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Frankreich
Weder rechts noch links – ist das System der 5. Republik überholt?

Exekutivlastig, elitär und wenig bürgernah – es mangelt nicht an kritischen Adjektiven, um die Schwachstellen des französischen politischen Systems zu beschreiben.

Demgegenüber ist die französische Präsidentenpartei La République en Marche (LREM) mit dem Versprechen angetreten, nicht nur die Wirtschaft Frankreichs in eine „Startup-Nation“ zu transformieren, sondern auch die politische Dynamik im Land umzukrempeln. Thierry Ollivero, Referent bei LREM für Zentraleuropa und den Balkan ist hierfür ein prototypisches Beispiel: der junge Personaler, der in Deutschland bei einem französischen Industriekonzern arbeitet, hatte vor seinem Beitritt zu Emmanuel Macrons politischer Bewegung keine politischen Vorerfahrungen gesammelt. Wie er auf einer Diskussionsveranstaltung der Friedrich-Naumann Stiftung mit dem MoDem-Abgeordneten Frédéric Petit am 22. Februar betonte, ging es mit der Schaffung LREMs um nicht weniger als darum, überholte Vorstellungen der Politikgestaltung abzuschaffen. Dabei sollte insbesondere auch die institutionelle Zwangsjacke des französischen politischen Systems abgelegt werden: trotz Mehrheitswahlrecht und bipolarem Parteiensystem sieht sich die Regierungspartei als Partei der Mitte, in Frankreich vielmehr als dritter Weg bezeichnet, die weder rechts noch links im politischen Spektrum zu verorten sei. Dabei ist LREM nicht die erste politische Kraft, die sich in dieser politischen Akrobatik versucht: vielmehr hat mit dem Mouvement Démocrate eine Zentrumspartei bereits im Wahlkampf 2007 versucht, aus dem Rechts-Links Schema der politischen Pole auszubrechen – und ist gnadenlos gescheitert. Nun aber hatte sich das MoDem seit der Wahl Macrons 2017 einer gemeinsamen Regierungskoalition angeschlossen, wenngleich offen bleibt, inwieweit ihr Gewicht für die weitere Politikgestaltung ausschlaggebend sein wird.

In ihrer Selbstdarstellung haben sich LREM und die Zentristen auf die Fahnen geschrieben, eine über den Ideologien stehende Politik zu machen, in der Ergebnisse zählen und eine Reformbereitschaft den Ton angibt.  Der Hintergrund von LREM als Bürgerbewegung in Abgrenzung zu den traditionellen Parteien ermögliche eine Politik der "geteilten Werte", die sowohl linke als auch rechte Aspekte beinhaltet und damit quasi als "republikanisch" bezeichnet werden kann. Doch so schön diese Vorstellung in den Augen von LREM und den Zentristen auch ist, kann sie nicht darüber hinwegtäuschen, dass das politische System Frankreichs Fliehkräfte entfaltet, dem sich die französischen Parteien nur bedingt entziehen können. Man denke nur an Valérie Giscard d’Estaings einstige Union pour la démocratie française (UDF) zurück, die nach der Präsidentschaftswahl 2007 an einem Richtungsstreit zerbrochen war. Und selbst Wirtschaftsminister Bruno le Maire warnt in seinem im Januar erschienenen Buch: „entweder schaffen wir den Übergang hin zu neuen Institutionen oder wir sind einer Systemkrise ausgesetzt“. [1]

Institutionelle Reformen sind längst überfällig

Ausgehend von der Feststellung, dass das politische System Frankreichs die politische Vielfalt der Franzosen nicht ausreichend widerzuspiegeln vermag, forderte der Präsident des Mouvement Démocrate, François Bayrou, im Januar die Einführung des Verhältniswahlrechts für die Wahlen zur Nationalversammlung ab 2022. Doch der Appetit für institutionelle Reformen nach der Gelbwesten-Krise sowie insbesondere der aktuellen Coronapandemie hält sich sowohl innerhalb der Regierungsmehrheit als auch bei den Franzosen selbst in Grenzen. Vielmehr drohen die bereits existierenden sozialen Abstiegsängste, die innergesellschaftlichen Spaltungstendenzen zwischen Arm und Reich, die auch schon vor der Krise hohe Jugendarbeitslosigkeit sowie die französische Wirtschaftsflaute insgesamt durch die anhaltenden Corona-Beschränkungen weiter verschärft zu werden. So scheint die aktuelle politische Situation in Frankreich aus deutscher Sicht hochgradig paradox: Auf der einen Seite erfüllt die 5. Republik, das, wofür sie ursprünglich vor dem Hintergrund des Algerien-Kiregs von Charles de Gaulle konzipiert wurde: eine stabile Exekutive, die in einer Notsituation die Macht zentralisiert und damit politische Handlungsfähigkeit sicherstellt. Eigentlich müsste dies angesichts der Vielzahl der Unsicherheiten, die die aktuelle Pandemielage mit sich bringt, einem Großteil der Franosen entsprechen, die sich nach einem „starken Mann“ als Verköperung der Staatsmacht sehnen. Auf der andreren Seite hat sich nicht erst seit dem in der Coronakrise eingerichteten Verteidigungsrat (Conseil de défense), der laut Artikel 15 der französischen Verfassung eigentlich im Verteidiungsfall für die nationale Sicherheit eingesetzt werden soll, ein Ohnmachtsgefühl vieler Franzosen breitgemacht. Diesem generell hohen Niveau an Politikverdrossenheit und fehlender Repräsentativität könne nur durch eine Rückbesinnung auf bürgerliche Partizipationsformen entgegengewirkt werden. Viele wichtige Reformen die in den letzten Jahren von LREM angestoßen wurden, zum Beispiel im Bildungs-, aber auch im Infrastrukturbereich, haben die Weichen für die Zukunft gestellt. Allerdings bekommen diese zentralen Ereignisse, so Frédéric Petit während der Diskussionsveranstaltung am 22.2., nicht die mediale Aufmerksamkeit, die sie verdienen. In der Tat scheint der Fokus auf die Versäumnisse oder nicht gehaltenen Versprechen die Bemühungen der Exekutive, die französischen Bürger stärker in politische Entscheidungsprozesse einzubeziehen, zu überwiegen, wie aktuell der Bürgerkonvent für das Klima (convention citoyenne pour le climat) verdeutlicht.

Abgleiten nach rechts – ein Automatismus?

Eine weitere Schwierigkeit für die aktuelle französische Politik der Mitte besteht wie auch schon im Wahlkampf 2017 darin, sich nach rechts klar abzugrenzen. Im Wettbewerb gegen Marine Le Pens Rassemblement National (RN) könnte LREM versucht sein, Themen und Positionen des RN zu übernehmen. Dies wurde LREM zumindest in den letzten Monaten im Zuge der polarisierenden Debatten um das sogenannte Separatismusgesetz (loi confortant les principes de la République) immer wieder vorgeworfen – ein Vorwurf, der durch das mediale Framing eines Rechtsrucks sowie das mit Spannung  erwartete Fernsehduell Mitte Februar zwischen Innenminister Gérard Darmanin und Marine le Pen nicht vollends entkräftet werden konnte. Das damit verbundene Kalkül, auf diese Weise Stimmen von rechts zu gewinnen, könnte sich aber in schwindender Unterstützung bei Wählern aus dem linken und gemäßigten Spektrum niederschlagen, so die Einschätzung von Dr. Daniela Kallinich während der Diskussionsrunde mit Ollivero und Petit. Sollte diese Strategie weiterverfolgt werden, wird Macron für viele linke Mittewähler, z. B. enttäuschte gemäßigte Sozialisten, unwählbar und auch für die klassischen Zentrumswähler unattraktiv. Gleichzeitig verspielt Macron so den wichtigsten Bonus, den er noch 2017 hatte: die Abgrenzung gegenüber Rechtsaußen bzw. das Argument, das kleinere Übel im Vergleich zu Marine Le Pen zu sein.

 

Jeanette Süß ist European Affairs Managerin im Regionalbüro „Europäischer Dialog“ der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit in Brüssel.

 

Publikation zum Thema Zwischen Polarisierung und Moderation – Frankreichs Präsident Macron und sein Dritter Weg auf dem Prüfstand

Aufnahme der deutsch-französischen Diskussionsveranstaltung

Am 22. Februar diskutierte FNF Europe dieses Thema mit der Autorin der Studie, Dr. Daniela Kallinich, Frédéric Petit, Abgeordneter in der frz. Nationalversammlung für die Auslandsfranzosen und Thierry Ollivero, Referent bei LREM für Zentraleuropa und den Balkan

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