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„Tschechischer Berlusconi" ist klarer Wahlsieger

Koalitions-Roulette nach der Tschechien-Wahl

Die Tschechen haben ihr neues Parlament gewählt. Diese Wahl hat das politische Spektrum des Landes ordentlich durcheinandergewirbelt. Wer sind die Sieger und Verlierer? Und was bedeutet das Ergebnis für Deutschland und die EU? Das sind offene Fragen – ebenso wie die, welche Koalitionsoptionen bestehen, um eine Regierung zu bilden.

Am 21. Oktober haben die Tschechen ihr neues Parlament gewählt. Es gab Kommentatoren, die diese Wahl für die wichtigste seit dem Ende des Kommunismus 1989 hielten. Die Existenz der liberalen Demokratie stehe auf dem Spiel. Es ist bislang schwer zu sagen, ob diese Befürchtungen berechtigt oder nicht doch übertrieben waren.

Der klare Wahlsieger ist die ANO-Bewegung mit ihrem Vorsitzenden Andrej Babiš. Mit rund 30 Prozent der Stimmen hat ANO fast dreimal so viele Stimmen wie die nächstgrößte Partei, die konservative ODS mit rund 11 Prozent.

Warum ist Babiš so umstritten? Für die einen ist er der „tschechische Berlusconi“, der ein riesiges Medienimperium besitzt und es für seine politischen Zwecke einsetzt. Zudem laufen Klagen wegen Subventionsbetrugs. Man wirft ihm vor, Geschäft und Politik zu vermischen. Seit der Flüchtlingskrise hat er seine straff geführte Partei, die 2011 ursprünglich mit einem eher linksliberalen Profil gegründet worden war, auf einen eher populistischen Anti-Immigrations-Kurs eingeschworen.

Seine Anhänger verweisen hingegen darauf, dass er als Finanzminister in der Koalition mit Sozial- und Christdemokraten nicht als Ideologe, sondern als erfolgreicher Pragmatiker und Macher auftrat, der unternehmerische Fähigkeiten in den Dienst der Politik stellte. Als erster Finanzminister seit 1989 schaffte er einen ausgeglichenen Haushalt. Wie auch immer: Babiš ist der klare Wahlsieger und sehr wahrscheinlich der nächste Regierungschef. 

Zwei Überraschungen

Insgesamt haben es neun Parteien über die 5-Prozent-Hürde geschafft – so viele wie noch nie. ANO bekam 29,8  Prozent, gefolgt von der konservativen und euroskeptischen ODS mit 11,3 Prozent und den Piraten, die mit 10,8 Prozent reüssierten. Die rechtsextreme SPD bekam 10,7 und die zuvor deutlich höher gehandelten Kommunisten 7,8. Damit liegen sie aber immer noch vor der bislang stärkten Partei, den Sozialdemokraten, die mit 7,3  Prozent einen katastrophalen Einbruch erlebten. Die Christdemokraten blieben mit 5,8 Prozent einigermaßen stabil, ebenso die liberal-konservative TOP09 mit 5,5. Überraschend schaffte es auch die “Partei der Bürgermeister” STAN mit 5,2 knapp ins Parlament.

Neben der katastrophalen Niederlage der Sozialdemokraten gab es vor allem zwei Überraschungen: Erstens, das gute Abschneiden der Piraten, die bei den letzten Wahlen mit nur 2 Prozent nicht ins Parlament gekommen waren, und das hohe Ergebnis für die rechtsextreme SPD, die unter dem japanischstämmigen Unternehmer Tomio Okamura einen scharfen Anti-Islam- und Antiflüchtlingskurs fuhr, auch wenn in Tschechien so gut wie keine Flüchtlinge leben. Insgesamt unterstreichen beide Ergebnisse, dass diese Wahl sich stark gegen das “Establishment“ richtete.

Tief sitzt der Schock bei den Sozialdemokraten, die 2013 noch 21 Prozent erhalten hatten. Mehrere widrige Umstände führten zu ihrer Niederlage. So konnte vor allem ANO die unbestreitbaren Erfolge der Regierung (z.B. Vollbeschäftigung) besser kommunizieren als die Sozialdemokraten. Babiš konnte den Sozialdemokraten viele Wähler abspenstig machen. Zudem waren die Sozialdemokraten in der Endphase des Wahlkampfs stark zerstritten und ergingen sich in Personalquerelen. Und offensichtlich konnte ANO von der mit 61 Prozent recht hohen Wahlbeteiligung profitieren.

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Wie geht es weiter?

Trotz des guten Ergebnisses kann ANO nicht alleine regieren: mindestens zwei Koalitionspartner sind nötig. Alleine das setzt dem von vielen Kritikern befürchteten Weg Tschechiens zur autoritären Demokratie gewisse Grenzen.

Pessimisten befürchteten, dass ANO in irgendeiner Form, etwa einer Minderheitsregierung, mit Kommunisten und rechtsextremer SPD zusammengehen könnte. Diese Möglichkeit scheint aber extrem unwahrscheinlich, auch wenn es im Wahlkampf kaum wechselseitige Ausschlüsse gegeben hat. Aber: Gibt es andere Optionen im tschechischen Koalitionspoker?

Von einer Koalition aller gemäßigten Parteien, die sich zusammentun, um Babiš zu verhindern, war vor der Wahl nicht selten die Rede. Abgesehen davon, dass eine solche Koalition keinen wirklichen gemeinsamen politischen Nenner hätte, geht dies schon deshalb nicht, weil wider Erwarten diese Parteien zusammen am Ende keine Mehrheit zusammenbrachten.

Die rechnerisch und politisch beste Lösung – auch für die Beziehungen zur EU - wäre die Fortsetzung der gegenwärtigen Koalition, allerdings mit veränderten Rollen und unter der Führung von Babiš. Also eine “Weiter-so-Koalition” – diesmal im “Kaczynski-Stil”? Die beiden früheren Koalitionspartner haben ein solches Zusammengehen zwar ausgeschlossen, dabei allerdings immer nur von der Person Babiš gesprochen, nicht aber von der Partei ANO. Eine angedachte Möglichkeit wäre daher, das Babiš nicht selbst Regierungschef wird, sondern einen Vertrauten vorschickt, während er im Hintergrund die Fäden zieht – so wie es Kaczynski in Polen mit Ministerpräsidentin Beata Szydlo tut. Ob Babiš sich darauf einlässt, ist ebenso fraglich wie die Standfestigkeit der anderen Parteien. Möglicherweise lassen sie sich doch auf eine Koalition mit dem Wahlsieger ein, der dadurch zu einer pragmatischen Politik gezwungen würde. In Tschechiens Politik gehört Flexibilität zu den großen Tugenden. So erscheint dies zu diesem Zeitpunkt eigentlich die wahrscheinlichste Lösung zu sein. Die befürchtete Revolution bliebe dann möglicherweise aus. Außerdem könnte die Tatsache, dass Babiš mit den gegen ihn laufenden Verfahren zu kämpfen haben wird, die Spielregeln noch einmal verändern und seine Position gegenüber potentiellen Koalitionspartnern schwächen. Aber das steht noch in den Sternen…

Oder Neuwahlen? Sollte sich in der nun recht kompliziert gewordenen Parteienlandschaft keine stabile Koalition finden lassen, gäbe es Neuwahlen. Diese wünscht sich in Tschechien aber niemand, weil sie den Trend zum Anti-Establishment-Populismus nur verstärken würde.

Harter Verhandlungspartner in Brüssel?

Was bedeutet der Sieg von Andrej Babiš für Deutschland und Europa? Babiš hat sich gegen den Beitritt des Landes zur Eurozone ausgesprochen, womit er rund 80 Prozent der Bevölkerung hinter sich hat. Er ist aber kein ideologisch motivierter Euroskeptiker - dazu sind wohl auch seine eigenen wirtschaftlichen Interessen zu sehr mit der EU verbunden.

Er hat sich für den Verbleib der Tschechischen Republik in der EU ausgesprochen. Im Gegensatz zu den nationalkonservativen Regierungen in Ungarn und Polen spricht er sich für ein Europa der verschiedenen Geschwindigkeiten aus. Er möchte das Opting-Out-Prinzip bei bestimmten EU-Politiken (hier besonders bei den Flüchtlingsquoten) stärken.

Insgesamt dürfte man in Zukunft in Brüssel keine Fundamentalopposition à la Orbán erwarten, wohl aber einen harten Verhandlungspartner. Wie sich das gestalten wird, hängt sicher auch von der Koalitionskonstellation ab. Babiš selbst interessiert sich wenig für Außenpolitik. Sollte eine Koalition mit den gemäßigten Parteien zustandekommen, könnte sich das positiv auswirken. Auch hielt er sich bisher – im Gegensatz zu anderen „Populisten“ – mit Angriffen gegen Deutschland zurück, vielleicht auch, weil seine Geschäftsverbindungen dorthin sehr stark sind.

Auch für eine Russlandorientierung der Außenpolitik gibt es keine Anzeichen. Babiš verspricht im Gegenteil, Tschechien werde das 2-Prozent-Ziel der NATO umsetzen und seine Verteidigungsausgaben erhöhen. Die von Sozialdemokraten und Präsident Zeman vorangetriebene Chinaorientierung Tschechiens scheint man aber auch nicht korrigieren zu wollen. Zu erwarten ist eine mehr interessenfixierte Ausrichtung der Außenpolitik und damit keine Rückkehr zur menschenrechtsgeleiteten Politik der Ära Vacláv Havel.

Wie es in Tschechien weitergeht, wird sich bald zeigen. Auf jeden Fall scheint Babiš in einem Punkt erreicht zu haben, was viele von ihm erwartet hatten, nämlich dass in der tschechischen Politik die Karten neu gemischt werden.

Adéla Klečková ist Programmmanagerin der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit für Mitteleuropa und die Baltischen Staaten.