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Brasilien
Brasilien vor den Wahlen 2026: Zwischen der Euphorie internationaler Gipfeltreffen und neuen Herausforderungen

In einem polarisierten Brasilien, in dem sich die Präsidentschaften zwischen ideologisch gegensätzlichen politischen Blöcken abwechseln, muss sich das Land neuen Herausforderungen stellen, sowohl intern als auch international.
Vorstellung des Index für institutionelle Qualität (ICI) 2025 und die Rolle Brasiliens bei den bevorstehenden Präsidentschaftswahlen

Vorstellung des Index für institutionelle Qualität (ICI) 2025 und die Rolle Brasiliens bei den bevorstehenden Präsidentschaftswahlen

In diesen Monaten war und ist Brasilien Gastgeber von drei wichtigen internationalen Gipfeltreffen. Im vergangenen November fand in Rio de Janeiro der G20-Gipfel statt, im Juli in derselben Stadt der BRICS-Gipfel und im November wird in Belém die Klimakonferenz COP30 stattfinden.

Die derzeitige Dynamik der Gipfeltreffen bietet Brasilien eine einmalige Gelegenheit, sich auf der Weltbühne als Stimme des „globalen Südens” und Lateinamerikas zu präsentieren. Als Vorsitzender bestimmt Brasilien die Tagesordnung jedes einzelnen Gipfels, die sich bei allen drei Gipfeltreffen systematisch ergänzen.

Zu den Prioritäten Brasiliens gehören insbesondere eine stärkere Vertretung des „globalen Südens” in multinationalen Organisationen wie den Vereinten Nationen, der Weltbank und dem IWF sowie eine verstärkte internationale Zusammenarbeit in den Bereichen Entwicklungspolitik und Klimaschutz.

 

Lula gelang es, die G20- und BRICS-Gipfel in seiner Rolle als Staatsmann zu nutzen

Dr. Hans-Dieter Holtzmann analysierte, wie Lateinamerika sich in einer sich ständig verändernden Welt positioniert.

Dr. Hans-Dieter Holtzmann analysierte, wie Lateinamerika sich in einer sich ständig verändernden Welt positioniert.

Der brasilianische Präsident Lula hat sowohl auf dem G20- als auch auf dem BRICS-Gipfel gezeigt, dass er ein geschickter Verhandlungsführer ist, der als vermeintlich „neutraler” Vermittler in der Lage ist, die guten Beziehungen Brasiliens zu (den meisten) anderen Ländern der Welt für gemeinsame Ergebnisse zu nutzen. Bei beiden Gipfeln war vorab unklar, ob gemeinsame Abschlusserklärungen erzielt werden könnten.

Beim G20-Gipfel wurde bis zuletzt befürchtet, dass Lulas „Erzrivale”, der argentinische Präsident Javier Milei, einer gemeinsamen Erklärung nicht zustimmen würde, weil er erstens Staatenbündnisse generell kritisch sieht und zweitens konkrete Themen wie Bildung, Gesundheit und Vielfalt nicht als politische Aufgaben betrachtet und sich daher auch keine verbindlichen Ziele von außen auferlegen lassen möchte. Schließlich gelang es Lula dank der Vermittlung des französischen Präsidenten Emmanuel Macron, Milei zur Unterzeichnung zu bewegen, und gleichzeitig gab er Milei die Möglichkeit, sich in einer Verbalnote von allem zu distanzieren, was er nicht umsetzen wollte.

Dass die G20 trotz aller Heterogenität ausreichend Gemeinsamkeiten für eine Abschlusserklärung gefunden hat, ist nicht nur für Brasilien und Argentinien in der Region relevant. Auch Mexiko ist als drittes lateinamerikanisches Land Mitglied der G20.

Auf dem BRICS-Gipfel gelang Lula, was die Außenminister des Blocks bei ihrem Treffen im April noch nicht geschafft hatten: eine sprachliche Lösung dafür zu finden, wer Afrika beim angestrebten Sitz im UN-Sicherheitsrat vertreten soll. Lula klammerte das Thema in der Abschlusserklärung einfach aus und sicherte so bereits am ersten Tag des Gipfels zur allgemeinen Überraschung eine Verständigung über die  Erklärung.

Brasilien ist Gründungsmitglied der BRICS. Bolivien und Kuba traten als zwei weitere lateinamerikanische Länder der Gruppe im vergangenen Jahr als assoziierte Mitglieder bei. Andere, wie Venezuela, Nicaragua und Kolumbien, haben ihr Interesse an einem Beitritt bekundet.

 

Trump hat Lula zum Wiederaufstieg verholfen

Noch vor wenigen Wochen deuteten Umfragen darauf hin, dass Lulas Popularität nur in eine Richtung gehen konnte: nach unten. Seine Zustimmungsrate lag bei einem historischen Tiefstand von 30 %, sodass nicht einmal klar war, ob Lula bei den Präsidentschaftswahlen im nächsten Jahr erneut kandidieren würde, geschweige denn, ob er Chancen auf eine Wiederwahl hätte.

Und dann kam Trump. Nur wenige Tage nach dem BRICS-Gipfel drohte er zunächst den Ländern, die sich „anti-amerikanisch” verhielten, mit Strafzöllen in Höhe von 10 %, nachdem er bereits zu Beginn des Jahres mit Strafzöllen in Höhe von 100 % für die BRICS-Länder gedroht hatte, die es wagten, den Dollar durch andere Währungen zu ersetzen.

Ende Juli griff Trump dann gezielt Brasilien an und führte einen Strafzoll von 50 % ein, nicht aus wirtschaftlichen Gründen, da die USA einen Handelsüberschuss mit Brasilien haben, sondern wegen einer von Trump als „Hexenjagd” bezeichneten Strafverfolgung seines engen Verbündeten Jair Bolsonaro durch den Obersten Gerichtshof Brasiliens. Lula wusste dies geschickt als Einmischung eines „Gringos” in die inneren Angelegenheiten Brasiliens zu nutzen, und seine Beliebtheitswerte schossen innerhalb kürzester Zeit wieder auf über 40 % in die Höhe.

 

Lula hat viel Arbeit vor sich, damit die COP30 sowohl hinsichtlich der Teilnehmer als auch der Ergebnisse des Gipfels kein Misserfolg wird.

Dr. Hans-DIeter Holtzmann
Dr. Hans-Dieter Holtzmann

Die COP30 ist eine Herausforderung für das Image Brasiliens

Auch wenn die G20- und BRICS-Gipfel für Lula nicht besser hätten laufen können, ist der Erfolg der COP30, der Klimakonferenz im November, noch nicht gesichert. Einerseits hat Brasilien ein Glaubwürdigkeitsproblem in Sachen Klimaschutz. Zwar hat die illegale Abholzung des brasilianischen Regenwaldes unter Lula im Vergleich zum Klimawandel-Leugner Bolsonaro leicht abgenommen, doch Brasilien hat weiterhin ein internationales Imageproblem, wenn es darum geht, zu zeigen, dass der Schutz des Regenwaldes eine politische Priorität ist und auch in die Praxis umgesetzt werden kann.

Darüber hinaus widersprechen die von Lula vorangetriebenen Öl- und Gasprojekte der Klimabilanz Brasiliens und seiner Glaubwürdigkeit als Vorreiter beim Übergang zu erneuerbaren Energien, die im Land reichlich vorhanden sind.

Hinzu kommen die schwierigen logistischen Bedingungen für die Organisation einer Konferenz mit mehreren tausend Teilnehmern in Belém, mitten im Amazonasgebiet. Aus westlichen Ländern wird insbesondere Kritik an den hohen Hotelkosten und den logistischen Herausforderungen der Reise geäußert. Lula hat viel Arbeit vor sich, damit die COP30 sowohl hinsichtlich der Teilnehmer als auch der Ergebnisse des Gipfels kein Misserfolg wird.

 

Die Wahlen 2026 sind ein wichtiger Wendepunkt für die Zukunft Brasiliens: Die Qualität der Institutionen ist von entscheidender Bedeutung

In Brasilien ist die Qualität der Institutionen von grundlegender Bedeutung für den Aufbau einer freieren Zukunft.

In Brasilien ist die Qualität der Institutionen von grundlegender Bedeutung für den Aufbau einer freieren Zukunft.

Die Wahlen im Oktober 2026 in Brasilien finden zu einem Zeitpunkt statt, an dem eine starke Polarisierung zwischen Lula und Bolsonaro und ihren jeweiligen Anhängern herrscht. Es ist noch unklar, wer die Kandidaten für die erste Wahlrunde sein werden, insbesondere auf der Seite von Bolsonaro, der unter Hausarrest steht und in den kommenden Wochen wegen des versuchten Sturms auf die Institutionen in Brasilia im Jahr 2023 nach den letzten Wahlen vor Gericht stehen wird.

Mitte August kündigte Romeu Zema auf dem Parteitag der NOVO-Partei seine Kandidatur für das Präsidentenamt an. Zema ist derzeit Gouverneur des Bundesstaates Minas Gerais, wo er sich erfolgreich für die wichtigsten Anliegen der Bevölkerung – wirtschaftliche Erholung, Sicherheit und Transparenz – einsetzt und somit seine Eignung  als Kandidat für das höchste Amt auf nationaler Ebene demonstriert ist.

Zema hat angekündigt, dass Brasilien im Falle seiner Wahl zum Präsidenten aus BRICS austreten wird. Für ihn steht im Vordergrund, die Beziehungen zu den Vereinigten Staaten zu normalisieren und die Beziehungen zu Europa zu intensivieren, einschließlich der Ratifizierung des Abkommens zwischen der EU und dem Mercosur.

Für eine bessere Zukunft muss Brasilien vor allem die Qualität seiner Institutionen verbessern. Die neueste Ausgabe des „Index der institutionellen Qualität (ICI)”, vorgestellt vom argentinischen Wirtschaftsprofessor Martín Krause, macht deutlich, dass Handlungsbedarf besteht. Brasilien liegt nur auf Platz 95 der Rangliste, hinter Ländern wie Peru und Kolumbien, die bekanntlich ebenfalls vor großen Herausforderungen stehen.

Damit nimmt Brasilien sowohl in Lateinamerika als auch weltweit eine mittelmäßige Position ein. Das reicht nicht aus, um das große Potenzial des Landes auszuschöpfen, zeigt aber auch, wo die Chancen für eine liberale Politik in Brasilien liegen, die sich auf die konkreten Erwartungen der Bevölkerung konzentriert.

 

Dieser Artikel basiert auf einem Diskussionsbeitrag des Autors im Rahmen des Webinars „Präsentation des Index der institutionellen Qualität (ICI) 2025 – Lateinamerika im globalen Kontext” am 27. Oktober 2025, das vom Lateinamerikanischen Liberalen Netzwerk (RELIAL) organisiert wurde.