Vor 80 Jahren
Kriegsende

Vor 80 Jahren endete der Zweite Weltkrieg. Berlin im Mai 1945.
© picture alliance/Fotoarchiv für Zeitgeschichte/Archiv | Fotoarchiv für ZeitgeschichteMein Vater war Jahrgang 1922. Er wurde im Zweiten Weltkrieg als junger deutscher Soldat nach Russland geschickt und landete nach Kriegsende für kurze Zeit in sowjetischer Kriegsgefangenschaft. Er hatte Glück: Er überlebte alles weitgehend unverletzt, aber die Jahre hinterließen doch tiefe Spuren. Er hat von selbst nie darüber geredet. Ein Mann, wie viele andere Deutsche: tief geprägt von den tradierten Werten der Kaiserzeit, die sein Elternhaus ihm vermittelte und in die Weimarer Republik sowie selbst in die Naziherrschaft hineinragten. Nach 1945 war er wie auch viele andere mit der harten Arbeit für den Wiederaufbau beschäftigt. Seine konservativen Wertvorstellungen blieben nach 1945 erhalten, aber er war glücklich über Freiheit, Frieden und Stabilität in seiner Heimat, dem Saarland und später der Bundesrepublik.
Ich selbst bin Jahrgang 1956, noch im „Saargebiet“ gerade mal 11 Jahre nach dem Weltkriegsende geboren, aber subjektiv ganz weit davon weg. Aufgewachsen in der Atmosphäre der deutsch-französischen und deutsch-amerikanischen Freundschaft, ohne jeden Zweifel an Westbindung, europäischer Integration und dauerhaftem Frieden – trotz atomarem Wettrüsten und trotz Kontakt zur Verwandtschaft in der DDR, die ab den späten siebziger Jahren regelmäßig besucht wurde und an die Kriegsfolgen der Teilung erinnerte. Selbst dies endete mit dem Mauerfall 1989 und der deutschen Vereinigung 1990. Und die Welt schien offen zu stehen für den endgültigen Sieg von Rechtsstaat, Demokratie und Marktwirtschaft. Die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts erwies sich als das Gegenteil der ersten Hälfte. Und die meisten – auch ich – erwarteten, dass dies so weitergehen würde: eine auf Dauer stabile Nachkriegsordnung der Welt.
8. Mai 1945 – Ein Ende, das ein Anfang war

Der 8. Mai 1945 markiert das Ende des Zweiten Weltkriegs und den Beginn eines neuen Europas. Warum dieser Tag als Befreiung gilt – und was er uns heute über Freiheit und Verantwortung lehrt.
Wir lagen falsch, und zwar bei ganz vielen Entwicklungen. Chinas Öffnung zur Marktwirtschaft führte nicht zu Demokratie und Rechtsstaat. Putins Russland bewahrte nicht den Frieden, sondern wurde zu einer neo-imperialistischen Nation, die schließlich gegen die Ukraine einen Krieg vom Zaun brach. Trumps Vereinigte Staaten blieben nicht das Vorbild der Freiheit, sondern stellten liberale Werte offen in Frage – samt der NATO, die diese Werte traditionell militärisch verteidigte, unter der Führung der USA. Und vielerorts in der Welt beobachten wir autokratische und populistische Tendenzen, selbst in Europa, einschließlich Deutschland. Fazit: 80 Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg ist eben die „Nachkriegszeit“ endgültig zu Ende.
Fragt sich: Was kommt danach? Die unbequeme Antwort lautet: ein ganz neuer Kampf für Rechtsstaat, Demokratie und Marktwirtschaft – in einer „multipolaren“ Welt, in der es keine Hegemonialmacht liberaler Werte gibt, auf die man sich verlassen kann. In gewisser Weise sind wir wieder im 19. Jahrhundert, als sich die damals führenden Staaten ihren eigenen Weg in die damalige Moderne suchten. Ihr Weg war lange recht erfolgreich, endete aber schließlich in zwei Weltkriegen und der totalen Niederlage des Liberalismus. Dies darf nicht noch einmal passieren. Die Gefahr, dass es passiert, ist heute größer als seit Jahrzehnten. Es zu verhindern ist die große gemeinsame Aufgabe für alle liberal Gesinnten der Welt. 80 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs kann man sich nur mit Leidenschaft dem Aufruf des britischen liberalen Europakenners Timothy Garton Ash anschließen, der uns jüngst im GUARDIAN aufrief: „Liberals of all countries, unite!“.