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Hongkong
Haft für Hongkonger Aktivisten – Demokratisches Handeln ist strafbar geworden

Voraussichtlich bleiben nur ihre Gedanken frei
Demonstranten vor dem Hongkonger Gericht, an dem die Aktivisten angeklagt wurden
Demonstrierende vor dem Hongkonger Gericht, an dem die Aktivisten angeklagt wurden. Sie verlangen, dass der Prozess ausschließlich in Hongkong stattfindet. © picture alliance / ZUMAPRESS.com | Tpg

Am 1. März wurden 47 Demokratieaktivisten in Hongkong wegen „Verschwörung zum Umsturz“ angeklagt. Sollten sie verurteilt werden, so droht ihnen lebenslange Haft. Auslöser der Anklage: Sie hatten Vorwahlen organisiert und abgehalten. Demokratisches Handeln ist zu einem Verbrechen geworden, analysiert FNF-Expertin Anna Marti.

Es war der 12. Juli 2020 der den Aktivist:innen zum Verhängnis wurde. Im September waren Wahlen für das Hongkonger Parlament, Legislative Council, angesetzt. Um die Kandidat:innen zu identifizieren, die den breitesten Rückhalt in der Bevölkerung haben, organisierte das pan-demokratische Lager an diesem Tag im Juli Vorwahlen. Politiker:innen ließen sich aufstellen, und rekordverdächtige 600.000 Hongkonger:innen stimmten ab – die Organisator:innen hatten mit 170.000 gerechnet. Alles verlief in friedlichen und geordneten Bahnen. Wo lag hier das Verbrechen? Weshalb wurde hier jemand angeklagt?

Der Grund dafür war gerade Mal zwölf Tage alt – das sogenannte Nationale Sicherheitsgesetz für Hongkong. Es stellt „die Gefährdung der Stabilität und Nationalen Sicherheit Hongkongs“ unter Strafe – der Tatbestand ist dabei absichtlich recht vage gehalten. Wahlen werden dort nicht als staatsgefährdende Aktion aufgelistet. Was die Vorwahlen des demokratischen Lagers in den Augen der Justiz aber illegal macht, war eines der Ziele der Bewegung: mit einer starken pan-demokratischen Fraktion das Budget der Regierung zu blockieren. Die Justiz wertet das bereits als eine Anstiftung zum Umsturz.

Demokratisches Handeln ist strafbar geworden

Wer sich jetzt verwundert die Augen reibt, der tut dies zu Recht.

Die Budgethoheit des Parlamentes ist eines seiner wichtigsten Instrumente – wenn die Mehrheit der Parlamentarier:innen ein Budget ablehnt, dann ist das ein ganz normaler Vorgang in einer Demokratie. Es ist ein Instrument der Gewaltenteilung. Genauso ist der Kern einer Demokratie, die Bevölkerung nach ihrem Willen zu fragen – beispielsweise mit (Vor-) Wahlen. Es ist eine bittere Tatsache, dass „Demokratie“ in Hongkong nicht nur ein gefährliches Wort, sondern auch ein Verbrechen geworden ist. Die Wahlen, zu denen die Vorwahlen abgehalten wurden, fanden bis heute nicht statt. Die Regierung nimmt Covid-19 als willkommenen Vorwand, die Bevölkerung nicht wählen zu lassen.

Doch viele Hongkonger:innen fordern weiterhin die Rechte ein, die ihnen im Vertrag über die Rückgabe Hongkongs an China zugesichert wurden. Über 200 Menschen versammelten sich vor dem Gerichtsgebäude, in dem die Anklage verlesen wurde – um einen Platz im Gerichtsaal zu erhalten und um davor zu protestieren. Sie ließen sich auch nicht davon einschüchtern, dass Polizist:innen sie dabei filmten.

Die Verlesung der Anklage dauerte bis weit in die frühen Morgenstunden. Sie wurde unterbrochen als eine der Angeklagten zusammenbrach und ein Krankenwagen gerufen werden musste. Die Verlesung wurde heute fortgesetzt. Neben der großen Zahl an Angeklagten lag das auch daran, dass sich Staatsanwaltschaft und Verteidiger nicht auf das weitere Vorgehen einigen konnten. Insbesondere die Frage der Freilassung auf Kaution stieß auf großen Widerstand seitens der Staatsanwaltschaft. Ein möglicher Faktor: Die Anklage gegen alle 47 Personen lautet auf „Verschwörung zum Umsturz“ – die Maximalstrafe dafür ist lebenslange Haft. Und so stehen die Chancen gut, dass die Angeklagten nach der Verlesung weiterhin in Haft bleiben. Einzig ihre Gedanken bleiben frei.

„Und sperrt man mich ein
im finsteren Kerker,
das alles sind rein
vergebliche Werke;
denn meine Gedanken
zerreißen die Schranken
und Mauern entzwei:
die Gedanken sind frei.“

(aus: Hans Breuer (Hrsg.): Der Zupfgeigenhansl. 90. Auflage. Friedrich Hofmeister, Leipzig 1920, S. 118)

Anna Marti ist Leiterin des neuen Büros der Friedrich-Naumann-Stiftung in Taiwan, das 2021 eröffnet wird.