teilhabe von Minderheiten zu opfern. Dies muss allerdings behutsam geschehen. Denn im Libanon sind - für westliche Beobachter oft nicht nachvollziehbar - nicht die wirtschaftlichen und sozialen Unterschiede der Stein des Anstoßes, sondern allzuoft Partikularinteressen der einzelnen konfessionellen Volksgruppen. Um allerdings das Vertrauen in den Staat zu stärken, führt kein Weg an einer gewissen Zentralisierung vorbei, was übrigens auch für Liberale eine schmerzliche Erkenntnis ist.

Drittens ist für die Zukunft des Landes die wirtschaftliche Prosperität von überragender Bedeutung. Diese war schon bis in die frühen siebziger Jahre erreicht, dank vor allem dem Handel und dem Bankenwesen, die das Land zur Drehscheibe zwischen Europa und dem arabischen Raum machten. Auch nach dem Krieg 1975-90 gab es wieder Jahrzehnte des Aufschwungs. Dieser brach mit der Bankenkrise zusammen, die den Libanon vor einigen Jahren erfasste und nicht aus dem Würgegriff ließ. Bis heute ist die "Bereinigung der Bankbilanzen" an privaten Interessen gescheitert, da niemand sich zur massiven Abschreibung von Aktiva bereit erklärt und der (schwache) Staat keinen Hebel hat, diese zu erzwingen. Auch eine Unterstützung durch den Internationalen Währungsfonds wird nur kommen, wenn es in dieser Hinsicht Fortschritte gibt. Und nur mit dessen Hilfe kann das Land jene Bonität und jene Reputation an den internationalen Kapitalmärkten zurückgewinnen, die es für ausländische Investitionen attraktiv macht.

Fazit: ein gewaltiges Menü an Aufgaben für eine "technokratische" Führung. Eigentlich kaum zu bewältigen, aber vielleicht gibt es - ähnlich wie in Argentinien - nach Jahren des Niedergangs eine Erkenntnis in der Bevölkerung, dass grundlegende Weichenstellungen nötig sind. Es wäre dem Land - und auch dem gesamten arabischen Raum - zu wünschen. Denn der Libanon ist und bleibt ein Land mit vielen gut ausgebildeten Menschen, einer freiheitlichen Atmosphäre in Kultur und Medien sowie einer hervorragenden Hochschullandschaft mit Spitzenuniversitäten der Region wie die traditionsreichen American University of Beirut und Université Saint Joseph. Wenn Wachstum und Prosperität ohne Öl und Gasvorkommen nicht in diesem kleinen Land erreicht werden können, wo denn sonst im arabischen Raum?