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Eine Kolumne von Karl-Heinz Paqué

Krieg in Europa
Wie schmerzhaft sind Wirtschaftssanktionen für Russland?

Was die EU an Strafen gerade beschließt, ist politisch richtig und wichtig. Wirken wird es aber nur langfristig.
Nord Stream1

In Lubmin bei Greifswald endet die Ostsee-Pipeline Nord Stream1, durch die seit 2011 russisches Erdgas nach Deutschland fließt.

© picture alliance/dpa | Stefan Sauer

Manche Beobachter reiben sich die Augen: Da hat doch der Westen als Reaktion auf den Überfall Putins auf die Ukraine vor einigen Wochen drastische Sanktionen gegen Russland verhängt. Vor allem wurde dessen riesiger Schatz an Devisenreserven gleich nach Kriegsbeginn eingefroren – eine drakonische Maßnahme, die es in dieser Form bisher nur gegenüber dem „Schurkenstaat“ Iran gab. Aber von einer großen Wirkung ist bisher nichts zu erkennen, sieht man von einem kurzen scharfen Einbruch des Rubelkurses ab. Jetzt folgen wohl weitere Schritte: Ein Ölembargo und irgendwann auch ein Stopp von Importen für russisches Gas – die Bremsung der Einfuhren läuft bereits auf Hochtouren. Wird das endlich Russland in die Knie zwingen?

Die Antwort lautet: nein. Jedenfalls nicht auf kurze und mittlere Sicht. Die Gründe dafür liegen eigentlich auf der Hand, strukturelle und finanzielle. Sie erklären, warum Russland einen annähernden Zustand der Autarkie durchsteht und dabei den aggressiven Krieg weiterführen kann.

Zunächst der strukturelle Grund: Russland ist ein riesiges Land mit einem gewaltigen Reichtum an Ressourcen und einer stabilen Versorgung mit Lebensmitteln. Seine Importe aus dem Westen sind zum Großteil hochwertige Produkte von Konsum- bis zu Investitionsgütern. Auf die kann man im Inland, wenn es sein muss, eine lange Zeit verzichten. Das ist zwar ärgerlich, es kostet Wohlstand, aber eine Katastrophe ist es nicht. Auch bleibt zu vermuten, dass die militärische Ausrüstung für den Krieg durch Produktion im Inland gesichert wird. Anders als etwa Deutschland, das zum Beispiel essenzielle Munition aus der Schweiz bezieht, verlässt sich Russland sicherlich auf die eigene Herstellung mit eigener Technologie und eigenen Rohstoffen. Kurzum: Man muss gar nicht auf den Weltmärkten „einkaufen gehen“, um im Wesentlichen so weiter zu wirtschaften wie bisher. Natürlich leidet darunter – mangels Import der neuesten Technologie – auf Dauer auch die Substanz der Kapitalausstattung der Industrie, aber damit kann man einige Jahre leben.

Auch finanziell kann Russland eine längere Durststrecke durchstehen. Zu Recht heißt es, dass ohne Rückgriff auf die Deviseneinnahmen aus Öl-, Kohle- und Gasexporten die staatlichen Mittel zur Finanzierung des Krieges „austrocknen“. Das stimmt – allerdings nur, soweit es um jene Mittel geht, die eine nicht-inflationäre Finanzierung der öffentlichen Haushalte bei konvertibler und stabiler russischer Währung gewährleisten. Zur Not kann das autokratische Putin-Regime den Krieg über die Ausgabe von Schuldverschreibungen im Inland finanzieren und diese dem russischen Publikum anbieten – begleitet von der üblichen patriotischen Propagandamaschinerie. Funktioniert dies nicht, bleibt noch immer der Aufkauf der Papiere durch die russische Zentralbank und die Zahlung mit frisch gedrucktem Rubel. Natürlich führt dies zu Inflation, zunächst moderat und dann galoppierend, die dann irgendwann das Putin-Regime zwingt, Preis- und Lohnstopps zu erlassen und damit zu einem System der Rationierung überzugehen, das die Schwarzmärkte blühen lässt und den internationalen Kapitalverkehr Russlands zum Erliegen bringt. Die umfassende „Staatspleite“ wird dann Realität, die Zerstörung der privaten Finanzvermögen ebenso. Aber bis es so weit ist, können Jahre vergehen, wie die historische Erfahrung mit ähnlichen Fällen zeigt.

Fazit: Sanktionen können wirklich nur langfristig jenen massiven wirtschaftlichen Druck verursachen, der nötig ist, um Bewegung in das Land zu bringen, das boykottiert wird. Erst wenn in der Breite das Gefühl einer unhaltbaren Schieflage entsteht – bedingt durch Mangelwirtschaft, Schwarzmärkte und Hyperinflation, erst dann ist mit einer Erosion des Regimes zu rechnen. Bei Russland wird dies lange dauern – dank seiner Größe, dem Ressourcenreichtum und auch der Leidensfähigkeit einer patriotischen Bevölkerung, die schon andere schwere Krisen durchgestanden hat, so zuletzt in den späten Neunzigerjahren.

Trotzdem ist der Weg der Sanktionen richtig, vorausgesetzt sie werden lange durchgehalten. Eine sinnvolle Alternative ist für den Westen nicht erkennbar. Nur so kann man klarmachen, wer an allem schuld ist: Wladimir Putin und sein Krieg. Dies gilt jedenfalls dann, wenn man den eigenen Anspruch an die globale Durchsetzung der Menschenrechte ernst nimmt – und dies vor der eigenen östlichen Haustür.