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Papst Leo XIV. im Libanon
Papstbesuch als Momentaufnahme: Ein Libanon zwischen Hoffnung und ungelösten Konflikten

Eine Plakatwand zeigt ein Bild von Papst Leo XIV. vor seinem bevorstehenden Besuch im Libanon in der Innenstadt von Beirut.

Eine Plakatwand zeigt ein Bild von Papst Leo XIV. vor seinem bevorstehenden Besuch im Libanon in der Innenstadt von Beirut.

© picture alliance / ASSOCIATED PRESS | Hussein Malla

Vom 30. November bis 2. Dezember 2025 reist Papst Leo XIV. in den Libanon. Ein Land, das nach Jahren des Niedergangs wieder tastend nach Stabilität sucht. Sein Besuch lenkt kurzfristig internationale Aufmerksamkeit auf eine fragile Reformdynamik, die schneller gerinnen könnte, als sie gewachsen ist.


Seit der Wahl von Präsident Joseph Aoun im Januar und der Regierungsbildung unter Premierminister Nawaf Salam im Februar 2025 sind erste Anzeichen des Aufbruchs erkennbar. Die Regierung versucht, Vertrauen zurückzugewinnen, Korruption einzudämmen und geschwächte Institutionen neu zu beleben. Besonders sichtbar ist das im Justiz und Energiesektor: Ein neues Gesetz stärkt die Unabhängigkeit der Richterinnen und Richter, während Investitionsreformen darauf abzielen, die notorischen Stromengpässe langfristig zu überwinden.


Auch in anderen Bereichen gibt es Fortschritte: Digitale Verfahren sollen die intransparente Verwaltung modernisieren, und erste Ausschreibungen im Energiesektor orientieren sich an internationalen Standards. Zudem hat die Regierung blockierte Gesetzesinitiativen wiederbelebt. Ein vorsichtiges Signal des Vertrauens kommt von der International Finance Corporation, die erstmals seit Beginn der Krise 2019 wieder größere Investitionen in den libanesischen Privatsektor tätigt.


Doch diese Fortschritte bleiben begrenzt. Beim entscheidenden Hebel für wirtschaftliche Stabilität, einem umfassenden Abkommen mit dem Internationalen Währungsfonds (IWF), gibt es keine Durchbrüche. Das Abkommen ist kein Selbstzweck, sondern soll überfällige Strukturreformen erzwingen: von der Bankenrestrukturierung über transparente Kapitalverkehrskontrollen bis zur Sanierung des Stromsektors. Doch diese Kernreformen stagnieren. Solange sie nicht vorankommen, bleibt das seit April 2022 vereinbarte Staff Level Agreement blockiert, und jede Stabilisierung bleibt fragil

Ein Land zwischen Sicherheitsagenda und geopolitischem Abseits

Während die Reformen im Inneren nur schleppend vorankommen, bleibt die sicherheitspolitische Lage angespannt. Die Regierung wagt, was lange tabu war: Sie will das staatliche Gewaltmonopol schrittweise wiederherstellen. Eine Roadmap und ein Kabinettsbeschluss sehen erste Maßnahmen vor, etwa im Süden des Landes, begleitet von einem nationalen Dialog über eine Verteidigungsstrategie gemäß UN-Resolution 1701. Erste Erfolge sind sichtbar: Versteckte Waffendepots wurden ausgehoben, und die Armee verstärkte Patrouillen entlang illegaler Schmuggelrouten.
Doch die Realität bleibt hart. Während der Staat kleine Schritte macht, stärkt die Hisbollah im Hintergrund ihre Position. Gleichzeitig eskalieren Israels Luftangriffe: Seit Ende November starben laut Medienberichten über 350 Milizionäre. Erst vor wenigen Tagen wurde der Chief of Staff der Hisbollah bei einem präzisen israelischen Schlag am 23. November in Südbeirut getötet; ein Einschnitt, der die asymmetrische Eskalationsdynamik weiter verschärft. Auch Hamas-Ziele in südlibanesischen Flüchtlingslagern gerieten ins Visier.

 

Die Nordgrenze entwickelt sich zum neuen Zündfunken der Region. Noch vor wenigen Monaten galt der Libanon in Washington und Jerusalem als Erfolgsgeschichte: Die Hisbollah hatte sich verkalkuliert, der Verlust großer Teile ihrer Führung – darunter Hassan Nasrallah – schwächte die Organisation. Gleichzeitig zeigte die Regierung erstmals Entschlossenheit, im Süden politischen und militärischen Druck aufzubauen. Doch die Hoffnungen sind verflogen. Die Miliz erweist sich als anpassungsfähiger, als viele dachten. Die Regierung steckt damit in einem gefährlichen Dilemma: Handelt sie zu forsch, riskiert sie einen inneren Konflikt. Zögert sie, überlassen äußere Akteure die Eskalation dem Zufall. Die Bevölkerung fürchtet beides: Einen Krieg mit Israel und Gewalt im Inneren. Der Libanon steht in einer Lage, in der jede Bewegung zugleich zu wenig und zu viel sein kann.

Geopolitischer Druck von allen Seiten

Auch geopolitisch steht Beirut unter erheblichem Druck. Während sich im Nahen Osten neue Allianzen zwischen Saudi Arabien, den Golfstaaten, den USA und Israel festigen, droht der Libanon den Anschluss zu verlieren. Riad fokussiert sich nach Jahren des Stillstands wieder stärker auf regionale Ordnungsfragen, aber die Geduld für ein instabiles Beirut ist begrenzt. Die Golfstaaten investieren lieber dort, wo Reformen sichtbar greifen.
Je schwächer der libanesische Staat auftritt, desto größer wird die Versuchung externer Akteure, über seine Zukunft zu bestimmen, sei es bei Hilfspaketen, Grenz und Gasabkommen im Mittelmeer oder sicherheitspolitischen Arrangements im Süden. Das Fenster, in dem der Libanon noch als gestaltbare Größe wahrgenommen wird, droht sich zu schließen.

Zwischen Trost und Verantwortung

Papst Leo XIV. kommt als Ermutiger in ein Land, das sich kaum Fehler erlauben kann. Sein Besuch richtet den Blick auf die Kräfte, die weiterhin an eine demokratische, souveräne Zukunft glauben, und auf die christlichen Gemeinschaften, die besonders von Emigration bedroht sind. Doch Trost ersetzt keine Entscheidungen. Ob aus dem politischen Aufbruch eine tatsächliche Erneuerung wird, hängt davon ab, ob Wirtschaft und Politik rechtzeitig stabilisiert werden können, und ob die sicherheitspolitische Eskalation begrenzt bleibt. Der Libanon steht an einem Wendepunkt, zwischen der Chance eines Neubeginns und der Gefahr eines erneuten Absturzes. Seine Zukunft entscheidet sich nicht in drei Tagen, aber die kommenden Monate werden bestimmen, ob Hoffnung zu Wandel wird oder zu einer verpassten Gelegenheit. Für internationale Partner, besonders in Europa, ergibt sich daraus ein klarer Auftrag: Reformkräfte im Libanon zu stärken, damit jene an Einfluss gewinnen, die für Rechtsstaatlichkeit, Demokratie, Marktwirtschaft und individuelle Freiheitsrechte eintreten. Ein souveräner, stabiler Libanon liegt nicht nur im Interesse seiner Bürger, sondern auch seiner regionalen und internationalen Partner.