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Tbilisi Pride
„For Freedom“ – Stiller Protest gegen Gewalt und Homophobie

Nach Absage der Tbilisi Pride in Georgien
Tbilisi Pride in Georgien
Tbilisi Pride in Georgien

In Georgien hat die LGBTQI-Gemeinschaft Solidarität erfahren, nachdem es zuvor zu massiven Gewaltausbrüche gegen die Community gegeben hatte. Am Dienstag demonstrierten auf dem Platz vor dem Parlament in Tiflis mehrere Tausend Teilnehmer unter dem Motto „For Freedom“ gegen Gewalt und Homophobie, für Presse-, Meinungs- und Versammlungsfreiheit. Einen Tag zuvor musste die „Tbilisi Pride“ wegen exzessiver Gewalt durch ultra-nationalistische und rechtsradikale Gruppen abgesagt werden.

Der gleiche Ort – ein vollkommen anderes Bild: Regenbogen- und Europaflaggen auf dem Parlaments-Platz, auf dem Gegner der „Tbilisi Pride“ noch am Vortag eine große Europa-Fahne vom Mast holten. Mehrere Tausend Teilnehmende hielten auf dem Gelände am Rustaveli-Prospekt am Dienstagabend eine stille Kundgebung ab. Sie protestierten gegen die gewalttätigen und homophoben Ausschreitungen vom Vortag. Aufgerufen zu der Kundgebung hatten u. a. die Oppositionsparteien „Girchi – More Freedom“, „European Georgia“ sowie verschiedene Nichtregierungsorganisationen. Auch LGBTQI-Aktivisten nahmen an der Veranstaltung teil. Giorgi Tabagari, einer der Organisatoren der „Tbilisi Pride“ twitterte: „Wir haben es gestern nicht geschafft, wie geplant zu marschieren, aber wir haben heute die Pride vor das Parlament gebracht! Gewalt wird Georgien nicht erobern!“

Europafahne erneut vom Mast gerissen und verbrannt

Am Rande dieser friedlichen Demonstration kam es erneut zu Protesten verschiedener rechter, nationalistischer und homophober Gruppen, die von der Polizei durch Absperrgitter und Polizeikordon halbwegs von Störungen abgehalten werden konnten. Die Situation spitzte sich mehrmals zu, als die Gegendemonstranten immer wieder versuchten, die Polizeiabsperrungen zu durchbrechen. Es flogen Flaschen, Steine, Eier und Feuerwerkskörper. Mehrere Polizisten wurden verletzt, es soll Festnahmen gegeben haben. Medienberichten zufolge ist jedoch nicht klar, ob es sich tatsächlich um Verhaftungen handelte oder die Gegendemonstranten lediglich aus dem Gebiet entfernt wurden, da von offizieller Seite – wie sonst üblich - keine Anzahl von Verhaftungen angegeben worden war. Kurz vor Mitternacht hatten die Teilnehmenden des „Stillen Protestes“ den Ort verlassen. Sie waren zum Teil mit Kleinbussen vom Veranstaltungsort weggefahren worden. Die Absperrungen wurden aufgehoben, und die Polizei erlaubte den Gegendemonstranten auf den Platz zu kommen. Kurze Zeit später wurde erneut die Europaflagge vor dem Parlament vom Mast gerissen und verbrannt. Die Polizei ist nicht eingeschritten. Der Platz war von den Pride-Gegnern zurückerobert worden.

Tbilisi Pride musste abgesagt werden

Es sollte der Abschluss der „Pride Week“ sein – ein „Marsch der Würde und für Solidarität“ am Montag auf dem Rustaveli-Prospekt im Zentrum der georgischen Hauptstadt Tiflis. Stattdessen wird der 5. Juli 2021 als ein absoluter Tiefpunkt der Intoleranz noch lange in Erinnerung bleiben. Schon in den Vormittagsstunden hatten sich an mehreren zentralen Punkten von Tiflis Gruppen von gewaltbereiten jungen Männern meist schwarz gekleidet, eingefunden. Der Grundstein für eine beispiellose Prügelorgie war gelegt. Im Laufe des Tages kam es an mehreren Stellen zu gewalttätigen Ausschreitungen. Ganztägig fand eine regelrechte Hetzjagd auf Journalisten statt. Das Büro der Pride-Organisatoren wurde gestürmt und verwüstet. Bis zuletzt versuchten die Organisatoren, mit dem Innenministerium über alternative Veranstaltungsorte und Sicherheitsgarantien zu verhandeln. Erfolglos. Gegen 15 Uhr wurde der „Marsch der Würde und für Solidarität“ schließlich abgesagt. „Wir können keine Menschenleben riskieren“, hieß es in einer Erklärung der Organisatoren. Am Abend dann eine Art Siegesparade von etwa 100 schwarz gekleideten Pride-Gegnern auf dem Rustaveli-Prospekt. Die Polizei hatte sich zu diesem Zeitpunkt weitgehend zurückgezogen.

Dutzende verletzte Journalistinnen, Journalisten und Medienvertreter

Die Zahlen vom Montag sprechen eine eindeutige Sprache: 55 Verletzten - darunter 53 Medienvertreter – stehen acht Verhaftungen gegenüber. Eine Diskrepanz, die Fragen aufwirft. Es stellt sich auch die Frage, warum exponierte Punkte nicht besser geschützt worden sind. Dass die Büros der Pride-Organisatoren und anderer NGOs Ziele von Angriffen werden, war zu erwarten.

Erschüttert zeigte sich die georgische Staatspräsidentin Salome Surabischwili nach einem Besuch bei verletzten Journalisten im Krankenhaus: „Wir wissen nicht mehr, was unsere Grundwerte sind und wir scheinen die Toleranz vergessen zu haben, die uns über Jahrhunderte prägte. Für mich ist das völlig inakzeptabel! Das ist nicht das Georgien, das ich kenne, das sind weder georgische Traditionen noch Glaube noch die Zukunft, die wir für dieses Land wollen“, so Surabischwili.

In einer gemeinsamen Erklärung verschiedener Oppositionsparteien, die auch von den FNF-Partnerparteien „Freie Demokraten“ und „Republikanische Partei Georgiens“ unterzeichnet wurde, wird u. a. eine Einlassung von Premierminister Irakli Gharibaschwili mit für die Gewalt verantwortlich gemacht: Seine Worte seien eine direkte Ermutigung zu der sich im Laufe des Tages entwickelnden Massengewalt gegen Journalisten, LGBTQI-Aktivisten und Vertreter der Zivilgesellschaft und eine Garantie für die Straffreiheit der Täter gewesen. Regierung, Kirche und pro-russische Gruppen arbeiteten offen zusammen und hätten die Ereignisse organisiert und möglich gemacht.

Gharibaschwili hatte am Montagmorgen die aus der Luft gegriffene Behauptung aufgestellt, dass Ex-Präsident Micheil Saakaschwili und die Oppositionspartei UNM hinter der „Tbilisi Pride“ stehen: „Revanchistische, radikale Gruppen, insbesondere die radikale Opposition um Saakaschwili, stehen hinter den Organisatoren der heutigen Kundgebung. Sie sind beteiligt, das erkläre ich mit absoluter Verantwortung, sie organisieren den Marsch und diese Kundgebungen, um Unruhen und Chaos ins Land zu bringen“, zitieren georgische Medien Gharibaschwili. Der Regierungschef erklärte zu Beginn einer Regierungssitzung am Montag, er halte es für unangemessen, die Pride abzuhalten, da sie für die Mehrheit der Bevölkerung inakzeptabel sei. Ähnlich äußerte sich Irakli Kobakhidze, der Vorsitzende der Regierungspartei Georgian Dream.

Alle Veranstaltungen der „Pride Week“ mussten von der Polizei geschützt werden. Die einflussreiche orthodoxe Kirche des Landes hatte sich mehrfach gegen die Veranstaltungen der „Pride Week“ ausgesprochen und ein Verbot gefordert, da sie nicht-traditionelles Leben propagieren würden und eine schwere Sünde seien. Botschaften und internationale Organisationen wurden aufgefordert, die Unterstützung der Pride einzustellen.

In einer Erklärung des georgischen Patriarchats hieß es am späten Montagabend: „Der für den 5. Juli geplante ‚Pride-Marsch‘ ist Propaganda eines nicht-traditionellen Lebensstils und enthielt Anzeichen von moralischer, psychologischer und ideologischer Gewalt gegen unsere Bevölkerung und die nächste Generation, die (…) eine scharfe Reaktion provozieren würde. (…) Daher glauben wir, dass die Verantwortung für das, was passiert ist, in erster Linie bei den Organisatoren der Tbilisi Pride liegt.“

„Ich freue mich, dass vor dem Parlament die EU-Flagge weht“

Am Mittwoch besuchte der EU-Kommissar für Erweiterung und europäische Nachbarschaftspolitik, Olivér Várhelyi, Georgien und freute sich, „dass vor dem Parlament wieder die EU-Flagge weht“. Auf einer gemeinsamen Pressekonferenz mit Várhelyi sagte Ministerpräsident Irakli Gharibaschwili: „Heute gibt es in unserem Land keine Diskriminierung von Menschen mit anderen Meinungen und unterschiedlichen Lebensstilen. Alle Menschen sind durch Gesetz und Verfassung geschützt, und das wird auch so bleiben, das garantiere ich Ihnen. Die Verallgemeinerung einzelner provokativer Fälle ist sicherlich falsch, sie liegt nicht in unserem Interesse. Natürlich geht das Leben weiter, die EU-Flagge weht immer noch vor dem Parlament und es wird so bleiben".

Es ist stark zu bezweifeln, dass die LGBTQI-Community in Georgien und die verletzten Journalisten diese Einschätzung angesichts der Gewalt und Entwicklungen der vergangenen Tage teilen.

Die Vorsitzende der liberalen Fraktion „Charles Michel Reform Group“, Khatuna Samnidze, forderte den Innenminister im Parlament zur Stellungnahme und Berichterstattung auf, was dieser verweigerte. Die liberale Parlamentsabgeordnete Tamuna Kordzaia forderte angesichts der radikalen Äußerungen der Orthodoxen Kirche eine öffentliche Diskussion über die jährliche staatliche Zuwendung an die Kirche in Höhe von 25 Mio georgischen Lari.

Insgesamt war der 5. Juli ein schwarzer Tag für Georgien, muss man doch an den EU-Ambitionen zumindest einiger Regierungsvertreter zweifeln. Manche unterstellen nun umso mehr, dass die Regierungspartei Russlands Geschäft macht.

Dass es am 7. Juli dann diese große friedliche Demonstration zur Unterstützung der Tbilisi Pride gab, erzeugt Hoffnung, dass es noch genügend fortschrittliche Kräfte im Lande gibt. Umfragen zeigen seit Jahren, dass 70-80 Prozent der Georgierinnen und Georgier ihr Land in der EU und in der NATO sehen wollen.

Peter-Andreas Bochmann Projektleiter FNF Südkaukasus

Götz-Martin Rosin, freier Journalist