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80. Todestag
Innovationsfreudig und modern: Der liberale Kommunalpolitiker Alexander Dominicus

Alexander Dominicus

Alexander Dominicus.

© picture alliance / ullstein bild - Berliner Illustr | Berliner Illustrations Gesellsch

Liberale Schöpfungen für die freiheitliche Demokratie werden – mindestens an Jahrestagen – gern erinnert, wenn es um Verfassung und Rechtsstaat geht. Seltener ist dies jedoch bei liberalen Verdiensten um die Schaffung moderner urbaner Lebenswelten und städtischer Leistungsverwaltung der Fall. Dabei ist die kommunale Selbstverwaltung eine klassische Domäne liberaler Politik. In zahlreichen Kommunen initiierten liberale Amtsträger und Fraktionen die Modernisierung von Infrastruktur, Technik und Wirtschaft – und dies besaß auch eine politische Zielrichtung: Der „Geist freier Selbstverwaltung“ diene, so die Überzeugung des liberalen Oberbürgermeisters Alexander Dominicus, der „Bekräftigung politischer Freiheit“.

Dominicus ist ein herausragendes Beispiel für diesen konkreten Liberalismus, der in vielen Städten und Gemeinden eine effiziente Standortförderung und zukunftsorientierte Investitionen mit einer professionellen Verwaltung verband. Die Politik war breit ausgelegt: Sie reichte von guten Rahmenbedingungen für die Industrieansiedlung über kommunale Versorgungsbetriebe, Schulbau, Park- und Erholungsflächen bis zur innovativen Verkehrsinfrastruktur – praktisch ein kräftiger „Sprung nach vorn“, der nicht wenige Städte auf lange Zeit prägte.  

Sein erstes Betätigungsfeld fand der 1873 im Elsass geborene Jurist Alexander Dominicus als Beigeordneter in Straßburg. Hier oblag ihm die Zuständigkeit für Bildung und Soziales, mithin ein ebenso gewaltiger wie konfliktträchtiger Bereich in den zügig wachsenden Großstädten vor dem Ersten Weltkrieg. Der gerade dreißigjährige Kommunalpolitiker meisterte die Herausforderungen, kümmerte sich um Schulbau und Anstellung ausreichender Lehrkräfte, organisierte das Arbeitsamt, reformierte die Wohnungsversorgung und Jugendfürsorge. Der zum liberalen Freisinn neigende Dominicus erwarb sich den Ruf eines zugleich konstruktiven und weitsichtigen Politikers. So gelang es ihm auch, bei seiner nächsten Karrierestation, der Wahl zum Oberbürgermeister der Stadt Schöneberg 1911, nicht nur die erforderlichen liberalen, sondern auch die sozialdemokratischen Stimmen zu erhalten.

Mit seinen 175.000 Einwohnern war Schöneberg in dieser Zeit ein Paradebeispiel für die rasante Entwicklung der Städte und die damit verbundenen Probleme der Infrastruktur vom Verkehr bis zum Wohnungsmangel; noch ein Jahrzehnt zuvor war die Bevölkerung nur halb so groß. Zudem grenzte die Stadt an zwei ähnlich betroffene Wachstumszentren, Charlottenburg und Berlin, von den über siebzig kleineren, aber ebenfalls stark anwachsenden Orten in der Nachbarschaft ganz zu schweigen. Alles in allem ein Konglomerat, dessen unterschiedliche rechtliche, politische und soziale Zusammensetzung sich für die Fortentwicklung der Metropolenregion Berlin äußerst hinderlich erwies – angesichts unterschiedlicher Steuern, konkurrierender Bebauungspläne, ineffizienter Versorgungs- und Mobilitätsstrukturen u.v.m.

In den zehn Jahren seiner kommunalen Leitungsfunktion kämpfte Dominicus für die Bildung einer Gesamtgemeinde. Widerstände von einflussreicher Seite gab es genug: die preußischen Regierungen fürchteten die politische Stärke eines „Groß-Berlin“ und wohlhabende konservative Bürger den vermehrten sozialdemokratischen Einfluss. Dominicus gelang es, sowohl die Öffentlichkeit, als auch die wichtigsten Gremien zu überzeugen und ins Boot zu holen; dabei halfen ihm auch das Ansehen und die Netzwerke des mit ihm befreundeten und ebenfalls in Schöneberg lebenden Friedrich Naumann. Der entscheidende Durchbruch gelang, als Dominicus 1919 für die linksliberale DDP in die preußische verfassunggebende Landesversammlung gewählt wurde und nun auch die parlamentarische Bühne für die Reform der kommunalen Verfassung bespielen konnte. Mit der Bildung der rechtskräftig am 1. Oktober 1920 vollzogenen Einheitsgemeinde wurde Berlin zur flächenmäßig größten Stadt der Welt. Entscheidend aber war für die liberalen Demokraten, dass die Bremsfaktoren der Entwicklung, die Zersplitterung der Zuständigkeiten in Verkehr, Verwaltung, Stadtplanung und Wirtschaftsansiedlung endeten und neue Dynamik entfesselt werden konnte.

Damit hatte Dominicus sein Ziel erreicht. Für ihn selbst bedeutete dies allerdings den Verlust seines Amtes, da Schöneberg mit der Fusion das Stadtrecht verlor. Der Kommunalpolitiker wechselte in die preußische Landespolitik, wurde 1921 erneut in den Landtag gewählt und übernahm den Fraktionsvorsitz der DDP. Im gleichen Jahr wurde Dominicus in der Koalition von DDP und Zentrum zum Innenminister. Auch wenn diese Regierung nur ein gutes halbes Jahr währte, war dies eine für den neuen demokratischen Staat prägende Zeit. Denn es ging um die Reform des Beamtenapparats: einerseits um die Republikanisierung der aus dem Kaiserreich stammenden Beamten, andererseits um die Demokratisierung, also die Öffnung der starren Zugangskriterien. Letzteres meinte vor allem die Aufhebung des bisherigen Juristenmonopols. Dominicus verfolgte hier einen – manchmal auch gegen Widerspruch aus der eigenen Fraktion – fachorientierten Kurs. Er sehe durch ein „Hineinbringen von Parteileuten“ die innere Verwaltung „ernsthaft“ gefährdet, vielmehr müssten die Anwärter „sachlich geeignet“ sein. Dieses Insistieren auf qualitativer Kompetenz der preußischen Verwaltung hielt Dominicus auch hinsichtlich der Bewertung der „monarchischen“ Beamten ein.

Mit Übernahme der Regierungsgeschäfte durch den Sozialdemokraten Otto Braun endete die Ministerzeit von Dominicus. 1924 schied er aus dem Landtag aus und wechselte in die Verbandstätigkeit, zunächst im Verein für Volkserziehung, dann ab 1926 als Vorsitzender des Deutschen Luftfahrtverbands und schließlich der Deutschen Turnerschaft. Mit Beginn des nationalsozialistischen Regimes gab er – angesichts der geforderten Gleichschaltung der Verbände – seine Funktionen auf. Er zog sich nach Freiburg im Breisgau zurück, wo er vor achtzig Jahren, am 18. Oktober 1945, verstarb. Sein Wirken in Kaiserreich und Weimarer Republik belegt, wie erfolgreich der kommunale Liberalismus handeln konnte – zugunsten einer weitsichtigen und innovationsfreudigen Entwicklung städtischer Lebens- und Wirtschaftsräume.