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Krieg in Europa
Ukraine: Wirtschaft und Überleben in Kriegszeiten

Metropolregion Kiew

Zerstörung eines Lebensmittelgeschäfts in der Metropolregion Kiew

© picture alliance / Photoshot | -

Die Ukraine ist nicht nur eines der größten Länder Europas, sondern übernimmt auch eine Schlüsselstellung in der Weltwirtschaft ein. Das Land gehört zu den bedeutendsten Lieferanten von Lebensmitteln auf dem Weltmarkt. Bei der Ausfuhr von Sonnenblumenöl steht die Ukraine weltweit an erster, bei Mais an vierter und bei Weizen an fünfter Stelle. Die Ukraine ist auch führend in der Produktion anderer landwirtschaftlicher Erzeugnisse wie Nüsse, Raps, Erbsen, Mehl und Honig. Damit versorgt die ukrainische Landwirtschaft rund 400 Millionen Menschen mit Nahrungsmitteln, wobei die Bevölkerung der Ukraine nicht mitgerechnet ist. Der russische Krieg in der Ukraine und die Blockade von Häfen verschärfen so die weltweite Nahrungsmittelkrise in erheblichen Ausmaß. Besonders erheblich sind die Auswirkungen für den Nahen Osten und Nordafrika. Die Länder dieser Regionen sind die Hauptabnehmer von Weizen und Mais auf den Weltmärkten. So stiegen allein in der ersten Woche des Krieges in der Ukraine die Kosten für Weizen um 100 % auf über 400 Dollar pro Tonne. Zum Vergleich: Im gleichen Zeitraum des Vorjahres lag dieser Wert noch bei 150 Dollar. Die Probleme für die Wirtschaft in der Ukraine sind so immer auch globale Probleme. Allein für Europa ist die Ukraine, der viertwichtigste aller landwirtschaftlichen Güter.

Unternehmen im Krieg

Für die Ukraine machen Landwirtschaft und Lebensmittel auch den größten Anteil der Gesamtexporte – etwa 41 % pro Jahr – aus. Durch den Krieg stehen die Lebensmittelunternehmen in der Ukraine jedoch vor vielen Herausforderungen. So wurden die Lebensmittelversorgungsketten (von der Primärproduktion bis zum Verkauf an die Verbraucher) unterbrochen oder ganz zerstört. Die Tierhaltung beispielsweise reagiert äußerst empfindlich auf logistische Entscheidungen: rechtzeitige und regelmäßige Lieferung von Tierarzneimitteln und Futterkomponenten, rechtzeitiger Verkauf von Fertigprodukten zur Verarbeitung, Aufrechterhaltung des Mikroklimas, schnelle Logistik der Fertigprodukte. Darüber hinaus haben die Unternehmen mit einem Arbeitskräftemangel zu kämpfen, da viele Arbeitnehmer zur Verteidigung des Landes abgewandert sind. Außerdem sind viele der Verbliebenen täglich Gefahren ausgesetzt, da sie unter ständigem Beschuss weiterarbeiten oder Produkte transportieren müssen. Von zahlreichen Unternehmen wurden Fabriken und Lagerhäuser zerstört. Einige Unternehmen versuchen, ihre Betriebe zu verlagern, was jedoch nicht immer möglich ist.

Ein Teil der Gemüsevorräte befindet sich in den vorübergehend besetzten Gebieten. Wenn in den Lagern zum Beispiel der Strom ausfällt, verderben die Produkte schnell. Auch für die Lagerung von Getreide und Öl sind bestimmte Bedingungen erforderlich. Aufgrund der Blockade der ukrainischen Häfen durch Russland (60 % der ukrainischen Agrarerzeugnisse werden auf dem Seeweg exportiert) ist es außerdem schwierig, ukrainische Erzeugnisse auf ausländische Märkte zu exportieren. Nach Angaben des Ersten Stellvertretenden Ministers für Agrarpolitik und Ernährung der Ukraine, Taras Vysotskyi, hat die Ukraine in den Kriegsmonaten 1,5 Milliarden Dollar an Lebensmittelexporten nicht erhalten.

Zerstörte Logistik

Wenn wir über das übliche Leben und den Zeitplan des Geschäfts sprechen, dann gehört all dies ebenfalls der Vergangenheit an. Von den ersten Kriegstagen an mussten Entscheidungen sehr schnell getroffen und alle Abläufe neu konfiguriert werden. Sowohl die Vertreter des Unternehmens als auch meine Kolleginnen und Kollegen arbeiteten alle weiter, wobei das Büro in einen Luftschutzkeller umgewandelt wurde und ständig unter Beschuss stand. Dennoch arbeiteten alle weiter, weil sie verstanden, dass das Land mit Lebensmitteln versorgt und die Wirtschaft aufrechterhalten werden musste.

Eine der größten Herausforderungen für die Unternehmen war die Logistik, da Straßen und Brücken entweder beschädigt oder völlig zerstört waren. Daran müssen die Unternehmen rund um die Uhr arbeiten, angefangen bei der Optimierung der Routen, der Suche nach Fahrern, Lagern, Transportmitteln, Treibstoff, Pässen und Konvois in Kampfgebieten bis hin zur Sicherheit des Teams. Es gab Fälle, in denen Vertreter von Unternehmen Lebensmittel transportierten und die russischen Besatzer auf sie schossen und Autos klauten. Einige Unternehmen haben mit starker Unterstützung der ukrainischen Eisenbahngesellschaft neue Wege zur Sicherstellung der Versorgung eingeführt, wie beispielsweise über  Züge. Eine weitere neue Entwicklung ist eine deutliche Zunahme der Direktlieferungen an Handelsketten. Mit Kriegsbeginn mussten die Vertreter des Einzelhandels nicht nur den Logistikprozess komplett umgestalten, sondern sich auch auf die Grundversorgung mit Brot, Wasser, Lebensmitteln und anderen sozialen Produkten konzentrieren.

Angriffe auf die Lebensmittelversorgung

Seit Beginn der umfassenden militärischen Aggression sind jedoch einige Supermärkte in Gebieten mit aktiven Feindseligkeiten geschlossen worden. Einige von ihnen wurden durch Granatenbeschuss beschädigt und durch Plünderung geleert. Die Situation der Lebensmittelgeschäfte, die sich derzeit in der Zone der aktiven Kriegshandlungen oder in unkontrollierten Gebieten befinden, ist unbekannt. Vertreter berichten von der Zerstörung nicht nur von Geschäften, sondern auch von Verteilungszentren, Lagerhäusern und Produktionsstätten. Als zum Beispiel die Rakete das Einkaufszentrum Retroville in Kyjiw traf, wurden an diesem Tag drei unserer Unternehmen beschädigt. Aber wir sind den Unternehmen unseres Verbandes sehr dankbar, die während des Krieges weiterhin arbeiten, sich freiwillig engagieren und dem Land finanzielle, materielle und humanitäre Hilfe leisten. Jeder, der heute zur Arbeit geht und sich freiwillig den Gefahren aussetzt, ist ein Held. Die Ukraine verteidigt sich gegen Russland, während die Unternehmen alles tun, um die Verteidiger und Verteidigerinnen zu versorgen.