Internationale Beziehungen
EUROPAS SAFE-RAHMEN: POLITISCHE BLOCKADEN VS. STRATEGISCHE INKLUSIVITÄT
Tacan İldem, Botschafter a.D., Vorsitzender von EDAM – Centre for Economics and Foreign Policy Studies
Die in diesem Text geäußerten Ansichten spiegeln ausschließlich die persönlichen Meinungen des Autors wider, basierend auf seiner individuellen Expertise. Sie stellen nicht die offizielle Position der Friedrich-Naumann-Stiftung dar.
Einleitung
Der entstehende „Security Action for Europe“ (SAFE)-Rahmen der Europäischen Union stellt einen wichtigen Schritt zur Stärkung der europäischen verteidigungstechnologischen und -industriellen Basis (EDTIB) und zur Weiterentwicklung des Ziels einer „strategischen Autonomie“ dar. SAFE, das sich noch in der Entwicklung befindet, soll die derzeit fragmentierten Verteidigungsinstrumente der EU in einem kohärenten System bündeln – von der Fähigkeitsentwicklung über industrielle Resilienz bis hin zu langfristigen strategischen Ambitionen.
Durch die Integration des Europäischen Verteidigungsfonds (EDF), der Ständigen Strukturierten Zusammenarbeit (PESCO) und des EDIRPA-Beschaffungsmechanismus soll SAFE Europas industrielle Kapazitäten eng mit seinen strategischen Zielen verzahnen. Damit stärkt der Rahmen sowohl die Verteidigungsfähigkeiten Europas als auch die Autonomie seines sicherheitspolitischen Ökosystems.
Lastenteilung und die transatlantische Gleichung
SAFE muss im breiteren transatlantischen Kontext betrachtet werden. Mit der Rückkehr von Präsident Trump ins Weiße Haus hat die Debatte um Europas „strategische Autonomie“ neue Dringlichkeit gewonnen. Die USA tragen weiterhin einen überproportionalen Teil der NATO-Verteidigungslast und drängen Europa verstärkt dazu, mehr Verantwortung zu übernehmen.
Der NATO-Gipfel von Wales 2014 setzte den Maßstab, 2 % des BIP für Verteidigung auszugeben – ein Ziel, das konstant nur wenige Alliierte erreichen, darunter Polen, das Vereinigte Königreich und die baltischen Staaten. Der Druck der USA während Trumps erster Amtszeit beschleunigte die europäischen Verteidigungsausgaben zusätzlich.
Auf dem NATO-Gipfel 2024 in Den Haag gingen die Mitglieder weiter: Sie verpflichteten sich, bis 2035 insgesamt 5 % des BIP für Verteidigung und Sicherheit aufzuwenden – davon 3,5 % für NATO-Fähigkeitsziele und 1,5 % für Resilienz und kritische Infrastruktur.
Diese Zusagen stärken Europas Entschlossenheit, strategische Kapazitäten durch Initiativen wie SAFE aufzubauen. Doch europäische Sicherheit lässt sich nicht allein an EU-Grenzen definieren. Zentrale nicht-EU-Verbündete – namentlich das Vereinigte Königreich, Norwegen und die Türkei – sind für jede glaubwürdige Vision der europäischen Verteidigungs- und Sicherheitsarchitektur unverzichtbar. Ihre Sicherheit ist untrennbar mit der Europas verbunden.
Beteiligung von Drittstaaten
Der EU-Ansatz zur Einbindung von Nichtmitgliedern in ihre Verteidigungsprogramme bleibt restriktiv. Eine Beteiligung ist nur möglich, wenn ein nachweislicher „Mehrwert“ besteht und strenge Auflagen zu Exportkontrollen, Datensicherheit und geistigem Eigentum erfüllt werden.
Norwegen und das Vereinigte Königreich verfügen aufgrund ihrer strategischen Nähe und hohen Interoperabilität mit EU-Streitkräften über begrenzte Beteiligungsmöglichkeiten. Die Türkei hingegen sieht sich zusätzlichen politischen Hürden gegenüber: Die Einstimmigkeitsregel der EU ermöglicht es Athen und Nikosia, unter Verweis auf ungelöste Konflikte ein Veto einzulegen. Angesichts der aktuellen Sicherheitslage könnte es notwendig sein, für prioritäre Projekte qualifizierte Mehrheitsentscheidungen zu erwägen oder der Europäischen Kommission mehr Flexibilität zu geben, um die Teilnahme der drei nicht zur EU gehörenden NATO-Verbündeten zu ermöglichen. Ein ähnlicher Stillstand wurde bereits im A400M-Programm der Organisation für gemeinsame Rüstungskooperation OCCAR pragmatisch überwunden.
Bestehende Modelle für die Beteiligung von Drittstaaten umfassen:
- Projektbasierte Kooperation, wenn der Beitrag eines Partners unverzichtbar ist;
- Beobachterstatus mit eingeschränktem Zugang;
- Assoziierungsabkommen, wie sie etwa Norwegen gewährt werden.
Diese Modelle, ursprünglich für PESCO und den EDF entwickelt, werden voraussichtlich auch SAFE prägen.
Die Teilnahmevoraussetzungen umfassen in der Regel:
- Erkennbarer Mehrwert und einzigartige technische Beiträge
- Gegenseitigkeit und beiderseitiger Nutzen
- Vereinbarkeit mit der Außen- und Sicherheitspolitik der EU
- Schutz von Informationen und geistigem Eigentum
- Keine Mitentscheidungsrechte für Nichtmitglieder
- Einstimmige Zustimmung aller EU-Mitgliedstaaten
Diese Regeln fördern zwar Kohärenz, führen aber oft zur Politisierung des Prozesses und zu unnötiger Starrheit.
Im Rahmen des EDF können bis zu 65 % der Projektkosten durch EU-Mittel gedeckt werden. Drittstaaten erhalten keine finanziellen Zuwendungen, können aber – nach strenger Sicherheitsprüfung – selbstfinanziert teilnehmen. Das erlaubt technische, aber keine finanzielle Teilhabe. Türkische Rüstungsunternehmen könnten also an SAFE-Projekten mitwirken, jedoch keine EU-Mittel erhalten.
Vorteile von Kooperation
Trotz Einschränkungen bietet die Zusammenarbeit klare Vorteile.
Für die Türkei und andere Partner:
- Zugang zu europäischen F&E- und Innovationsnetzwerken
- Gemeinsame Chancen in Bereichen wie KI, Cyber und Raumfahrt
- Höhere Interoperabilität mit EU- und NATO-Standards
- Größere Sichtbarkeit und strukturierte Einbindung in europäische Verteidigungsdiskussionen
Für die EU:
- Zusätzliche industrielle Kapazitäten, Skaleneffekte und Innovation (z. B. türkische Drohnen, Raketen- und Marinesysteme)
- Resilientere und diversifizierte Lieferketten
- Bessere NATO–EU-Kohärenz und weniger Doppelstrukturen
Auch ohne EU-Mitgliedschaft kann strukturierte Kooperation die europäische Gesamtverteidigung stärken.
Die strategische Rolle der Türkei und die Kosten ihrer Ausgrenzung
Seit über 70 Jahren NATO-Mitglied, bleibt die Türkei ein zentraler Pfeiler europäischer und transatlantischer Sicherheit. Sie beherbergt wichtige NATO-Einrichtungen – darunter das Allied Land Command in Izmir und das Raketenabwehr-Radar in Kürecik – und bietet strategische Reichweite vom Schwarzen Meer bis zum östlichen Mittelmeer, dem Südkaukasus und Zentralasien.
Die türkische Verteidigungsindustrie hat sich zu einer dynamischen Quelle militärischer Fähigkeiten entwickelt. Ihre Drohnen, Marineplattformen und Raketensysteme haben Konfliktzonen von der Ukraine bis Afrika nachhaltig geprägt und die Türkei zu einem wichtigen Sicherheitsanbieter gemacht.
Für Europa ist es widersprüchlich, strategische Autonomie anzustreben und gleichzeitig einen seiner fähigsten Rüstungsproduzenten und langjährigen NATO-Verbündeten auszuschließen. Ankara sieht diese Ausgrenzung als politisch motiviert und als unvereinbar mit der NATO–EU-Partnerschaft – ein Umstand, der die Türkei dazu bewegt, verstärkt bilateral mit einzelnen EU-Mitgliedstaaten zu kooperieren.
Die EU wiederum muss sich von einer rein transaktionalen Herangehensweise zu einer strategischen Partnerschaft entwickeln, die das Potenzial der Türkei nutzt und gleichzeitig politische Annäherung fördert. Auch wenn der EU-Beitrittsprozess faktisch eingefroren ist, hat die strategische Relevanz der Türkei nicht abgenommen. Ihre Ausklammerung aus Konsultationen zur EU-Schwarzmeerstrategie zeigt die Kurzsichtigkeit der aktuellen Politik.
Die EU sollte sich zudem daran erinnern, dass sie ihr eigenes Kriterium – wonach Kandidatenländer keine ungelösten Territorialkonflikte haben dürfen – ignorierte, als sie 2004 Zypern aufnahm, obwohl die griechisch-zyprische Seite den von den UN vermittelten Annan-Plan abgelehnt hatte. Dieser Moment wirkt bis heute nach, blockiert zentrale Entscheidungen der Union und behindert seit Jahrzehnten die NATO–EU-Kooperation.
Die Bedeutung der Türkei geht weit über Geografie hinaus: Als Energiekorridor, Technologieakteur und regionaler Stabilisator trägt sie wesentlich zur Resilienz Europas bei. Ein Ausschluss der Türkei aus SAFE wäre daher strategisch kontraproduktiv.
Konstruktive Zusammenarbeit und Partnerschaften jenseits der EU
Der Wiederaufbau politischen Vertrauens ist entscheidend. Ohne Fortschritte im Dreieck Ankara–Athen–Nikosia – was kurzfristig unwahrscheinlich erscheint – wird die Kooperation mit der Türkei vor allem über bilaterale und minilaterale Formate sowie über technische Mechanismen erfolgen, ähnlich den strukturierten NATO–EU-Kooperationsformaten mit Nicht-EU-Alliierten. Diese Modelle bieten zwar keine institutionelle Tiefe, sind aber funktional.
Athen und Nikosia sollten erkennen, dass der Versuch, die Türkei–EU-Beziehungen für eigene nationale Ziele zu instrumentalisieren, zunehmend an Wirkung verliert. Gleichzeitig sollte die EU einen realistischen Ansatz verfolgen, der klar zwischen Mitgliedschaft und strategischer Partnerschaft unterscheidet, ohne die langfristige europäische Perspektive der Türkei zu beschädigen.
Unter den aktuellen Bedingungen bieten Partnerschaften mit wichtigen NATO/EU-Mitgliedern – wie dem Vereinigten Königreich und Deutschland – praktikable Wege, die Türkei in das europäische Verteidigungsökosystem einzubinden. Die jüngsten Besuche von Premierminister Keir Starmer und Bundeskanzler Friedrich Merz in Ankara zeigen, dass das Interesse an Kooperation in den Bereichen Luftfahrt, unbemannte Systeme, Innovation und Sicherheit wächst.
Solche bilateralen Initiativen könnten den Grundstein für eine vernetzte europäische Verteidigungsarchitektur legen – eine, die EU- und Nicht-EU-Partner über flexible, fähigkeitsorientierte Kooperation verbindet und nicht über starre institutionelle Strukturen.
Schlussfolgerung
SAFE ist ein wichtiger Meilenstein auf dem Weg Europas zu strategischer Verantwortung und industrieller Resilienz. Sein Erfolg wird davon abhängen, ob die EU strategisch handeln kann – oder ob einzelne Mitgliedstaaten zentrale Entscheidungen blockieren.
Der Ausschluss der Türkei – eines entscheidenden NATO-Verbündeten mit starker industrieller Basis, strategischer Lage und kontinuierlichem Engagement für die transatlantische Sicherheit – schwächt Europas Sicherheit und widerspricht dem Anspruch strategischer Autonomie. Europas Verteidigungsfähigkeit wird nur dann glaubwürdig sein, wenn sie auf einer inklusiven strategischen Vision basiert – und nicht auf politischer Obstruktion.