Aufstand der abgehängten Jugend
Der Gen-Z-Aufstand in Nepal
Der Gen-Z-Aufstand in Nepal reiht sich ein in eine Serie von Jugend- und Studentenprotesten, die in Asien zuletzt mehrere Regierungen zu Fall brachten. Frust über Korruption und eine schlechte Wirtschaftslage steht im Zentrum der Aufstände.
Am Ende einer Woche, in der tödliche Unruhen Nepal erschütterten, bekommen die jugendlichen Demonstranten, was sie wollen: Sushila Karki, frühere Oberste Richterin, wurde am Freitag als Übergangsregierungschefin ernannt. Die 73-Jährige, die für ihren Kampf gegen die Korruption in dem Himalajastaat bekannt ist, folgt auf den bisherigen Regierungschef Khadga Prasad Oli, der inmitten eines Massenaufstandes von Teenagern und jungen Erwachsenen am Dienstag zurücktrat. Karki war die Wunschkandidatin der Protestbewegung, die sich selbst der sogenannten Gen Z zurechnet.
Der Machtwechsel in Nepal reiht sich ein in eine Serie von Jugend- und Studentenprotesten in der Region, die zuletzt mehrere Regierungen zu Fall brachten oder zumindest zu einem deutlichen Kurswechsel bewegten – von Sri Lanka im Jahr 2022, über Bangladesch im vergangenen Jahr bis zu Indonesien vor wenigen Wochen. Die Hintergründe der Aufstände waren in allen Fällen ähnlich: Die jungen Protestierenden zeigten sich frustriert über eine schlechte Wirtschaftslage und geringe Jobaussichten – und empörten sich über einen als ausschweifend kritisierten Lebensstil der politischen Elite.
In Nepal entfachte sich die Wut an Bildern von Designerkleidung und Luxusreisen, die Kinder von Spitzenpolitikern im Internet veröffentlicht hatten. Internetnutzer verpassten ihnen den Beinamen "Nepo-Kids" – also Kinder, die von Nepotismus im Land profitieren. Die Debatte über Korruption und Vetternwirtschaft fand vor allem online statt. Die Entscheidung der Regierung, den Zugang zu 26 beliebten Social-Media-Diensten wie Facebook und Instagram zu sperren, ließ den Zorn anschließend überkochen: Am Montag versammelten sich Tausende zu einem Protest, der zunächst friedlich ablief. Nach einem Vorrücken der Demonstranten auf das Parlament kam es jedoch zur Eskalation. Die Polizei feuerte mit scharfer Munition – mehr als 20 Demonstranten starben. Regierungschef Oli wurde für den gewaltsamen Einsatz der Sicherheitskräfte verantwortlich gemacht – und trat daraufhin zurück.
Die Behörden nahmen zudem die Social-Media-Sperre zurück. Die Gewalt endete damit aber nicht: Bis Freitag zählten die Behörden insgesamt mindestens 51 Todesopfer. Im Zuge der Unruhen wurden das Parlamentsgebäude sowie die Anwesen von Spitzenpolitikern in Brand gesetzt. Auch mehrere Luxushotels in der Hauptstadt Kathmandu, die zu den Geschäftsimperien wohlhabender lokaler Familien zählen, gingen in Flammen auf. Wer genau die Verantwortung dafür trägt, ist unklar. Anführer der Gen-Z-Proteste distanzierten sich von den Brandanschlägen und gaben externen Provokateuren die Schuld an den Vorfällen.
Beobachter sehen die brennenden Fünf-Sterne-Unterkünfte als Symbol für die weitverbreitete Unzufriedenheit über die soziale Ungleichheit in dem südasiatischen Land. Ein Großteil der Bevölkerung könnte sich eine Übernachtung dort kaum leisten können. Mit einem jährlichen Pro-Kopf-Einkommen von rund 1500 Dollar im Jahr gehört Nepal zu den ärmsten Ländern des Kontinents. Viele junge Menschen in dem Land sehen nur geringe Aufstiegschancen. Die Arbeitslosenrate unter den 15- bis 24-Jährigen lag zuletzt bei über 20 Prozent. Seit Jahren verlassen jeden Tag Tausende das Land – in der Hoffnung, im Ausland bessere Erwerbsmöglichkeiten zu bekommen.
Wirtschaftliche Probleme trieben auch die Antiregierungsproteste in Sri Lanka vor drei Jahren an: Im Zentrum stand damals der Vorwurf des Missmanagements und der Vetternwirtschaft. Die Demonstrationen führten schließlich zum Rücktritt von Präsident Gotabaya Rajapaksa und seiner vorübergehenden Flucht ins Ausland.
Auch in Bangladesch stürzte die langjährige Regierungschefin Sheikh Hasina über einen von Studenten angeführten Aufstand. Die Frustration junger Menschen über ihre wirtschaftliche Lage spielte ebenfalls eine entscheidende Rolle: Die Studenten demonstrierten gegen ein umstrittenes Quotensystem bei der Vergabe von Stellen im öffentlichen Dienst. Dieses hatte einen erheblichen Teil der Jobs für Angehörige von Kriegsveteranen reserviert, was angesichts der hohen Jugendarbeitslosigkeit im Land auf erheblichen Widerstand derjenigen stieß, die nicht davon profitierten. Sie warfen der Regierung vor, mit dem System vor allem eigene Anhänger zu begünstigen.
In Indonesien kam es vor wenigen Wochen ebenfalls zu Massenprotesten, die sich am Ärger über Privilegien Einzelner entzündeten: Parlamentsabgeordnete in Jakarta hatten sich einen neuen monatlichen Zuschuss für Wohnkosten von rund 2600 Euro bewilligt – beinahe das Zehnfache des örtlichen Mindestlohns. Dieser Schritt löste breite Empörung aus, insbesondere weil viele Menschen im Land das Gefühl haben, wirtschaftlich ins Hintertreffen zu geraten. Besonders junge Menschen haben in dem Land Schwierigkeiten, Jobs zu finden. Im ersten Halbjahr legte die Zahl der offiziell erfassten Entlassungen im Vergleich zum gleichen Zeitraum des Vorjahres um 32 Prozent zu.
Präsident Prabowo Subianto überstand die Proteste zwar – er kündigte aber eine Rücknahme der umstrittenen Politikerprivilegien an und entließ Kabinettsmitglieder, die besonders in der Kritik standen. Finanzministerin Sri Mulyani Indrawati, deren Privathaus im Zuge der Unruhen geplündert wurde, verlor ihren Posten.
Gemeinsam haben mehrere der Protestbewegungen auch, dass als unverhältnismäßig kritisierte Polizeigewalt schließlich zur Eskalation führte: In Bangladesch schoss die Polizei mit scharfer Munition auf die Demonstranten – nach Schätzungen des UN-Menschenrechtsbüros wurden bis zu 1400 Menschen getötet. In Indonesien eskalierten die Proteste, nachdem ein Motorradtaxifahrer am Rande einer Kundgebung von einem gepanzerten Einsatzfahrzeug überrollt und getötet wurde. Anschließend kam es unter anderem zur Brandstiftung an Regionalparlamenten, bei denen mehrere Menschen getötet wurden.
In Nepal nahmen die Proteste nach dem tödlichen Polizeieinsatz vom Montag am Folgetag weiter zu. Zum Wochenende beruhigte sich die Situation nach tagelangem Chaos zwar wieder. Doch ein Ende der politischen Spannungen ist alles andere als garantiert. Kabinettsmitglieder der abgesetzten Regierung kritisierten die Umstände des Machtwechsels – unter anderem, dass sie von der Armee mehrere Tage lang festgehalten wurden. Die Übergangsregierung von Sushila Karki steht nun vor der Herausforderung, einen friedlichen Machtwechsel an eine demokratisch legitimierte Regierung vorzubereiten. Nepals Präsidialamt kündigte Neuwahlen für den 5. März kommenden Jahres an.