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Myanmar: „Die NLD-Regierung darf nicht viele Fehler machen“

DASSK
© @Arkar Soe

Die Partei von Myanmars Regierungschefin Aung San Suu Kyi hat die Parlamentswahlen klar gewonnen. Die National League for Democracy (NLD) holte 346 Sitze, das sind 24 mehr als für eine Mehrheit erforderlich sind. Ihr größter Gegner, die armeenahe USDP, verlor dagegen deutlich an Zustimmung.

Doch trotz der deutlichen Mehrheit können die NLD und Aung San Suu Kyi nicht alleine regieren. Die Verfassung garantiert dem Militär weiterhin die Leitung der Ministerien für Verteidigung, Grenzschutz und Innere Sicherheit. Außerdem garantiert sie der Armee ein Viertel aller Sitze. Die Militärs im Parlament können so Verfassungsänderungen blockieren.

Im Ausland steht Aung San Suu Kyi in der Kritik, weil sie sich nicht öffentlich gegen die Vertreibung der muslimischen Minderheit der Rohingya aus Myanmar eingesetzt hat. Beobachter werfen der Regierungschefin außerdem vor, dass die jetzige Parlamentswahl unter unfairen Bedingungen stattgefunden habe. Manche bezweifeln mittlerweile sogar die demokratische Gesinnung der Friedensnobelpreisträgerin.

Im Interview erklärt der Politikwissenschaftler Myat Thu, wie sich Myanmar unter Aung San Suu Kyi weiterhin zu einer Demokratie entwickeln kann – und unter welchen Bedingungen. Myat Thu ist Präsident der Yangon School of Political Science und ein Alumnus der Internationalen Führungsakademie der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit.

Aung San Suu Kyi und ihre NLD haben die Wahl in Myanmar klar gewonnen. Wie erklären Sie sich den Wahlsieg?

Die Menschen in Myanmar haben großes Vertrauen in Aung San Suu Kyi. Auch die Leistung der NLD-Regierung hat zum Erfolg der Partei beigetragen. Die Wähler sehen im Vergleich mit der früheren Junta und der Regierung von U Thein Sein echte Fortschritte. Diese Vorgänger-Regierungen verfügten über ein großes Budget, bauten aber keine Straßen. Jetzt hat sich die Infrastruktur tatsächlich verbessert.

Womit hat die NLD noch gepunktet?

Die Regierung bekämpfte die Korruption und ging dabei auch gegen ihre eigenen Leute vor. Und zwar auch gegen solche, die in der Hierarchie weit oben stehen. Sogar Minister wurden inhaftiert. Gut ausgebildete und informierte Menschen wissen, dass die NLD-Regierung noch mehr tun könnte. Die breite Öffentlichkeit ist jedoch zufrieden.

In Myanmar breitet sich das Coronavirus aus. Die Regierung verhängte im Wahlkampf Ausgangssperren und Versammlungsverbote. Analysten vermuten, dass die NLD die Pandemie ausnutzte.

Als Regierungspartei dürfte die NLD tatsächlich einen Vorteil gehabt haben. Für kleine und schwache Parteien erschwerten die Corona-Regeln den Wahlkampf. Doch auch ohne die Pandemie hätte die NLD die Wahl gewonnen - man beachte den großen Vorsprung gegenüber den anderen Parteien.

Die Wahlkommission wird von der NLD ernannt. Beobachter kritisieren, dass die Kommissare parteiisch gehandelt hätten, beispielsweise bei der Absage von Wahlen in ethnischen Gebieten.

Die Wahlkommission begründete das mit der Sicherheitslage und Bedenken der Armee. In der Tat waren besonders jene Gebiete betroffen, in denen die NLD bei den vergangenen Wahlen schlecht abgeschnitten hatte. Ich kann aber nicht beurteilen, ob das Zufall war oder Absicht. Was ich sagen kann: Die Wahlkommission hat hier nicht gut ausgesehen. Sie hätte sich mit allen Parteien besprechen müssen, um zu einer Einigung zu kommen.

Aber Myanmar wird sich weiter in eine Demokratie entwickeln?

Die NLD-Regierung darf nicht viele Fehler machen. Dann wird sich Myanmar weiter in Richtung Demokratie entwickeln. Ich möchte nur ein Risiko erwähnen: Der Übergangsprozess zur Demokratie darf nicht von der burmesischen Mehrheit dominiert werden. Aung San Suu Kyi sollte den Pluralismus unterstützen. Wir brauchen eine liberale Demokratie statt einer Demokratie, in der nur die Interessen der ethnischen Mehrheit berücksichtigt werden.

Mit Blick auf die ethnischen Säuberungen gegen die Rohingya klingt das sehr optimistisch.

Es gab keine sichtbare Aktion der NLD, um die Säuberungsaktionen der Armee wirksam zu stoppen. Rechte von Minderheiten dürften aber nicht geopfert werden, weil es die Mehrheit so will oder nicht interessiert. Aung San Suu Kyi sollte der Bevölkerung eine Richtung vorgeben. Die Rohingya müssen sicher zurückkehren und die Staatsbürgerschaft bekommen. Ich glaube aber auch, dass die NLD hier nicht schnell reagieren und etwa Druck auf die Armee ausüben wird.

Aung San Suu Kyi hat ihr Versprechen einer Verfassungsreform nicht eingehalten. Angesichts der Sperrminorität der Armee ist das auch eine sehr schwierige Aufgabe. Gibt es überhaupt eine Chance auf eine Verfassungsreform?

Wenn die Armee nicht kooperiert, dann wird eine Verfassungsreform schwierig. Der überzeugende Wahlsieg könnte der NLD aber helfen, einige Änderungen der Charta zu erreichen. Die NLD wird innerhalb der rechtlichen Rahmenbedingungen und Institutionen den Druck auf die Armee erhöhen. Die NLD ist aber nun mal keine Studentenbewegung, die mit Unruhen oder Protesten Forderungen durchsetzt. Das ist nicht die Tradition der Partei.

Warum sollte die Armee dann zu Kompromissen bereit sein?

Nur ein Beispiel: Die Armee rechtfertigt ihr politisches Engagement mit Instabilität und dem laufenden Friedensprozess zwischen der Armee und Rebellengruppen. Aber wenn die NLD-Regierung nun im Friedensprozess erfolgreich ist, muss die Armee einen allmählichen Rückzug aus der Politik in Betracht ziehen.

Wird das Wahlergebnis dazu beitragen, den Friedensprozess zu erleichtern?

Er wird zumindest an Dynamik gewinnen. Die NLD muss sich dank des Wahlsieges nicht mehr darum sorgen, Macht an die Armee zu verlieren. Sie kann sich auf den Friedensprozess konzentrieren und hier ihren Einfluss gegenüber der Armee und den Rebellengruppen erhöhen. Es gibt aber natürlich große Herausforderungen, wie die Entwaffnung der Rebellengruppen und den Aufbau eines föderalen Systems.

Die Etablierung des Föderalismus ist auch aufgrund der aktuellen Verfassung schwierig.

Wir können föderale Strukturen auch ohne eine Verfassungsänderung erreichen, stattdessen aber mit ungeschriebenen Vereinbarungen - wie in England. So könnte der Präsident bei der Besetzung regionaler Ämter, zum Beispiel dem des Regierungschefs, den Nominierungen der regionalen Parlamente folgen. Die NLD kann auch eine Art fiskalischen Föderalismus unterstützen. Die Bundesstaaten dürfen derzeit keine Steuern erheben. Aber die NLD kann im nationalen Parlament entscheiden, dass der Staatshaushalt in angemessener und gerechter Weise mit den Staaten und Regionen geteilt wird.

Aung San Suu Kyi ist jetzt 75 Jahre alt. Wer könnte ihr folgen und was wird mit der NLD geschehen, wenn sie sich aus der aktiven Politik zurückzieht?

Aung San Suu Kyi hat ihre Rolle wegen ihres Vaters, General Aung San, der für eine Unabhängigkeit Myanmars kämpfte, nicht wegen ihrer Ausbildung und ihres Erfolgs in Oxford. In Asien braucht eine Frau die Unterstützung ihres Vaters oder Ehemannes, um Ruhm zu erlangen. Ihr Engagement für Myanmars Demokratie unter Hausarrest stärkte das Vertrauen in sie. Abgesehen von ihren Kindern kann sie niemand ersetzen. Ohne Aung San Suu Kyi wird die NLD erheblich geschwächt werden.

Die ehemalige Regierungspartei und armeenahe USDP eroberte nur 25 Sitze - eine schwere Niederlage. Wird die Partei langfristig überleben?

Sie muss sich stark reformieren, um sich von ihrem schlechten Image zu erholen. Sie muss ihren Namen und auch ihre Mitgliederstruktur ändern, sonst wird sie sich nicht halten können. Die USDP muss seriöses Personal für die kommende Wahl gewinnen. Das haben sie bei der jüngsten Wahl nicht getan.

Die USDP stellt die Ergebnisse in Frage. Kann das das Land destabilisieren?

Ja, das hat Potenzial, das Land zu destabilisieren. Das müssen wir genau beobachten. Die Armee hat jedoch angekündigt, dass sie die USDP in diesem Fall nicht unterstützt. Das senkt das Risiko einer Eskalation erheblich.

Ayemyat Mon ist Projektassistentin im Büro der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit in Rangun. Hnin Wint Naing ist Executive Programme Manager.