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Krieg in Europa
Vom Kriegsalltag ost-ukrainischer Medienmacher

Bohdan Karkachev, Aleksey Matsuka und Lubov Rakovitsa, Kyiv, 2021

Bohdan Karkachev, Aleksey Matsuka und Lubov Rakovitsa, Kyiv, 2021

© FNF

Am 24. Februar 2022 brach die Russische Föderation einen Krieg gegen die Ukraine vom Zaun – Dauerbeschuss, Kämpfe in bisher friedlichen Städten, die ersten Toten, die ersten Verwundeten, Kinder werden Opfer. Eine Flut von Obdachlosen entsteht, die alle versuchen, weiter weg an sichere Orte zu fliehen, um wenigstens ihr Leben zu retten. Wir gehörten zu den Bürgern und Bürgerinnen der Ukraine, die dies leider zum zweiten Mal erleben müssen, berichtet uns aus der Ukraine die Journalistin und Chefredakteurin von „Donbas-News.Video“ bei dem „Donezker Informationsinstitut“, Yuliia Didenko.

„Wir" –  gemeint ist das Team der Medien-Organisation mit dem Namen Donezker Informationsinstitut, die bereits 2009 von einer Gruppe Journalisten unter der Leitung von Oleksiy Matsuka in Donezk gegründet wurde.

Die Aufgabe der Organisation besteht von Beginn an darin, die Meinungsfreiheit und die demokratischen Werte in der Gesellschaft mit besonderem Augenmerk auf dem Donbas zu verbreiten. Die wichtigsten Projekte des Donezker Informationsinstituts sind die Website Donbas-Nachrichten und der gleichnamige YouTube-Kanal. Ich bin der Organisation 2013 beigetreten. Im Jahr 2014 annektierte Russland die Krim und entfachte den Krieg im Donbas. Wir haben bis zuletzt in Donezk gearbeitet, aber nachdem die Gruppe von Igor Strelkov-Girkin in die Stadt eingedrungen war, mussten wir nach Mariupol fliehen. Unsere Arbeit auf beiden Seiten der Kontaktlinie haben wir allerdings niemals eingestellt.  

Seit 2014 waren wir mit der russischen hybriden Aggression konfrontiert. Jetzt hat Putins Regime einen regelrechten Krieg gegen die gesamte Ukraine entfesselt. Ein solcher Rückfall ist ein schwerer Schlag – zweimal den Ausbruch von Feindseligkeiten erlebt zu haben, und die Verlegung unserer Organisation diesmal nach Lviv. Andererseits waren wir, so brutal es auch klingen mag, nun deutlich besser darauf vorbereitet. Schließlich hatten wir ja schon Erfahrung. Es ist bitter, aber war in der aktuellen Situation von unschätzbarem Wert. Vor allem hat uns die Erfahrung im Kampf gegen die russische Propaganda geprägt.

In den letzten acht Jahren haben wir auf mehreren Gebieten gearbeitet. Wir produzierten Sendungen, Berichte und Exposés über die Fälschungen und Propagandatechniken aus der Russischen Föderation und seitens ihrer Stellvertreter, der sogenannten Volksrepubliken von Luhansk und Donezk „LDVR".

Wir erstellten und verteilten Bildungsmaterial zur Medienkompetenz, um den Menschen beizubringen, Nachrichten von Fälschungen und Journalismus von Propaganda zu unterscheiden. Wir haben weiterhin trotz aller Gefahr Filmaufnahmen in den besetzten Gebieten gedreht, um ein unvoreingenommener Sender für die ukrainischen Bürgerinnen und Bürger in den Oblasten Donezk und Luhansk auf beiden Seiten der Kontaktlinie zu bleiben. Wichtig ist, dass wir die Produktion von Inhalten und den Empfang von Videos aus Donezk und Luhansk realisiert konnten, um zu zeigen, was im gesamten Gebiet wirklich passiert. Wir haben natürlich auch über die Geschehnisse in den von der Ukraine kontrollierten Teilen des Donbas berichtet. Und wir haben dafür gesorgt, dass unsere Inhalte Verbindungen schaffen zwischen dem besetzten und dem freien Teil des Donbas – und dies entgegen der Kreml-Propaganda auf Russisch.

Dank der Unterstützung von Spendern verschiedener Organisationen aus den USA, der EU und Kanada bauen wir seit acht Jahren Brücken zwischen den Bewohnern der von Russland abgeschnittenen Donbas-Gebiete und dem Rest der Ukraine.

In dieser Zeit forderten wir immer wieder Erklärungen von Vertretern der sogenannten Donezker Volksrepublik „DVR" zu bestimmten Behauptungen ein – wie beispielsweise zu den „Panzern der Streitkräfte der Ukraine", die angeblich in den Gärten von Zivilisten in der Nähe von Mariupol vergraben sein sollten. Vor Ort fanden wir natürlich keine Panzer. Wir enthüllten die Namen von Sponsoren der herrschenden DVR-Machtclique, die in Wirklichkeit zu lokalen Oligarchen aufsteigen wollten und durch entsprechende Verbindungen ihre Geschäfte in Donezk ausgebaut hatten. Zahlreiche Lügen, sei es über die Europäische Union, angebliche Menschenrechtsverletzungen oder den Abschuss der Boeing MH-17, die ebenfalls von Propagandisten der Russischen Föderation und der „DVR"/“LPR" massiv verbreitet wurden, haben wir auch entlarvt.

Der vergangene erste Monat der maßlosen Steigerung russischer Aggression gegen die Ukraine hat es gezeigt: Alles, was wir in letzten acht Jahren getan haben, war nicht umsonst. Denn wir haben die Menschen vor Putins Lügen gewarnt, sie auf dessen Kriegsabsichten hingewiesen. Nun aber haben wir noch mehr vor, wollen uns noch härter und fleißiger einbringen. 

„Im vergangenen Monat haben wir intensiv daran festgehalten, Desinformation zu bekämpfen und die Öffentlichkeit mit den wichtigsten Informationen über die Lage in der Ukraine zu versorgen – wobei wir uns besonders auf die Regionen Donezk und Luhansk konzentriert haben", betont Lubov Rakovitsa, die Leiterin des Donezker Informationsinstituts.

Trotz der Gefahr für das Leben unserer Kolleginnen und Kollegen, die sich zu Beginn der Invasion in verschiedenen Städten der Ukraine aufhielten, darunter Mariupol, Sloviansk, Severodonetsk und Kyiv, begannen wir mit der Verwirklichung neuer Projekte.

Dazu gehört eine Reihe von Videos mit dem Namen #ЗнайПравду (Erfahre die Wahrheit) über die zentralen Narrative der Kreml-Propaganda und die Entlarvung neuer Mythen, die nach und nach aus Russland gestreut werden, mit dem Ziel, die militärische Aggression zu rechtfertigen.

Ein Video aus diesem Projekt wurde vor Kurzem auf YouTube (Ukrainisch und russischsprachig) verbreitet. Im russischen Segment lag es auf Platz 7 der Beliebtheit. In diesem Video haben wir ein gefälschtes Interview mit Marianna Vyshemirskaya analysiert - der jungen Frau, deren Fotos nach der Bombardierung des Krankenhauskomplexes, Entbindungsstation Nr. 3 von Mariupol um die Welt gingen. Ein russisches Untersuchungskomitee eröffnete hierzu ein Verfahren wegen der angeblichen Geiselnahme in der Entbindungsklinik von Mariupol und fügte eine präparierte Aussage der jungen Frau der Ermittlungsakte bei, die sich im Entbindungskrankenhauskomplex Nr. 3 zum Zeitpunkt des Luftangriffs befand. In den schriftlich verfassten offiziellen Unterlagen zum Fall beziehen sich die russischen Ermittler allerdings auf die Entbindungsklinik Nr. 2 an einer völlig anderen Adresse in der belagerten Stadt. Dies ist nur eine der vielen Ungereimtheiten in der russischen Version zu diesem tragischen Vorfall, die wir analysiert haben und aufdecken konnten. Obwohl sich Marianna Vyshemirskaya derzeit im russisch-kontrollierten Gebiet befindet, war sie dennoch bereit, die falschen Berichte mit uns vor Kamera aufzuklären.

Neben diesem Projekt, der sich direkt mit russischen Fälschungen befasst, bringen wir auch eine tägliche Zusammenfassung der Ereignisse im Zusammenhang mit dem Krieg in der Ukraine (mit Schwerpunkt auf dem Donbass) sowie eine Reihe von Geschichten über Migranten und Flüchtlinge heraus – über Menschen, die wie wir zweimal vor dem Krieg fliehen mussten.

„Die Analyseergebnisse zur Reichweite unserer Medienaktivitäten verdeutlichen, dass der Wunsch schnell größer wird, aktuelle Informationen über die Ukraine zu erhalten, eine Alternative zur Kreml-Propaganda zu finden und mehr darüber zu erfahren, wie man diese russische Propaganda entlarven kann", sagt unsere Direktorin Lubov Rakovica.

Die Zahl der Aufrufe unseres Kanals auf YouTube ist im Vergleich zum Durchschnitt vor Beginn der russischen Invasion am 24. Februar 2022 massiv gestiegen. Seitdem wurde unser Kanal 3,5 Millionen Mal aufgerufen, das sind 3 Millionen mehr als gewöhnlich. Unser YouTube-Kanal ist zu einer wichtigen Informationsquelle für die Ukrainerinnen und Ukrainer (insbesondere in den Regionen Donezk und Luhansk auf beiden Seiten der Kontaktlinie) geworden – 1.263.000 Aufrufe (35,8 %), sowie für Menschen in Russland – 1.187.000 Aufrufe (33,7 %), aus Kasachstan – 80.200 (2,3 %) und aus Belarus – 75.700 (2,2 %).

Im letzten Monat besuchten 969.000 Menschen unsere Website (gegenüber 157.500 im Januar); mit 2.397.000 Sitzungen (gegenüber 403.500 Sitzungen im Januar). Seit dem Beginn der groß angelegten Invasion haben 228.000 Menschen aus Russland unsere Website besucht (vorher waren es 12.000).

Seit dem Beginn des russischen Krieges in der Ukraine haben 11.400 Menschen unseren YouTube-Kanal abonniert, am 23. März waren es 108.000.

„Aufgrund der erhöhten Aufmerksamkeit des Publikums kommt es inzwischen vermehrt zu Versuchen seitens feindlicher Hacker, unsere Medienressourcen zu stören. Im vergangenen Monat war unsere Website massiven DDoS-Angriffen ausgesetzt, bei denen 2.000 IP-Adressen gleichzeitig betroffen waren. Eines der Werbenetzwerke, das seine Banner auf vielen ukrainischen Websites, darunter auch unserer, platziert hat, wurde ebenfalls von Hackern angegriffen", so Bogdan Karkachov, Chefredakteur der Website News of Donbass.

Wir stellen auch eine Zunahme von Bot-Aktivitäten unter all unseren neuesten Videos fest. Wir ordnen es als eine weitere Bestätigung dafür ein, dass wir ein wichtiger Info-Kanal geworden sind, der mit Erfolg die verifizierte Wahrheit in die von der russischen Propaganda befallenen Gebiete hineinbringt.

„Unser Zielpublikum sind die Bewohner der Regionen Donezk und Luhansk. Hauptsächlich russischsprachige Bürgerinnen und Bürger der Ukraine. Unsere Konkurrenten sind die Medien der sog. LDVR und russische Medien. Unser Ziel ist es, den Menschen Informationen in der Sprache zu vermitteln, die ihnen vertraut ist, die sie täglich sprechen. Außerdem wächst jetzt auch unser Publikum in Russland. Wir glauben, dass dies unter anderem auf die vollständige Ausrottung jeglicher frei verfügbaren Informationskanäle und Medien durch den Kreml zurückzuführen ist. Viele Einwohner der Russischen Föderation und anderer russischsprachiger Länder sind auf der Suche nach Informationen, die eine Alternative zu den Propagandisten des Kremls darstellen. Hierzu gehören auch ukrainisch-russischsprachige Ressourcen. Die Rolle der ukrainisch-russischsprachigen Medien nimmt also unter den Bedingungen des Krieges erheblich zu", so Lubov Rakovitsa.  

 

Yuliia Didenko absolvierte 2018 ein Bildungsprogramm des Internationalen Journalisten- und Mediendialogprogramms der FNF für osteuropäische Journalisten in Berlin.

Aus dem Russischen übersetzt von Peter Cichon, Themenmanager Medienfreiheit weltweit.

Filmmaterial von Donbas-News.Video auf Russisch:

https://www.youtube.com/watch?v=JEv-wyW05gI

https://www.youtube.com/watch?v=HkU0-Y23QpA&list=PLNHHhZXfn6jmJ0BaxEovpP9Z32z0Atptt

https://www.youtube.com/watch?v=_QbpqDINDr4&list=PLNHHhZXfn6jkNwgpz-1pZdR4Mg_pSndaj