FREIHEIT+90
Integration leben: Wie Doğan Çimen Brücken zwischen Kulturen baut
Doğan Çimen.
Im Rahmen unseres Projekts „Freiheit+90“, das vom FNF Büro in Istanbul ins Leben gerufen wurde, führen wir Interviews mit in Deutschland lebenden Menschen mit türkischen Wurzeln. Ziel ist es, ihre persönlichen und inspirierenden Erfahrungen sowie ihre Perspektiven zu den Themen Identität, Zugehörigkeit, Migration und Liberalismus kennenzulernen und mit Ihnen als Leserinnen und Lesern zu teilen. Mit dieser zweiwöchentlich erscheinenden Interview-Reihe möchten wir einen tieferen Einblick in die multikulturelle Gesellschaft Deutschlands und individuelle Lebensgeschichten ermöglichen. Diese Woche erzählt uns der engagierte türkeistämmige Ehrenamtler Doğan Çimen von seinem Werdegang, seinen Wahrnehmungen und Erfahrungen.
Doğan Çimen ist in Deutschland geboren, hat türkische Wurzeln – und lebt Integration jeden Tag. Ob im Betriebsrat, als Seelsorger oder im Ehrenamt: Er setzt sich unermüdlich für Solidarität, Dialog und Zusammenhalt ein. Im Rahmen der Interview-Reihe Freiheit+90 spricht er über seine Erfahrungen, seine Motivation und darüber, wie Brücken zwischen Kulturen entstehen können.
Wie hat Ihre Reise oder Ihr Leben in Deutschland Ihre Perspektive geprägt?
Als jemand, der in Deutschland geboren und aufgewachsen ist, aber türkische Wurzeln hat, habe ich früh gelernt, wie wichtig Engagement für die Gemeinschaft ist. Durch meine Arbeit und meine Ausbildung als mittelständischer Arbeiter, meine Rolle im Betriebsrat und meine ehrenamtlichen Tätigkeiten – sei es etwa im THW, in der Seelsorge oder als Betreuer in Wohnheimen – habe ich erkannt, wie zentral Solidarität und Zusammenhalt für unsere Gesellschaft sind. Diese Erfahrungen haben meine Perspektive auf die deutsche Arbeitskultur und das gesellschaftliche Miteinander geprägt. Sie haben mich motiviert, Brücken zu bauen und ein Beispiel dafür zu sein, wie Integration und Mitgestaltung aktiv gelebt werden können.
Welche Initiative würden Sie vorschlagen, um die Beziehungen zwischen türkisch-deutschen Bürgern und der allgemeinen Gesellschaft zu stärken, und warum?
Ich würde eine Initiative vorschlagen, die Menschen wie mich – mit vielfältigem Engagement und einem breiten Netzwerk – in den Mittelpunkt stellt. Ein Programm wie "Brückenbauer in der Gemeinschaft" könnte Personen aus verschiedenen kulturellen Hintergründen dazu ermutigen, ihre Erfahrungen und Fähigkeiten zu teilen, aber man muss auch über die Brücke gehen. Es könnten Workshops und Diskussionsrunden angeboten werden, bei denen Betriebsräte, Ehrenamtliche und Gemeinderäte von ihrem Alltag berichten und andere inspirieren. Solche Initiativen fördern den Dialog und zeigen, wie wichtig es ist, dass jede Stimme zählt – egal ob in der Politik, im Berufsleben oder in der Nachbarschaft.
Wie können liberale Politiker türkischstämmige Bürger besser erreichen?
Ich denke, dass liberale Politiker gezielt auf Menschen zugehen müssen, die bereits viel in ihre Gemeinschaft investieren. Ich selbst bin seit über zehn Jahren in der Politik aktiv, im Gemeinderat tätig und engagiere mich in vielen Bereichen: im Betriebsrat, in Krankenhäusern als Seelsorger, in Sicherheitsprojekten, im Sport und auch beruflich als Einzelhandelskaufmann. Dieses Engagement wird zwar geschätzt, doch oft fehlt der nächste Schritt – wie etwa eine echte Chance auf aussichtsreiche Listenplätze, beispielsweise für den Bundestag.
Wir brauchen mehr sichtbare Vorbilder mit unterschiedlichen Hintergründen, die zeigen, dass Politik für alle offen ist und dass sich Einsatz lohnt. Politiker sollten außerdem den Dialog verstärken, nicht nur in Parteistrukturen, sondern auch vor Ort – sei es in Vereinen, bei Sportveranstaltungen oder bei sozialen Projekten, und beim Ortsverband aktiver sein und zusammenbringen. Sie müssen die Menschen dort abholen, wo sie stehen, und ihre Anliegen ernst nehmen. Themen wie bessere Arbeitsbedingungen, Chancengleichheit, Familie und Jugend, oder die Förderung von Ehrenamt und Bildung sollten stärker in den Fokus rücken. Nur so entsteht langfristig Vertrauen und die Motivation, sich politisch einzubringen.
Welche Herausforderungen und Chancen gibt es für die türkische Diaspora in der Beziehung zu Deutschlands Institutionen?
Die größte Herausforderung ist oft der fehlende Zugang zu politischen Netzwerken oder Informationen über Mitgestaltungsmöglichkeiten. Viele Menschen wissen nicht, wie sie aktiv an der Politik oder in Institutionen teilnehmen können. Gleichzeitig gibt es enorme Chancen: Türkischstämmige Bürger wie ich, die im Betriebsrat tätig sind, in sozialen Projekten helfen und politische Verantwortung übernehmen, sind ideale Vorbilder. Wenn diese Beispiele sichtbarer gemacht werden, könnten sie andere motivieren, ebenfalls aktiv zu werden. Es braucht Initiativen, die diese Geschichten erzählen, um zu zeigen, wie stark die türkische Diaspora bereits zur Stärkung der Demokratie beiträgt.
Wir werden unsere Beiträge auf Freiheit+90 regelmäßig mit neuen Geschichten und Interviews fortsetzen! Unser nächstes Interview werden wir sowohl über unsere Social-Media-Kanäle als auch über unsere Website ankündigen!