THAILAND
Thailand hat einen neuen Premier – aber nicht für lang
Cropped photo from MOU Signing with Lord Nick Markham in London
© Rory Arnold| No. 10 Downing Street- UK governmentNach dem Sturz der thailändischen Premierministerin Paetongtarn Shinawartra hat das Parlament ihren Nachfolger gewählt: Anutin Charnvirakul von der konservativen Bhumjaithai Partei. Für seine Wahl musste er auf Bedingungen der progressiven People‘s Party eingehen – die drängt unter anderem auf Neuwahlen in nur wenigen Monaten. Die wichtigsten Fragen und Antworten zu der neuesten politischen Volte im Königreich.
Wer ist Anutin Charnvirakul und wofür steht seine Partei?
Anutin Charnvirakul, Jahrgang 1966, ist Bauunternehmer, Multimillionär und seit 2012 Vorsitzender der Bhumjaithai Party (BJT). Er gilt als ein pragmatischer, aber auch populistischer Politiker. Seine Familie besitzt das Bauunternehmen Sino-Thai Engineering, eines der größten Infrastrukturunternehmen des Landes. Anutin selbst studierte in den USA und Thailand, bevor er in die Politik ging. Zuletzt hatte er in der Pheu-Thai-geführten Regierung unter Paetongtarn Shinawatra den Posten des Innenministers und stellvertretenden Premierministers inne. Am 18. Juni 2025 verließ die BJT die Koalition, nachdem Paetongtarn wegen eines veröffentlichten Telefonmitschnitts mit Kambodschas Machthaber Hun Sen in die Kritik geraten war.
Bekannt wurde Anutin als Gesundheitsminister (2019–2023), insbesondere durch die Legalisierung von Cannabis zu medizinischen Zwecken – eine Pionierentscheidung in Asien, die ihm den Beinamen „Cannabis-König“ einbrachte. Die BJT ist vor allem in Nordostthailand stark verankert. Sie vertritt eine Mischung aus monarchietreuer konservativer Haltung, wirtschaftsliberalen Ansätzen und populistischen Programmen wie Bauernsubventionen.
Bereits 2023 war Anutin von der BJT als Premierminister-Kandidat aufgestellt worden. Deshalb konnte er auch jetzt wieder antreten. Bei der regierenden Pheu Thai war aus dem Kandidaten-Pool nun noch der 77-jährige Chaikasem Nitisiri wählbar, der allerdings als gesundheitlich angeschlagen gilt.
Welche Rolle hat die progressive People’s Party bei seiner Wahl gespielt?
Als größte Fraktion im Parlament hat die People’s Party (PP) plötzlich eine enorme Macht in ihren Händen. Die PP ist die Nachfolgepartei der Move Forward Party (MFP), die bei den Parlamentswahlen 2023 überraschend die meisten Stimmen gewann. Allerdings konnte sie aufgrund institutioneller Blockaden – insbesondere durch die vom Militär ernannte Senatskammer – keine Regierung bilden. Im Mai 2024 wurde sie durch ein Urteil des Verfassungsgerichts aufgelöst, weil sie eine Reform der strengen Lèse-Majesté-Gesetze gefordert hatte. Die PP orientiert sich programmatisch am progressiven Erbe der MFP: pro-demokratisch, reformorientiert, mit Schwerpunkt auf Transparenz, sozialer Gerechtigkeit und Machtbegrenzung der Militär- und Monarchie-nahen Institutionen.
Für die Wahl des neuen Premiers am 5. September 2025 brauchten Chaikasem und Anutin jeweils eine Mehrheit im Parlament – die große Fraktion der PP wurde damit zum „Königsmacher“. Sie stellten den beiden Bewerbern von der BJT und der Pheu Thai Party fünf Bedingungen. Darunter eine Auflösung des Parlaments innerhalb von vier Monaten, eine umfassende Verfassungsreform über eine verfassungsgebende Versammlung oder ein Referendum, und der Verzicht auf Kabinettsposten für die eigene Partei. Die PP machte klar, dass sie nicht Teil einer Regierung sein will, sondern als Opposition die Reformen von außen vorantreiben möchte.
Warum musste es überhaupt Neuwahlen geben?
Die ehemalige Premierministerin Paetongtarn Shinawatra wurde am 29. August 2025 vom Verfassungsgericht abgesetzt. Ein Telefonat mit dem ehemaligen kambodschanischen Premier Hun Sen, in dem sie diesen als „Onkel“ ansprach, das Militär kritisierte und ihm Unterstützung zusagte, war an die Öffentlichkeit gelangt. Für viele Beobachter war es ein diplomatischer Fauxpas, für ihre Gegner ein klarer Verstoß gegen die Würde des Amtes. Bereits am 1. Juli war sie suspendiert worden, nach dem Urteil vom 29. August wurde auch das gesamte Kabinett aufgelöst.
Paetongtarn hatte Hun Sen, ein langjähriger Freund der Shinawatra-Familie, angerufen, als die Spannungen an der Grenze zwischen Thailand und Kambodscha deutlich zugenommen hatten. Nach eigener Aussage wollte sie mit dem Gespräch die Wogen zwischen den Ländern wieder glätten. Hun Sen schnitt das Gespräch offenbar mit und verbreitete es anschließend. Im Urteil hieß es dazu, ihr Vorgehen habe „das Vertrauen und den Glauben in das Amt des thailändischen Premierministers zerstört“ und ihrer Arbeit „schweren Schaden“ zugefügt, so das Gericht.
Paetongtarns Beliebtheitswerte und auch die Umfragewerte ihrer Partei sackten danach deutlich ab; zuletzt lag ihr Beliebtheitswert bei weniger als 10 Prozent Zustimmung in der Bevölkerung.
Wie geht es jetzt weiter?
Ob sich die BJT an die Bedingungen der PP hält – und somit Neuwahlen binnen vier Monaten durchführt, statt sich an die Macht zu klammern – bezweifelt die PP selbst. Sie machte im Zuge der Verhandlungen mit BJT und Pheu Thai deutlich, dass sie beiden Parteien nicht komplett vertraue. Sollten diese gegen die öffentlich angenommenen Bedingungen verstoßen, müssten sie die Konsequenzen daraus tragen.
Die PP kann sich berechtigte Hoffnung machen, bei einer Neuwahl wieder als stärkste Partei hervorzugehen. Derzeit liegt sie – beflügelt durch den Abzug von Wählerstimmen bei der Pheu Thai – bei mehr als 40 Prozent der Stimmen. Es bliebe jedoch die Frage, ob sie dann tatsächlich die Regierung stellen kann oder doch wieder durch politische Manöver oder das Verfassungsgericht ausgebremst wird.
Unklar ist, wie es jetzt mit der Familiendynastie der Shinawatras weitergeht. Ex-Premier Thaksin Shinawatra, Vater von Paetongtarn, verließ das Land am 4. September 2025 überraschend Richtung Singapur, drehte dann aber ab nach Dubai – nur Tage vor einem wichtigen Gerichtstermin. Am 9. September soll der Oberste Gerichtshof klären, ob die Wertung von Thaksins Krankenhausaufenthalt 2023 als Strafverbüßung rechtmäßig war. Der Ausgang des Verfahrens könnte erneut politische Sprengkraft haben.
*Vanessa Steinmetz leitet die FNF-Büros Thailand und Vietnam.