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Unterdrückung im Gewand der Befreiung

Fungisai Sithole über Simbabwes Geister der Vergangenheit
Militär Simbabwe

Das Militär beherrscht das Straßenbild

© Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit

Vor einigen Tagen – ich befand mich gerade auf dem Heimweg von der Arbeit – näherte ich mich dem Kreisverkehr bei Westgate nahe der Lomagundi Road, als ich auf einmal von mehreren Schützenpanzern umgeben war. Sie fuhren langsam Richtung Stadt und drängten dabei alle Fahrzeuge von der Straße ab.

Der Anblick der Schützenpanzer erschütterte mich. Ich fragte mich, was es wohl bedeutete, denn ich hatte die Kommentare von General Chiwenga zur Nachfolge in der Regierungspartei ZANU-PF nicht ernst genommen. Für mich war die Armee stets gleichbedeutend mit Mugabe gewesen und es war mir unvorstellbar, dass sie je gegen ihn putschen könnte. Ich fürchtete um mein Leben, um das Leben meiner Kinder, um meine Zukunft und verfiel in Panik, obwohl ich eigentlich jemand bin, der auf drohende Gefahren mit Besonnenheit reagiert. An diesem Tag, dem 14. November 2017, war das Gefühl jedoch ein ganz anderes.

Die Reinkarnation einer schmerzhaften Vergangenheit

Die Schützenpanzer weckten in mir Erinnerungen an meine Kindheit in Bulawayo in der Region Matabeleland. Das meiste davon ist zwar verblasst, aber ich habe ein überraschend klares Bild von Artillerie, Panzern und Soldaten vor Augen. Ich erinnere mich deutlich an die Gräuelgeschichten, die in meiner Familie wieder und wieder über den Völkermord Gukurahundi erzählt wurden. Wie unser Onkel von den berüchtigten Red Berets weggeführt wurde und nie wiederkehrte; wie unser Nachbar aufgrund des Zorns der Soldaten seine Gliedmaße verlor; wie manche meiner Vettern ohne Väter aufwuchsen, weil diese von den Soldaten getötet worden waren.

Das Wort Gukurahundi war mir schon in frühem Alter ein Begriff. Gukurahundi stammt aus der simbabwischen Landessprache Shona und bedeutet wörtlich „der frühe Regen, der vor dem Frühlingsregen die Spreu wegspült“. Ich war zu jener Zeit in der 1. Klasse und erinnere mich gut daran, wie wir jedesmal um unser Leben rennen mussten, wenn wir ein Militärfahrzeug sahen, und zu der Zeit gab es derer viele. Militärfahrzeuge waren dafür berüchtigt, dass ihre Fahrer besonders rücksichtslos waren. Sie brachten Ärger, sie brachten den Tod und sie brachten Folter. In unserer Jugend wurden wir stets an Verwandte und Nachbarn erinnert, die von diesen Soldaten entführt und nie wieder gesehen wurden. Als ich also am 14. November 2017 die Soldaten sah, überkamen mich die Erinnerungen aus jener Zeit. Ich konnte nicht nachvollziehen, wie ein Unterdrücker zugleich ein Befreier sein sollte. Ich gehörte zu denen, die die Machtübernahme der Militärs mit großer Skepsis betrachteten und die ihre eigene Einstellung hinterfragten, weil wir nicht wie die meisten unserer Mitbürger feierten.

Nachdem die Schützenpanzer vorbeigezogen waren, fuhr ich schnell nach Hause, noch immer erschüttert und in der Hoffnung, keinen weiteren dieser bedrohlichen Fahrzeuge zu begegnen. Die Hoffnung zerschlug sich jedoch – weitere Schützenpanzer zogen an meinem Haus vorbei und ließen mich vor Furcht erstarren. Zugleich hoffte ich jedoch, dass wir, wenn wir Gukurahundi überlebt hatten, auch dies überleben würden, was auch immer es war. Ich betete für die Sicherheit meiner Kinder und für den Frieden, denn die Erinnerung an Gukurahundi ist all diese Jahre bei mir geblieben und ich wollte sie nicht noch einmal durchleben.

An dem Tag fand ich keinen Schlaf. Pausenlos gingen über die sozialen Medien Nachrichten ein und bestätigten, dass ein Putsch stattgefunden hatte. Mugabes Residenz, das berühmte und grandiose Blue Roof-Gebäude, war von Panzern umzingelt worden. Die Putschisten hatten den Staatssender, die Zimbabwe Broadcasting Corporation, unter ihre Kontrolle gebracht und als ich sah, wie die Militärs durch Commander General Moyo zur Nation sprachen, hatte ich bereits eine Nation im Kriegszustand vor Augen. Ich sah für mich und meine Kinder eine trostlose Zukunft in Simbabwe vorher.

Militär Simbabwe

Soldaten allgegenwärtig

© Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit

Die Militärs kündigten an, die Macht übernommen zu haben, und dass Präsident Mugabe in Sicherheit sei. Die strenge, ernste Stimme von General Moyo brachte mich aus der Fassung. Ich ging nicht zur Arbeit. Ich empfahl meiner Chefin, die am 16. November Simbabwe besuchen sollte, nicht zu kommen, da alle Anzeichen auf eine militärische Revolte hindeuteten. Weitere Gespräche mit ihr und ihre Unterstützung für mich und meine Kollegen beruhigten mich jedoch. Meine Kollegen schickten mir aus aller Welt Nachrichten, in denen sie mir Mut zusprachen, und so hatte ich das Gefühl, nicht völlig allein dazustehen. Stattdessen bekam ich den Eindruck, dass meine Kollegen sich aufrichtig um meine Sicherheit – sowie die meiner Kollegen vor Ort – sorgten.

Ist ein neues Simbabwe möglich?

Am 18. November 2017 war es klar, dass nicht alles so einfach ablaufen würde, wie es sich die Militärs vorgestellt hatten. Zivilpersonen wurden zusammengetrommelt, und die Kriegsveteranen, einige Oppositionsparteien und andere Anti-Mugabe-Bewegungen organisierten eine „Unabhängigkeitsdemonstration“. Ich konnte und wollte an der Demonstration nicht teilnehmen, weil es sich meines Erachtens bei der Freiheit zu protestieren um ein Recht handelt und nicht um einen Gefallen, den die Sicherheitskräfte der Bevölkerung tun, wenn sie gerade großmütig gesinnt sind. Die Soldaten waren zwar anwesend, jedoch nicht um Menschen zu töten, sondern um sie zu unterstützen und zu schützen. Für mich klang es trotzdem falsch.

Dennoch erfreute es mich, meine Landsleute so glücklich zu sehen. Es zeigte mir, dass ein neues Simbabwe möglich ist. Ein Simbabwe, in dem Menschen das Recht zu protestieren haben – nicht unbedingt, um ihre Unterstützung für das Militär auszudrücken, sondern auch bei Themen, bei denen sie anderer Meinung als die Machthaber sind. Es war jedoch offensichtlich, dass dieses Recht nicht von langer Dauer sein würde. Wenn die Armee erst einmal ihre Ziele erreicht hat, kehrt Simbabwe zu seinem altbekannten Zustand zurück. Ein unfreies Simbabwe, in dem keine abweichenden Meinungen zugelassen sind und in dem Bürgerproteste immer auf das Wohlwollen der Sicherheitskräfte angewiesen sind.

Das Traurige daran ist, dass wir zwar immer wussten, wie einflussreich die Militärs in der Politik unseres Landes waren; jetzt wissen wir jedoch auch, dass in Simbabwe niemand ohne die Unterstützung der Militärs oder ohne „Liberation Credentials“, also eine Ruhmesrolle im Befreiungskrieg der 1970er, herrschen kann; und wir wissen auch, wie weit die Militärs zu gehen bereit sind, um ihren bevorzugten Kandidaten durchzuboxen. Zusammengenommen beschreibt dies eine unausgesprochene Regel, die im Vorlauf zu den Wahlen 2018 für die Opposition eine wichtige Hürde darstellt. Das Militär kann niemals unser Befreier sein! Rechtsstaatlichkeit, strikte Gewaltenteilung, Bürgerrechte, Pressefreiheit und die Freiheit, unsere Regierungen zu wählen, müssen unerlässliche Schlüsselbestandteile unserer Befreiung sein.

Emmerson Mnangagwa
Emmerson Mnangagwa © CC BY-NC-ND 2.0 flickr.com/ UN Geneva

Gier nach Macht

Robert Mugabe, seit meiner Geburt vor 37 Jahren der einzige Präsident, den ich je kannte, ist am 21. November 2017 endlich zurückgetreten und reagierte damit auf den wachsenden Druck von den Militärs sowie den Bürgern. Simbabwe hat in Emmerson Mnangagwa einen neuen Präsidenten und wir Simbabwer machen uns noch mit dem ungewohnten Gefühl vertraut, einen neuen Präsidenten zu haben.

Leider erfüllt mich der neue Präsident nicht mit Zuversicht. Er diente über vier Jahrzehnte lang unter Mugabe und wurde offensichtlich über viele Jahre von diesem gefördert und bevorzugt. Als in den 1980ern die Gukurahundi-Massenmorde in Matabeleland stattfanden, war er der Verteidigungsminister. Unter seiner Leitung wurden 22.000 Menschen in Matabeleland ermordet und es ist allgemein bekannt, dass er einer Terrormiliz in der Midlands-Provinz vorstand. Er bezeichnete die Menschen aus Matabeleland als Kakerlaken, die während der Gukurahundi-Kampagne ausgelöscht werden sollten. Mnangagwa war bei den meisten Gräueltaten, die während Mugabes Zeit gegen Zivilisten verübt wurden, der „Macher“.

Die Tatsache, dass er das Militär für die Verteidigung seiner politischen Interessen gewinnen konnte, ist bezeichnend für seinen zügellosen Ehrgeiz und seine maßlose Gier nach Macht um jeden Preis. Mnangagwa schwor am vergangenen Freitag den Amtseid. In seiner Ansprache zum Amtsantritt versprach er, wichtige liberale Wirtschaftsreformen einzuführen, die die dahindarbende Wirtschaft wiederbeleben sollen.

Es stach jedoch ins Auge, dass er sich nicht zu Menschenrechten und politischer Freiheit äußerte. Für mich war dies ein Beleg dafür, dass dies nicht jemand ist, der sich ändern kann oder wird. Mnangagwa ist jemand, der ohne mit der Wimper zu zucken Menschenrechte mit den Füßen tritt und dem jedes Mittel – auch Gewalt – recht ist, um seine Ziele zu erreichen.

Während die Welt noch den Abschied von Mugabe feiert, sollte man nicht Mnangagwas bisherigen Umgang mit Menschenrechten aus den Augen verlieren, um zu begreifen, was Simbabwe gerade widerfährt. Meine Erwartung ist, dass er jederzeit wieder Gewalt einsetzen wird, wenn er seine Macht bedroht sieht. Trotz dieser Ängste, was den neuen Präsidenten betrifft, bin ich froh, dass Mugabe weg ist. Jetzt muss Simbabwe neue Schlachten schlagen und neue Siege erringen, damit seine Bürger endlich die langersehnte Freiheit erlangen.

Fungisai Sithole ist Programmmitarbeiterin der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit in Simbabwe.