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Eine Kolumne von Karl-Heinz Paqué

60 Jahre Mauerbau
13. August 1961: Der Mauerbau und die Reaktionen

Vor genau 60 Jahren begann die Errichtung der Berliner Mauer. Dem Schlag gegen die Freiheit der DDR-Bürger folgte der zynische Realismus des Westens.
Mauerbau
In der Nacht zum 13. August 1961 fing die DDR an, die bis dahin offene Grenze nach West-Berlin abzuriegeln. © Bundesarchiv, Bild 173-1321 / Helmut J. Wolf / CC-BY-SA 3.0

Im Nachhinein weiß man alles besser: Am 15. Juni 1961, knapp zwei Monate vor dem Mauerbau, war Walter Ulbricht in einer Pressekonferenz von einer Journalistin  der Frankfurter Rundschau gefragt worden, ob die von der DDR damals politisch angestrebte Bildung einer freien Stadt Westberlin bedeuten würde, dass „die Staatsgrenze am Brandenburger Tor errichtet“ werden solle. Ulbricht antwortete: „Ich verstehe Ihre Frage so, dass es in Westdeutschland Menschen gibt, die wünschen, dass wir die Bauarbeiter der Hauptstadt mobilisieren, um eine Mauer aufzurichten. ... Niemand hat die Absicht, eine Mauer zu errichten!“

Ulbrichts Aussage ist in einem Filmdokument erhalten und immer wieder zitiert worden, so auch in dem Standardwerk des Historikers Thomas Flemming „Die Berliner Mauer. Geschichte eines politischen Bauwerks“ von 2019, aus dem ich im Folgenden mehrfach zitiere und dem ich in wesentlichen Punkten folge, was die Sequenz der Ereignisse betrifft. Ulbrichts Aussage klingt wie der blanke Hohn – und sie ist es auch, wie die Geschichte gezeigt hat. Denn längst liefen in der DDR-Spitze mit höchster Geheimhaltung Vorbereitungen für die Schließung der Grenze. Allerdings wurden sie erst wirklich akut, als die zwischen West und Ost strittig diskutierte Frage einer Konstituierung von Westberlin als „freie Stadt“ – losgelöst von der festen Bindung an die Westalliierten – von John F. Kennedy gegenüber Nikita Chruschtschow strikt abgelehnt wurde und die Sowjets daraus die Konsequenz zogen, sich einer Abriegelung der DDR nicht mehr zu widersetzen. Damit wurde für Ulbricht der Weg zum Mauerbau frei. Dies geschah wohl Ende Juli. Zwei Wochen später war es soweit.

Kurz nach 1 Uhr in der Nacht des 13. August, einem Sonntag, begannen die Absperrmaßnahmen – wohl völlig überraschend für die Ordnungs- und Polizeikräfte im Westen. Von da ab überschlugen sich die Ereignisse. Willy Brandt, Regierender Bürgermeister von Westberlin und SPD-Kanzlerkandidat im laufenden Bundestagswahlkampf, unterbrach seine Wahlkampftournee und kehrte gleich am Morgen mit der ersten Maschine nach Westberlin zurück, um schnellstmöglich mit den Amerikanern in Berlin zu sprechen. Ihm wurde allerdings schnell klar, dass die Stadtkommandanten – abgesehen vom zusätzlichen Einsatz von Patrouillen an der Sektorengrenze – in Passivität verharrten, was ihn offenbar in Zorn versetzte, wie Egon Bahr später berichtete.

Tatsächlich geschah auf Seiten der Westalliierten wenig. John F. Kennedy, Harold MacMillan und Charles De Gaulle setzten ihre jeweiligen Sommerferien fort, und der amerikanische Außenminister Dean Rusk publizierte die folgende Presseerklärung: „Die Absperrung Ost-Berlins ist eine für alle Welt sichtbare Niederlage des kommunistischen Systems. Das ostdeutsche Ulbricht-Regime ist für die unmenschliche Einsperrung der eigenen Landsleute vor aller Welt verantwortlich.“ Das stimmte zwar, machte aber schnell deutlich, dass mit harten Reaktionen kaum zu rechnen war.

Am 16. August hielt dann Willy Brandt eine flammende Rede vor 300.000 Westberlinern, in der er dem Zorn der Menschen Ausdruck verlieh, als er sagte: „Die Sowjetunion hat ihren Kettenhund Ulbricht ein Stück Leine gelassen. Sie hat ihm gestattet, seine Truppen einmarschieren zu lassen in den Ostsektor dieser Stadt ...Die Proteste der drei westlichen Kommandanten waren gut, aber dabei allein darf es nicht bleiben! ... Berlin erwartet mehr als Worte, Berlin erwartet politische Aktionen ...“. Klare Worte, die aber nichts halfen. Zwar erlebte Lyndon B. Johnson – zu seinem eigenen Erstaunen – einen triumphalen Empfang, als er am 19. August in Berlin landete, doch versprach er vor 300.000 Menschen am Rathaus Schöneberg nicht mehr, als die Freiheit Westberlins zu garantieren. Immerhin, die USA standen zu Westberlin, aber von spürbarem Druck auf die DDR und die Sowjetunion konnte keine Rede sein.

Es war eine Art zynischer Realismus, der im Westen herrschte. Man nahm fast schon erleichtert die Klärung der Situation hin und fand sich damit ab, mit der neuen Lage zu leben. Am drastischsten hat dies Bundeskanzler Konrad Adenauer politisch vorexerziert. Es ist kaum zu glauben, aber er verzichtete darauf, seine Wahlkampfreisen durch die Bundesrepublik zu unterbrechen. Erst am 22. August erschien er in Berlin, was ihm die Berliner Bevölkerung nie mehr verziehen hat. Diese herzlose Haltung kostete ihn fraglos auch viele Wählerstimmen bei der bevorstehenden Bundestagswahl und sorgte für den Anfang vom Ende seiner langen Kanzlerschaft. Wie es überhaupt nach dem Mauerbau nicht mehr lange dauerte, bis sich die Republik grundlegend veränderte – unter anderem mit der Spiegelaffäre 1962, die eine grundlegende Liberalisierung und das langsame Ende des althergebrachten patriarchalischen Politikstils einläutete.

Klar ist jedenfalls: Es war letztlich die Gefahr eines (Atom-)Kriegs, die den Westen davor zurückschrecken ließ, mit Drohungen und Ultimaten auf den Mauerbau zu reagieren. Deshalb ist auch die Frage müßig, ob zumindest die Nachrichtendienste des Westens bereits vor dem 13. August 1961 über das Bevorstehende informiert waren oder nicht. Willy Brandt hat später die Ignoranz des Bundesnachrichtendienstes beklagt, der noch wenige Tage vorher keine besonderen Vorkommnisse feststellte. Was den CIA betrifft, bleiben Fragen offen. Aber auch wenn es Indizien für einen bevorstehenden Mauerbau tatsächlich gab, stellt sich die Frage, was dies geändert hätte, solange der politische Wille zum Handeln fehlte.

Die Reaktion auf den Mauerbau war eben einer der tragischsten Konflikte zwischen dem Einsatz für Menschenrechte und Risiken der Sicherheitspolitik. Die DDR-Spitze nutzte – hart und kühl kalkulierend – die Möglichkeiten ihrer Macht im Schutz des Atomschirms aus. Der Westen schaute zornig, aber friedlich zu. Die Menschen im Osten Deutschlands bezahlten fortan den Preis. Bis zum 9. November 1989, dem Tag des Mauerfalls.                 

Flucht in die Freiheit

PeterLeibniz Sprung über die Mauer 1961

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Freiheit der Füße

Paqué

Vor 60 Jahren wurde die Berliner Mauer gebaut. 12 Jahre nach Gründung der DDR beendete sie die Abwanderung. Ein Offenbarungseid der totalitären Ideologie. In Gedenken an die Maueropfer, die mutig auf ihrer „Freiheit der Füße” als Menschenrecht bestanden - sie sind und bleiben Helden der Freiheit.

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