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"MINT-Marketing muss kreativer werden"

Nur die Verpackung, nicht aber auch den Inhalt zu ändern, ist Narretei
Wie interessieren sich mehr junge Frauen für den MINT-Bereich?

MINT-Herbstreport 2017: Mit 290.900 fehlenden Arbeitskräften erreicht der Engpass einen neuen Rekordstand.

© iStock / ismagilov

In Deutschland ist der Mangel an Naturwissenschaftlern und Informatikern so groß wie nie zuvor. Das zeigt der am Donnerstag veröffentlichte MINT-Herbstreport 2017. Was tun? "Das Marketing muss kreativer werden, die Karriereperspektiven attraktiver und neue Berufsbilder müssen her wie eine intelligente Verknüpfung von berfulicher und akademischer Bildung", meint Thomas Sattelberger, Vorstand der Initiative minzukunftschaffen.de im Gespräch mit freiheit.org. Der ehemalige Personalvorstand der Telekom und jetzige FDP-Bundestagsabgeordnete treibt besonders eines um: "Wir müssen unbedingt das Thema der Sinnhaftigkeit für junge Frauen bei der Berufswahl berücksichtigen."  

Thomas Sattelberger

Thomas Sattelberger ist aktuell Vorsitzender der BDA-/BDI-Initiative »MINT Zukunft schaffen« .

© Thomas Sattelberger

Herr Sattelberger, ist jetzt der richtige Zeitpunkt, um besonders in MINT-Initiativen zu investieren oder zeigen diese bereits Erfolge?

Ich befasse mich mit dem Thema für BDA und BDI ja seit über zehn Jahren und jetzt erst sehen wir, dass unsere Anstrengungen seit wenigen Jahren Früchte tragen. Wir haben es geschafft, die Zahl der jungen Ingenieure, Naturwissenschaftler und Informatiker signifikant zu erhöhen. Wir haben es auch geschafft, dass an vielen Hochschulen Maßnahmen ergriffen wurden, um den exorbitanten Studienabbruch in den MINT-Fächern zu verringern. Und wir haben sehr viel dafür getan, gerade die internationalen MINT- Studierenden besser zu integrieren.

Wo hapert es denn noch?

Wo wir nicht erfolgreich waren, das muss man ganz klar zugeben, ist, die Zahl der jungen Frauen in MINT-Ausbildungsberufen deutlich zu erhöhen. Der Anteil weiblicher Auszubildender stagniert  seit vielen Jahren um die zehn Prozent. Auf die Frage, war alles erfolgreich, kann man sagen: im akademischen Bereich ja, im Bereich der beruflich Qualifizierten müssen wir noch gravierend nachholen. 

Wie kann man die Bewerberzahl steigern?

Durch den ungebrochenen Erfolg der deutschen Wirtschaft ist der Fachkräftebedarf sowohl im akademischen Bereich wie im beruflich Qualifizierten - also auf beiden Beinen - bedeutend gewachsen, wobei im akademischen Bereich die Zahl der Studienanfänger und –Absolventen auch entsprechend gestiegen ist. Gleichzeitig haben wir es in den letzten fünf, sechs Jahren geschafft, fast 120.000 akademische Expertinnen und Experten aus Ländern wie  Indien, China, Russland, Spanien und Frankreich für Deutschland zu gewinnen. Nichtsdestotrotz ist eine signifikante Lücke da, die sich ungefähr aus einem Drittel akademischer Spezialisten (ca. 100.000) und zwei Dritteln beruflich Qualifizierter (ca. 200.000) zusammensetzt.  

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Wie kann man diese Lücke schließen?

Gerade die Debatte, die wir als Liberale treiben, Stichwort Exzellenzinitiative Berufliche Bildung, ist hier ein Schlüsselbeitrag. Wenn die Karriereaussichten für Akademiker besser sind, wird man sich auch in Zukunft im Zweifel eher für das Studium als die Berufsausbildung entscheiden. Wenn es aber gelänge, die berufliche Bildung tatsächlich - nicht nur von der Rhetorik her, sondern auch faktisch - gleichwertig zu machen, sprich, dass es Exzellenzinitiativen für Berufsbildungszentren gibt, dass es Stipendien für die Top-Absolventen beruflicher Aus-und Fortbildung gibt, dass es Bildungswege gibt, die akademische und berufspraktische Bausteine sinnvoll miteinander verknüpfen, wenn es eine passende Andockung an die Laufbahn des öffentlichen Dienstes und die Aufstiegswege der privaten Wirtschaft gäbe, dann könnte man noch viel besser junge Menschen für die berufliche MINT-Ausbildung gewinnen.  

Welche Anreize kann man noch setzen, um junge Menschen für eine Ausbildung oder Studium im MINT-Bereich zu begeistern?

Finanziell steht heute ein MINT-Meister und MINT-Techniker meist besser als ein promovierter Geistes- oder Sozialwissenschaftler da. Neben dem Verdienst spielt aber auch das Thema der Bildungs- und Karriereperspektive eine große Rolle. Wenn diese aber beim Techniker, Vorarbeiter oder Meister aufhört, dann ist das ein Stück weit ein Problem. Deswegen ist die Weiterentwicklung der Aufstiegsfortbildung, wie es die BDA sagt, oder der Höheren Beruflichen Bildung, wie es der Zentralverband des Deutschen Handwerks nennt, ein Schlüsselpunkt. 

Wie könnte das denn konkret aussehen?

Warum sollte es in Zukunft nicht Berufe wie den „Smart Home Designer“ oder den „Drohnenspezialisten“ geben?

Thomas Sattelberger
Thomas Sattelberger

Auf dem Gebiet der Expertenausbildung muss man noch viel kreativer werden. Und die Verzahnung von beruflicher und akademischer Ausbildung stärken. Da gibt es bereits hochinteressante Modelle. Wie das duale Studium oder beim Handwerk gar das triale Studium, also Geselle, Meister plus Bachelor-Studium. Jetzt gilt es, aus diesen Leuchttürmen tatsächliche, ganzheitliche Fortbildungsstrukturen zu schaffen, die nachhaltig wirken.

Rein rational ist die Sache klar: Eine Ausbildung oder ein Studium im MINT-Bereich haben tolle Berufsaussichten und der Verdienst ist gut. Warum aber überzeugt das junge Frauen nicht genug? 

Acatech und die Körber-Stiftung haben beim Nachwuchsbarometer herausgefunden, dass bei jungen Frauen teils ganz falsche Vorstellungen bestehen, was die Arbeit im MINT-Bereich betrifft. Da hieß es zum Beispiel, dass die Arbeiten besonders unfallgefährdet und gesundheitsgefährlich seien. Außerdem sei es ständig kalt und die Jobs eher kontaktarm. Gerade was die jungen Frauen betrifft, stecken viel zu viele archaische Bilder und Stereotypen über MINT in den Köpfen , die vielleicht mal vor fünfzig  Jahren galten, aber heute total obsolet sind. Hier stellt sich die Frage, wie praxis- und erlebnisorientiert ist die Berufsorientierung an der Schule? 

Wie schafft man es dann, diese Zielgruppe doch noch für MINT-Fächer oder – Berufe zu gewinnen?

Wir brauchen  in den Schulen ganz neue Formate des praktischen, erlebnisorientierten Berufserfahrens. Ein Girl’s Day, ein Berater vom Arbeitsamt, der über Berufe erzählt, und eine Ingenieurin die preisgibt, was sie alles macht, reichen nicht aus. Berufsfelder muss man erleben.

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Was muss sich noch ändern?

Der zweite wichtige Aspekt ist, dass das Marketing für MINT-Berufe häufig zu nüchtern und technisch ist. Wenn Sie beispielsweise an Studiengänge das Wort „Bio“ voranstellen und natürlich auch die Studieninhalte passend anreichern in Richtung Lebenswissenschaften, haben sie plötzlich einen signifikanten Anstieg an jungen Frauen, die sich für dieses Studium interessieren. Das heißt, wenn deutlicher würde, dass MINT auch zur Lösung sozialer Problemstellungen im Gesundheitsbereich, des Armuts ,des Ressourcenverbrauchs und des Hungers Beiträge liefert und Unternehmen daran arbeiten, dann entstünde gleich eine ganz andere Anmutung, die hinter einer MINT-Ausbildung oder einem –Studium steht. Aber nur die Verpackung, nicht aber auch den Inhalt zu ändern, ist Narretei. Das Thema der Sinnhaftigkeit für junge Frauen bei der Berufswahl müssen wir unbedingt berücksichtigen.

Zur Person: Thomas Sattelberger, geboren am 5. Juni 1949 in Munderkingen an der Donau, studierte BWL und blickt als Manager auf fast 40 Jahre Erfahrung zurück. Der ehemalige Personalvorstand der Telekom und jetzige FDP-Bundestagsabgeordnete ist Vorsitzender der Initiative www.mintzukunftschaffen.de, die sich für bessere Bildung und mehr Perspektiven in den MINT-Bereichen (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technik) einsetzt. Der MINT-Report wird zweimal jährlich vom Institut der deutschen Wirtschaft Köln erstellt. Den MINT-Report 2017 können Sie hier herunterladen.