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Jubiläum
Vor 100 Jahren wird mit Gustav Stresemann ein Liberaler deutscher Kanzler

Gustav Stresemann
© picture-alliance / dpa | dpa

Das politische „Gastspiel“, das der erste Kanzler aus den Reihen der Liberalen, der Vorsitzende der Deutschen Volkspartei (DVP) Gustav Stresemann gab, währte nur kurz, nämlich gerade einmal zweieinhalb Monate. Aber diese Wochen zwischen August und November bildeten eine Schlüsselepoche der Weimarer Republik. Dabei war Stresemann wahrlich nicht zu beneiden, als er am 13. August 1923 an der Spitze einer „Großen Koalition“ beider liberaler Parteien, von politischem Katholizismus und Sozialdemokratie die Kanzlerschaft übernahm: Die Währung war ins Bodenlose gefallen, das Ruhrgebiet von den Franzosen zur Erzwingung von Reparationen besetzt, in Bayern drohte ein rechtsextremistischer Putsch und in Sachsen und Thüringen erlangten die Kommunisten eine Regierungsbeteiligung.

Stabilisierung der Weimarer Republik unter Stresemann

Angesichts der Herausforderungen eines Krisenjahres 1923 konnte Stresemanns Regierung in nur gut 100 Tagen dennoch eine überaus beeindruckend erfolgreiche Bilanz aufweisen: Durch eine Währungsreform wurde die Reichsmark stabilisiert und damit das Gespenst der Hyperinflation vertrieben. Angesichts von mehreren hundert Milliarden Papiermark, die man für ein Brot ausgeben musste, drohte anderenfalls soziale Not ungekannten Ausmaßes. Zuvor war der „passive Widerstand“ gegen die Besetzung des Ruhrgebiets beendet und die Räumung der Ruhr im Jahre 1925 von den Franzosen zugesagt worden.

Fast gleichzeitig wurde die kommunistische Gefahr in Thüringen und Sachsen durch das energische Eingreifen der Reichswehr im Zuge einer Reichsexekution beseitigt, während in Bayern Rechtskonservative und Nationalsozialisten parallel Aufstandspläne gegen das Reich schmiedeten. Am 9. November 1923 wurde der Hitler-Ludendorff-Putsch mit dem Marsch auf die Münchner Feldherrnhalle von bayerischem Militär gestoppt. Als Stresemann am 23. November dennoch von seinem sozialdemokratischen Koalitionspartner – gegen den Willen des Reichspräsidenten Friedrich Ebert (SPD) – durch ein parlamentarisches Misstrauensvotum gestürzt wurde, war die Republik nach allgemeiner Auffassung vorerst „gerettet“. Fortan konzentrierte Stresemann seine Stabilisierungsmaßnahmen auf die Außenpolitik, wo er sich gleichfalls bleibende Verdienste erwarb. Stresemann, der sich seit 1918 vom Herzensmonarchisten zum Vernunftrepublikaner gewandelt hatte, stand für die Goldenen Zwanziger Jahre, die Ära Stresemann von 1924 bis 1929, die der politisch umstrittenen Republik eine Ruhepause verschaffte. Er behielt bis zu seinem Tod im Oktober 1929 das Außenministeramt und galt für viele in diesen Jahren als heimlicher Reichskanzler. Mit Ausnahme von zehn Tagen, an denen Walter Scheel stellvertretend für den zurückgetretenen Bundeskanzler Willy Brandt im Mai 1974 die Regierungsgeschäfte führte, haben die Liberalen seitdem keinen Kanzler mehr stellen können.

Visionär Stresemann

Stresemann, Gustav

Als erster Kanzler aus den Reihen der Liberalen lenkte Gustav Stresemann vor 100 Jahren die Weimarer Republik durch eine Schlüsselepoche: Inmitten von Hyperinflation, politischen Krisen und extremistischen Bedrohungen gelang es ihm, die Währung zu stabilisieren, kommunistische Gefahren zu bannen und die Außenpolitik zu gestalten. 1923 tritt er vor den Reichstag: In einer viel beachteten Rede will er aus der Machtfrage um das besetzte Ruhrgebiet eine Wirtschaftsfrage machen und legt so die Grundlagen für mehr internationale Zusammenarbeit.

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