90. Geburtstag des Dalai Lama
Ein Volk hofft auf die Rückkehr

Das geistliche Oberhaupt Tibets, der Dalai Lama, betet während einer Veranstaltung, bei der Exiltibeter im Tsuglakhang-Tempel in Dharamshala, Indien, für sein langes Leben beten.
© picture alliance / ASSOCIATED PRESS | Ashwini BhatiaUnter großen Festlichkeiten feiert der Dalai Lama seinen 90. Geburtstag im indischen Exil, fernab der Heimat. Auch einen Nachfolger wird es geben. Doch dieser wird ein schwieriges Erbe antreten.
Wir schreiben das Jahr 1937. Eine Gruppe von als Pilger verkleideten Männern sucht im Nordosten Tibets nach einem Kleinkind. Einer Vision nach soll es in einem Haus mit markanten Giebeln auf einem Hügel entlang einer sich windenden Straße leben, an deren Fuße sich ein großes Kloster mit goldenem Dach und türkisfarbenen Fliesen erstreckt. Im Dorf Taktser am äußersten Rande des tibetischen Siedlungsgebiets finden die Männer schließlich ein Haus, das der Beschreibung entspricht.
Dort lebt der zweijährige Lhamo Döndrub. Sie stellen dem Jungen allerlei Fragen und lassen ihn als Teil einer Prüfung immer wieder zwischen verschiedenen Gegenständen auswählen. Jedes Mal antwortet er präzise und entscheidet sich richtig. Schon bald ist den Geistlichen klar: Das ist kein gewöhnliches Kind, dem sie dort gerade gegenübersitzen, sondern ein Erleuchteter.
So wurde aus Lhamo Döndrub Tenzin Gyatso, besser bekannt als der 14. Dalai Lama. Als das spirituelle Oberhaupt des tibetischen Buddhismus 1940 den Thron bestieg, war Tibet unabhängig und die Welt gefangen in den Schrecken des Zweiten Weltkrieges. Als China zehn Jahre später in Tibet einmarschierte, übernahm Gyatso offiziell die Führung.
Seitdem hat der selbsterklärte einfache Mönch mit Mao gespeist, ist mit Teilen seiner Anhängerschaft ins indische Exil nach Dharamsala geflüchtet und erhielt den Friedensnobelpreis für seine Bemühungen um eine gewaltfreie Lösung des Konflikts mit China. 2011 gab er sogar seine politische Macht an die Exilregierung ab – ein wichtiger Demokratisierungsprozess, den die Friedrich-Naumann-Stiftung seit mehr als 30 Jahren unterstützt. Doch auch in diesem Leben hat der 90-Jährige noch Träume, die es zu erfüllen gilt.
Angst vor dem Kulturverlust
“Seine Heiligkeit hat nicht nur eine spirituelle Seite, sondern zeichnet sich auch durch seinen politischen Scharfsinn und sein strategisches Vorgehen aus”, sagt Tenzin Norsong. Er wurde in einem tibetischen Flüchtlingslager in Indien geboren, arbeitete fast zehn Jahre lang für die Exilregierung und traf den Dalai Lama mehrmals. Osang schildert, dass Gyatso schon als junger Mann ein gutes Gespür dafür hatte, wie er das tibetische Volk führen müsse.
Als Indiens damaliger Premier Jawaharlal Nehru dem Dalai Lama und seinem Volk 1959 Exil bot, nahm er das Angebot an. Er bestand jedoch darauf, dass die Tibeter ihre eigenen Siedlungen und Schulen unterhalten dürfen. “Nur so konnten wir so lange überleben”, erklärt Osang.
Doch mehr als 60 Jahre im Exil haben ihre Spuren in der Diaspora hinterlassen. Weniger als 100.000 Tibeter in Indien stehen mehr als sieben Millionen in China gegenüber. Aufgrund fehlender Perspektiven verlassen immer mehr junge Menschen die Siedlungen der Exilgemeinde und assimilieren sich. Viele Tibeter wünschen sich deshalb eine Rückkehr in ihr Heimatland. Doch dem steht vieles im Weg.
Reinkarnation als Staatsaufgabe
Spätestens seit dem Tibetaufstand und der Massenflucht aus China 1959 ist das sino-tibetische Verhältnis schwer beschädigt. Zwar gab es seitdem einzelne Hoffnungsschimmer einer Wiederannäherung, etwa als der Dalai Lama 1988 seinen “Mittleren Weg” darlegte und sich für Autonomie innerhalb Chinas statt tibetischer Unabhängigkeit aussprach. Doch ein echtes Einlenken Pekings gegenüber dem “Spalter” und seinen Gefolgsleuten gab es bis heute nicht. Im Gegenteil: Während Indien erklärt hat, den von den Tibetern bestimmten Nachfolger des Dalai Lama zu akzeptieren, hat China die Suche schon jetzt zur Staatssache erklärt. Das hat Methode.
Als der Dalai Lama 1995 einen Panchem Lama – nach ihm selbst den zweithöchsten Geistlichen – in Tibet verkündete, ließ die chinesische Regierung diesen prompt entführen und stellte einen Gegenkandidaten auf, den sie bis heute stützt. 2008 griff der Staat zudem hart gegen Unruhen in Tibet durch, bei denen vermutlich Dutzende Menschen starben. Eine Normalisierung des Verhältnisses ist weit entfernt. Währenddessen erfährt die tibetische Exilregierung zwar weitreichende internationale Unterstützung – insbesondere durch die USA –, wird jedoch von keinem Land als unabhängig anerkannt. Zu wichtig sind die Beziehungen zu China.
Aus der Not der Tibeter wird so eine Art Zweckoptimismus. Diesen teilt auch Tenzin Norsang. “Die Tibeter sind hoffnungsvoll, dass selbst der aktuelle Dalai Lama noch nach Tibet zurückkehren können wird”, sagt er. Ein Wunsch, der ihm bislang verwehrt blieb.
Norsang geht sogar noch weiter. Denn als der Dalai Lama kürzlich verkündete, dass sein Nachfolger in einem freien Land geboren werde, interpretierten viele Beobachter dies als Hinweis, dass er aus der indischen Exilgemeinde kommen werde. Doch das müsse nicht so sein. “Wenn Tibet noch zu Lebzeiten des aktuellen Dalai Lamas frei sein wird, dann könnte der neue Dalai Lama auch dort zur Welt kommen.”