MIGRATION
Warum Liberale und Deutschland es richtig machen müssen
Stop sign, police cars and checks at the border with Germany
© ShutterstockAngesichts der alternden Bevölkerung, des anhaltenden Arbeitskräftemangels und der wachsenden Qualifikationslücken in wichtigen Sektoren ist Migration in Deutschland aus dem Randbereich der politischen Debatte in deren Mittelpunkt gerückt. Was einst als langfristige demografische Herausforderung formuliert wurde, ist nun zu einer unmittelbaren wirtschaftlichen Realität geworden. Für Liberale in ganz Europa wirft dieses Thema grundlegende Fragen zur Freizügigkeit, zu individuellen Chancen und dazu auf, ob Mobilität als Bedrohung oder als Quelle gemeinsamen Wohlstands betrachtet werden sollte.
Für Deutschland ist dies keine theoretische Diskussion mehr. Das Land verhandelt aktiv über Migrationspartnerschaften mit afrikanischen Staaten, um qualifizierte Arbeitskräfte anzuwerben und gleichzeitig die Entwicklung im In- und Ausland zu unterstützen. Ob diese Vereinbarungen erfolgreich sein werden, hängt nicht nur von Zahlen ab, sondern auch von Fairness, Transparenz und einer langfristigen Vision.
Der Arbeitskräftemangel in Deutschland ist mittlerweile gut dokumentiert. Von der Gesundheitsversorgung über die IT bis hin zum Transportwesen und dem Handwerk melden Arbeitgeber aus allen Wirtschaftsbereichen unbesetzte Stellen. Als Reaktion darauf hat Berlin seine Migrationsgesetze reformiert und bilaterale Abkommen mit Ländern wie Kenia, Ghana und Ruanda unterzeichnet, um qualifizierten Arbeitskräften von außerhalb der Europäischen Union strukturierte Wege zu eröffnen.
Für die afrikanischen Partner ist das Versprechen neuer Chancen jedoch untrennbar mit der Sorge um Ausbeutung und Ungleichheit verbunden. Dr. Benjamin Anyagre Aziginaateeg, Geschäftsführer der Afrikan Continental Union Consult (ACUC) in Ghana, argumentiert, dass internationale Mobilität von gemeinsamen Standards und gegenseitigem Respekt geleitet sein sollte.
„Werden die Menschen nach den gleichen Regeln behandelt wie deutsche Staatsbürger?”, fragt er. „Wenn die Bedingungen fair sind, dann ist Mobilität Teil einer globalen Gemeinschaft. Wenn Afrikaner jedoch anders behandelt werden und nicht den gleichen Schutz genießen, dann gibt das Anlass zu ernsthaften Bedenken.”
Im Zentrum dieser Bedenken steht die Angst vor Ausbeutung. Dr. Anyagre Aziginaateeg warnt davor, dass die Migration von Fachkräften nicht die historischen Muster wiederholen darf, bei denen afrikanische Arbeitskräfte ohne Würde und ohne langfristigen Nutzen ausgebeutet wurden. Er betont, dass Arbeitnehmer angemessene Bedingungen, gleiche Rechte und die Möglichkeit haben müssen, in ihre Heimat zurückzukehren und ihr Wissen weiterzugeben.
„Wenn Menschen ihr Land verlassen, weil die Bedingungen dort nicht ermutigend sind, ist das verständlich“, sagt er. „Aber wenn sie gehen und ungleich behandelt oder ihrer Rechte beraubt werden, dann ist das etwas ganz anderes.“
Die seit langem bestehende Angst vor einem „Brain Drain“ prägt weiterhin die afrikanischen Debatten über Migration. Doch viele Politiker und Entwicklungsexperten argumentieren inzwischen, dass Mobilität, wenn sie richtig gesteuert wird, zu einem „Brain Gain“ führen kann. Zirkuläre Migrationsprogramme, bei denen Arbeitnehmer im Ausland Erfahrungen sammeln und später zurückkehren, bieten eine mögliche Lösung.
Die sich entwickelnden Partnerschaften Deutschlands spiegeln diese Denkweise wider. Gemeinsame Berufsbildungsprogramme, Investitionen in Ausbildungseinrichtungen und Wege für den Kompetenztransfer sollen sicherstellen, dass Migration die Partnerländer stärkt und nicht schwächt. Für Liberale steht dieser Ansatz im Einklang mit der Überzeugung, dass Freizügigkeit die Lebenschancen erweitern sollte, ohne den sozialen Zusammenhalt zu untergraben.
Dennoch bleiben Risiken bestehen. Dr. Vusimuzi Sibanda, Vorsitzender des African Diaspora Global Network und Rechtsexperte für Arbeitsmigration, sagt, dass seine Organisation häufig Notrufe von afrikanischen Arbeitnehmern erhält, die sich getäuscht fühlen.
„Die Menschen kommen in der Erwartung einer angemessenen Arbeit an, nur um dann festzustellen, dass sie gestrandet sind oder ausgebeutet werden“, erklärt er. „Einige wollen nach Hause zurückkehren, weil die Realität nicht mit dem übereinstimmt, was ihnen versprochen wurde. Wir mussten wegen der Behandlung, der die Menschen ausgesetzt sind, bei Botschaften intervenieren.“
Sibanda räumt ein, dass Migration kurzfristige Vorteile mit sich bringen kann, insbesondere durch Überweisungen, die Familien und die lokale Wirtschaft unterstützen. Er warnt jedoch davor, dass Entwicklungsnarrative manchmal dazu benutzt werden, ungleiche Vereinbarungen zu verschleiern, die Arbeitnehmer in eine prekäre Lage bringen.
Ein weiteres großes Hindernis ist die Anerkennung von Qualifikationen. Viele in Afrika ausgebildete Fachkräfte müssen langwierige und komplexe Verfahren durchlaufen, bevor sie in Deutschland arbeiten dürfen. Diese Verzögerungen kosten Deutschland dringend benötigte Produktivität und untergraben das Vertrauen der Migranten, die gerne einen Beitrag leisten möchten.
Die Straffung der Anerkennungsverfahren, die Einführung von Brückenkursen und die Vereinbarung gemeinsamer Standards würden wesentlich dazu beitragen, die Mobilität fairer und effizienter zu gestalten. Für Liberale ist der Abbau unnötiger Bürokratie nicht nur eine Frage der praktischen Politik, sondern auch eine Frage der Gerechtigkeit.
Die Mobilität junger Menschen ist ein weiterer Bereich mit ungenutztem Potenzial. Die junge Bevölkerung Afrikas könnte dazu beitragen, den künftigen Arbeitskräftebedarf Deutschlands zu decken, insbesondere in den Bereichen Umwelt, Digitalisierung und Gesundheitswesen. Austauschprogramme, Studienvisa und Berufspraktika würden es jungen Menschen ermöglichen, Fähigkeiten zu erwerben und gleichzeitig die Vorstellung zu stärken, dass Migration eine Frage der Wahl und der Chancen ist und nicht der Verzweiflung.
Der Arbeitskräftemangel in Deutschland ist real, und Afrikas Forderung nach fairen Partnerschaften ist ebenso dringlich. Ethische Rekrutierung, transparente Anerkennung von Qualifikationen und sinnvolle Jugendmobilität bieten einen Weg nach vorne, der wirtschaftliche Notwendigkeit und liberale Werte in Einklang bringt.
Wenn Deutschland dies richtig angeht, muss Migration kein Nullsummenspiel sein. Sie kann zu dem werden, was Liberale seit langem fordern: ein Motor für gemeinsamen Wohlstand, persönliche Freiheit und stärkere globale Partnerschaften.