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Krieg in Europa
Reaktionen aus Polen zum Ukraine-Krieg und mögliche Umbrüche im polnischen Parlament

Dr. Milosz Hodun informiert über die aktuelle Entwicklungen in unserem Nachbarland
Ukrainische Flüchtlingsfamilien werden in Gemeinschaftszentren in der Stadt Medika, Polen, untergebracht.

Ukrainische Flüchtlingsfamilien werden in Gemeinschaftszentren in der Stadt Medika, Polen, untergebracht.

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picture alliance / ZUMAPRESS.com | Hector Adolfo Quintanar Perez

Das alles bestimmende Thema in Polen ist dieser Tage der Krieg in der Ukraine. Wie reagiert die polnische Regierung und Bevölkerung auf den russischen Angriff wenige Kilometer von der eigenen Grenze? Welche Auswirkungen hat die Niederlage Kaczyńskis bei einer strategischen Abstimmung im polnischen Parlament? Ist eine Schwächung der Vereinigten Rechten im Sejm zu erwarten? unser Gastautor Dr. Milosz Hodun über aktuelle Entwicklungen in unserem Nachbarland.

Invasion der Ukraine

Am 24. Februar ist Russlands Armee brutal in die Ukraine einmarschiert und hat damit gegen internationales Recht verstoßen. Nach der ersten Woche des Krieges wissen wir, dass die Ukraine sich wehrhaft verteidigt, während Putins Truppen Berichten zufolge unschuldige Menschen töten, verbotene Waffen einsetzen und die Menschenrechte missachten. Dieser Krieg findet mitten in Europa statt, so nahe an der polnischen Grenze, dass bei einem Raketeneinschlag in der Nähe der ukrainischen Stadt Wolodymyr, das weniger als 15 Kilometer von Polen entfernt liegt, die Fenster von manchen polnischen Häusern im Osten des Landes zerbrachen. Eine detaillierte Beschreibung und Analyse der Invasion würde den Rahmen dieses Newsletters sprengen, aber es ist wichtig, einige Fakten und Positionen einmal aus polnischer Sicht darzustellen:

  • Jeden Tag überqueren Zehntausende Ukrainerinnen und Ukrainer die Grenze nach Polen. Die meisten davon über den Grenzposten in Medyka, wo sie unter anderem mit einem polnischen Sonderzug ankommen, der zwischen der Grenze und der Stadt Lemberg verkehrt. Nach der ersten Kriegswoche flohen über eine halbe Million Menschen nach Polen. Es wird geschätzt, dass bis zu 5 Millionen Ukrainer ihr Heimatland verlassen werden, die meisten von ihnen in Richtung Polen.
  • Die polnische Regierung hat entlang der Grenze zur Ukraine neun Aufnahmestellen für Flüchtlinge eingerichtet, in denen die nach dem russischen Angriff Vertriebenen mit Lebensmitteln, medizinischer Hilfe und Informationen versorgt werden sollen. Weitere Aufnahmezentren wurden in mehreren Städten eröffnet, z. B. an den Warschauer Bahnhöfen Ost und West.
  • Die Hilfsbereitschaft der polnischen Gesellschaft für die Flüchtlinge übersteigt alle Erwartungen. Facebook-Gruppen, in denen Bürgerinnen und Bürger ihre Hilfe anbieten, sind in den letzten Tagen wie Pilze aus dem Boden geschossen und verzeichnen Hunderttausende von Nutzern. Viele Polen haben sich freiwillig gemeldet, um Flüchtlinge bei sich zu Hause aufzunehmen. Freiwillige fahren Hunderte von Kilometern zur Grenze, um die Bedürftigen mitzunehmen. Informelle Gruppen sammeln Geld, Kleidung und alles, was auf der Durchreise oder für den Start eines neuen Lebens benötigt wird. Informelle Gruppen bereiten Sandwiches und warme Mahlzeiten zu und liefern sie an Aufnahmezentren und Kommunikationsknotenpunkte. Über 90 % der Polen unterstützen die Aufnahme ukrainischer Flüchtlinge; 64 % sagen, dass sie persönlich helfen werden. „Wir sind beeindruckt davon, wie die polnische Bevölkerung sich einsetzt. Die Polen zeigen der Welt, was gościnność  - Gastfreundschaft - bedeutet,“ sagte der US-Botschafter in Polen, Mark Brzezinski.
  • Die Gemeinden, insbesondere die Großstädte Warschau, Krakau und Lublin, haben ihre eigenen Unterstützungszentren und Unterkünfte für Flüchtlinge eingerichtet. Die Krakauer Behörden erklärten, dass sie sogar 17.000 Menschen aufnehmen können und dafür unter anderem Wohnheime, Sommerhäuser und die größte Show-Arena der Stadt nutzen. Warschau bereitete die Unterbringung in Sporthallen vor.
  • Polen unterstützt alle Formen von Sanktionen gegen Russland. Polen war eines der ersten Länder, das seinen Luftraum für russische Flugzeuge sperrte. Das Zögern einiger Länder beim Ausschluss Russlands aus dem Swift-System wurde von allen Parteien in Warschau kritisiert. „In diesem Krieg ist alles real: Putins Wahnsinn und Grausamkeit, ukrainische Opfer, Bomben, die auf Kiew fallen,“ sagte Oppositionsführer Donald Tusk. „Die EU-Regierungen, die harte Entscheidungen blockiert haben (Anm. der Redaktion: u.a. Deutschland, Ungarn, Italien), haben sich blamiert,“ fügte er hinzu.
  • Die Krankenhäuser sind nun auch für ukrainische Flüchtlinge geöffnet. Ärztliche Verschreibungen aus der Ukraine gelten nun auch in Polen. Kinder, die eine onkologische Behandlung benötigen, sind in polnischen Krankenhäusern untergebracht; für andere ist ein Weitertransport in andere europäische Länder organisiert.
  • Die polnische Regierung versucht, neue Maßnahmen einzuführen, die es ukrainischen Flüchtlingen erleichtern, das Recht auf Arbeit und Kindergeld zu erhalten, einschließlich des Zugangs zum Erziehungsgeld (das sogenannte 500 Plus). Viele Unternehmen, darunter die größten Einzelhandelsketten, führen vereinfachte Beschäftigungsverfahren für Flüchtlinge aus der Ukraine ein. Zahlreiche kleinere Unternehmen haben ihren ukrainischen Mitarbeitern geholfen, ihre Familienangehörigen nach Polen zu holen, und ihnen Arbeit und kostenlose Unterkünfte angeboten.
  • Das sonntägliche Einkaufsverbot wurde in den Grenzregionen zur Ukraine aufgehoben, um dringend benötigte Produkte zum Verkauf anzubieten, sie als humanitäre Hilfe in die Ukraine zu schicken oder sie an die Flüchtlinge zu liefern, die sich bereits in Polen befinden.
  • Die Hälfte der Flüchtlinge sind Kinder. Das Bildungsministerium will die Kinder an den Schulen anmelden. Es werden spezielle Vorbereitungsklassen eingerichtet, die sich vor allem auf die Sprache konzentrieren. In einigen Fällen haben ukrainische Kinder bereits den Unterricht in polnischen Schulen begonnen.
  • Die größte Zeitung „Gazeta Wyborcza“ hat eine Sonderausgabe in ukrainischer Sprache herausgegeben, und das beliebteste polnische Radio RMF FM hat einen Sonderkanal RMF Ukraine eingerichtet, um die Menschen an der Grenze zu informieren.
  • Die polnische Botschaft in Kiew bleibt geöffnet und Botschafter Krzysztof Krajewski ist weiterhin im Einsatz.
  • Polnische Parteien und das polnische Parlament unterstützen den Beitritt der Ukraine in die EU. „Polen unterstützt den Blitzbeitritt der Ukraine in die EU,“ twitterte Andrzej Duda. „Der Kandidatenstatus sollte sofort anerkannt werden und die Beitrittsverhandlungen sofort danach beginnen. Die Ukraine sollte auch Zugang zu EU-Mitteln für den Wiederaufbau haben,“ fügte er hinzu.
  • Die Regierung stellte das Gesetz zur Heimatverteidigung vor. Die vorgeschlagenen Änderungen zielen darauf ab, die polnische Armee zu stärken – einschließlich einer Erhöhung der Soldaten auf rund 300.000, Aufstockung des Verteidigungshaushalts sowie technische Modernisierung der Armee. Außerdem regelt das Gesetz die Vorschriften für die polnischen Streitkräfte. Hauptziele des Gesetzes:
    • Organisation der Vorschriften für die Streitkräfte,
    • Erhöhung des Verteidigungshaushalts,
    • Umsetzung des Konzepts der gemeinsamen Verteidigung,
    • Vergrößerung der polnischen Armee,
    • Vereinfachung des Wehrdienstsystems,
    • Wiederherstellung des Reservesystems,
    • verbesserte Ausbildung der Soldaten,
    • Schaffen von Anreizen für den Militärdienst und für militärischen Studien,
    • Einführung eines Systems von Anreizen für Dienstanwärter,
    • Flexibilisierung der Beförderungsregeln.

Die Opposition wird den Gesetzesentwurf unterstützen, fordert aber gleichermaßen von der Regierung ein, die Konflikten mit Brüssel zu beenden und die Beziehungen zu den führenden Putin-freundlichen Parteien und Politikern in Europa abzubrechen. Selbst die PiS ist beunruhigt über das Verhalten ihres engsten Verbündeten in Europa, Ministerpräsident Viktor Orbán, der seine Grenzen für den Transit internationaler Militärhilfe für die Ukraine geschlossen hat. „Wir finden diese Haltung überraschend, aber es ist eine Angelegenheit Ungarns,“ sagte der Chef des parlamentarischen Klubs der PiS, Ryszard Terlecki.

Weitere Nachrichten aus Politik und Gesellschaft

Kaczyński verliert eine strategische Abstimmung

Jarosław Kaczyński hat eine sehr wichtige Abstimmung im Sejm verloren, was weitere Fragen über die Stabilität der PiS-Regierung aufwirft.

Der betreffende Gesetzentwurf würde kostenlose, regelmäßige Covid-19-Tests für Arbeitnehmer vorschreiben und es denjenigen, die glauben, sich am Arbeitsplatz infiziert zu haben, ermöglichen, von Kollegen, die den Test verweigern, Schadenersatz zu verlangen. Beide Punkte waren aus unterschiedlichen Gründen sehr kontrovers. Das Recht auf Entschädigung wurde von der Opposition, aber auch von einigen Mitgliedern der Regierungskoalition (sowie von Vertretern der Arbeitgeberverbände) als unethisch und als nicht umsetzbar in Frage gestellt. Regelmäßige Tests wurden von der rechtsradikalen Partei Konfederacja, aber auch von einigen PiS-Abgeordneten entschieden abgelehnt. Anna Maria Siarkowska, die bekannteste Anti-Vaxxerin in der PiS-Fraktion, sagte, der Gesetzentwurf würde eine „verfassungswidrige Segregation“ einführen.

Bei dieser Abstimmung gab es keine Fraktionsdisziplin, aber Jarosław Kaczyński selbst stellte den Gesetzesentwurf im Unterhaus vor, was sehr selten vorkommt, und gab damit ein klares Signal, dass er die Unterstützung seiner Partei für diese Maßnahmen einfordert.

Letztendlich enthielten sich 61 Abgeordnete der Vereinigten Rechten (PiS und ihre Verbündeten) der Stimme oder stimmten gar gegen das Gesetz. Weitere 15 Abgeordnete erschienen nicht einmal zur Abstimmung im Parlamentsgebäude. Kaczyński hatte damit diese strategische Abstimmung verloren.

Die Regierung machte die Opposition für die Niederlage verantwortlich und sagte, dass sie die wirksame Pandemiebekämpfung nicht unterstützen wolle.

Kommentatoren zufolge war dies eine symbolische Niederlage, die beweist, dass sich die Vereinigte Rechte langsam auflöst. Da die Abgeordneten sehen, dass die Partei an Unterstützung verliert, haben sie weniger Angst, sich zu widersetzen. Besonders deutlich wird dies im radikalen Flügel der Vereinigten Rechten, wo Justizminister Zbigniew Ziobro und seine Partei Solidarität Polen Premierminister Morawiecki immer unverblümter angreifen. Es wird sogar behauptet, Ziobro baue für seine Leute eine alternative Option für die Wahlen 2023 auf. Einigen Kommentatoren zufolge könnte er vor den Wahlen ein neues Bündnis mit der ultrarechten Partei Konfederacja eingehen.

Sex-Skandal bei den Rechtsextremisten

Ordo Iuris, eine ultrakonservative katholische Stiftung, die für ihre einflussreiche Lobbyarbeit zum Verbot der Abtreibung und zur Einschränkung der LGBTI-Rechte bekannt ist, befindet sich nach einer Sex-Affäre in einer schweren Krise.

Ordo Iuris ist ein extrem rechts orientierter Think Tank mit engen Verbindungen zur Kirche und zur Regierung. Ordo Iuris stand hinter vielen menschenrechtsfeindlichen Initiativen, die die PiS in den letzten Jahren auf den Weg gebracht hat, darunter das Abtreibungsverbot und Hasskampagnen gegen LGBT-Menschen. Ordo Iuris entwirft Gesetzesvorlagen, erstellt Analysen, betreibt Lobbyarbeit im Parlament und finanziert massive Kommunikationskampagnen. Der Think Tank hat eine Reihe von Tochterorganisationen gegründet, die Zuschüsse aus staatlichen Quellen erhalten. Vor kurzem haben seine Experten das Collegium Intermarium gegründet, eine juristische Fakultät, die eine neue Generation konservativer Führungskräfte ausbilden soll. Ordo Iuris ist Teil eines reichen und einflussreichen internationalen Netzwerks, Tradition, Familie, Eigentum (TFP), das in mehreren Ländern als religiöse Sekte bezeichnet wird. Es ist auch der europäische Arm des American Center for Law and Justice(ACLJ), das von Jay Sekulow, einem ehemaligen Anwalt von Donald Trump, geleitet wird.

Ordo Iuris-Leute sind so einflussreich, dass sie auch in vielen Ministerien, Regierungsbehörden und Gerichten vertreten sind, wo sie ultrakonservative Ziele vertreten. 2021 nominierte die Regierung von Mateusz Morawiecki Aleksander Stępkowski, den ehemaligen Vorsitzenden des Ordo Iuris, für den Richterposten am Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg (er wurde von der Parlamentarischen Versammlung des Europarats abgelehnt).

Kürzlich beteiligte sich der Ordo Iuris an den Diskussionen über die Einschränkung des Rechts auf Scheidung. Anfang 2022 geschah jedoch etwas Unerwartetes. Es kam zu einer Spaltung. Der junge und einflussreiche Vizepräsident Tymoteusz Zych verließ Ordo Iuris mit einer Gruppe von einem Dutzend Mitarbeitern. Offiziell wurde die Entscheidung aufgrund von „unterschiedlichen Visionen“ und mangelnder Übereinstimmung mit dem derzeitigen Vorsitzenden Jerzy Kwaśniewski getroffen. Die Öffentlichkeit wurde jedoch schnell darüber informiert, dass dieser Schritt durch persönliche Gründe und einen internen Skandal motiviert war.

Anscheinend leben die rechten Fanatiker, die so vehement für traditionelle Familien kämpfen, persönlich ein ganz anderes Leben. Die Medien fanden heraus, dass Zych eine langjährige Affäre mit seiner Kollegin in der Organisation, Karolina Pawłowska, hatte, der Direktorin des Internationalen Rechtszentrums. Beide sind verheiratet und haben Kinder. Lange Zeit galt die Affäre als ein Insidergeheimnis in der Organisation. Doch vor einigen Monaten kam es zu einem gewalttätigen Ausbruch. Pawłowskas Ehemann griff Zych in dessen Büro körperlich an, und beide Männer mussten von anderen Mitarbeitern getrennt werden.

Die meisten polnischen Medien und Social-Media-Kanäle berichteten etwa eine Woche lang begeistert über den Skandal. Das Privatleben von Zych und Pawłowska wurde öffentlich verbreitet. Dies warf auch ethische Fragen über die Verletzung der Privatsphäre auf. Bemerkenswert ist dennoch, dass gerade Mitglieder der extremen Rechten, die jahrelang moralisierend die Rechte anderer Menschen versucht haben einzuschränken und in hasserfüllten Kampagnen verbreiteten, dass Homosexuelle die Ehe und das traditionelle Familienmodell bedrohen, nun in einen solchen Skandal verwickelt sind.

Dieser Skandal hat den Ruf von Ordo Iuris schwer beschädigt, und lässt hoffen, dass die Organisation ihre Macht verlieren wird. Doch angesichts ihrer Wirksamkeit und Verbindungen ist das nur schwer zu glauben. Zych hat bereits ein neues Think Tank mit neuem Namen gegründet, das eine weniger aggressive Version seines früheren Arbeitgebers sein soll.

Europäische Angelegenheiten

Beeinträchtigte Unabhängigkeit des Gerichts

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) stellte fest, dass es der Zivilkammer des Obersten Gerichtshofs in Polen an Unparteilichkeit und Unabhängigkeit mangelt. Die Straßburger Richter wiesen auf eine „systemische Dysfunktion im Verfahren zur Ernennung von Richtern in Polen“ hin.

Der EGMR befasste sich damit, ob die Ernennung von Richtern durch den Nationalen Justizrat gegen das Recht auf ein faires Verfahren verstößt. Dieses Recht ist in den Artikeln 6 und 1 der Europäischen Menschenrechtskonvention verankert. In der Rechtssache Dolinska-Ficek und Ozimek gegen Polen stellte der EGMR fest, dass das Verfahren zur Ernennung von Richtern von der Legislative und der Exekutive beeinflusst wurde. Im vorliegenden Fall, Advance Pharma Sp. Z o.o. gegen Polen, folgte das Straßburger Gericht einem Präzedenzfall. Es stellte ferner fest, dass die Zivilkammer des Obersten Gerichtshofs kein „auf Gesetz beruhendes Gericht" sei, da die Unabhängigkeit und Unparteilichkeit beeinträchtigt sei und ein mangelhaftes Verfahren für die Ernennung von Richtern vorherrsche.

Der Staatssekretär im polnischen Justizministerium, Sebastian Kaleta sagte, der EGMR habe gegenüber „alten“ und „neuen“ Demokratien mit zweierlei Maß gemessen.

Beispiellose Vollstreckung

Die polnische Regierung wurde zu einer täglichen Geldstrafe in Höhe von 50.000 EUR verpflichtet, weil sie der einstweiligen Anordnung (Streit mit Tschechien) des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) nicht nachgekommen ist, wonach Polen das Braunkohlebergwerk in Turów schließen muss (mehr dazu in der Septemberausgabe des Newsletters).

Da Polen die Zahlung verweigert hat, hat die Kommission die Regierung in Warschau darüber informiert, dass sie die Geldstrafen vollstrecken wird. Der Betrag für die ersten Monate der nicht gezahlten Strafen in Höhe von 15 Millionen Euro soll bereits im Februar von den EU-Mitteln für Polen abgezogen werden. Es ist das erste Mal, dass die EU einem Mitgliedsstaat Gelder vorenthält, weil er einem Urteil des EuGH nicht nachgekommen ist.

Die polnische Regierung kündigte an, sie werde gegen die Entscheidung der EU, die Geldbußen zu verhängen, Berufung einlegen, da inzwischen eine Einigung mit den tschechischen Behörden erzielt worden sei. Die Vereinbarung sieht vor, dass Prag die Klage zurückzieht und im Gegenzug eine Entschädigung in Höhe von 45 Millionen Euro für die Verbesserung der Infrastruktur und andere Umweltschutzmaßnahmen und -zusagen erhält.

Der polnische Minister für Landwirtschaft und ländliche Entwicklung, Grzegorz Puda, betonte vor dem Sejm: „Wir sind der Meinung, dass wir alles tun müssen, um Energiesicherheit sicherzustellen.“ Der tschechische Ministerpräsident Petr Fiala kündigte an, er habe Garantien dafür erhalten, dass eine im Bau befindliche unterirdische Barriere zum Schutz der Wasserquellen funktionieren werde. Umwelt-NGOs haben die Vereinbarung in Frage gestellt und bezweifeln, dass die geplante unterirdische Barriere wirksam sein wird. Die polnische Opposition betont, dass das Abkommen zu spät geschlossen wurde und Polen dadurch Dutzende von Millionen Euro verloren habe. Sie kritisieren die Regierung für die grobe Behandlung der tschechischen Partner und den schlechten Verlauf der Verhandlungen.

Erster Nicht-Niederländer zum Leiter des Ständigen Schiedshofs gewählt

Der derzeitige Botschafter Polens in den Niederlanden, Marcin Czepelak, wird den Ständigen Schiedshof (PCA) in Den Haag leiten. Er ist auf internationales Recht spezialisiert und hat für mehrere ausländische Institutionen gearbeitet, darunter das Max-Planck-Institut in Hamburg und die Universität Cambridge. Außerdem war er als Berater für die Europäische Kommission, das Europäische Parlament, das polnische Justizministerium und den Sejm tätig.

Czepelak wurde in geheimer Wahl von den diplomatischen Vertretern der 122 Unterzeichnerstaaten der Haager Konventionen gewählt. Er ist der erste Nicht-Niederländer in der 123-jährigen Geschichte der Organisation, der dieses Amt innehat.

Der 1899 gegründete Ständige Schiedshof, der kein eigentliches Gericht ist, sondern nur den Rahmen für Schiedsverfahren liefert, nahm 1902 seine Arbeit auf und hat heute 122 Mitglieder. In späteren Jahren wurde seine Aufgabe vom Ständigen Internationalen Gerichtshof und nach dem Zweiten Weltkrieg vom Internationalen Gerichtshof übernommen. Der PCA nahm 1998 die Schiedsgerichtsbarkeit wieder auf.

Wirtschaft

Verschärfung des Einkaufsverbots

Am 1. Februar hat die polnische Regierung versucht, die Gesetzeslücke im Sonntagseinkaufsverbot zu schließen. Viele Einzelhändler, darunter auch Supermärkte, umgingen das Verbot, indem sie sich als Postfilialen deklarierten und so die Abholung von Paketen erlaubten, die von Kurierdiensten geliefert wurden. Das Sonntagseinkaufsverbot wurde 2018 als eines der wichtigsten Postulate der Kirche und der Gewerkschaft Solidarität, einem engen Verbündeten der PiS, eingeführt. Seitdem dürfen Geschäfte nur dann sonntags geöffnet bleiben, wenn die Postdienste mehr als 40 % des Umsatzes des jeweiligen Geschäfts ausmachen.

Aber der Phantasie polnischer Unternehmer sind keine Grenzen gesetzt, und viele Einzelhändler fanden neue Schlupflöcher, um ihre Läden offen zu halten. Einige von ihnen gaben sich als Buchklubs aus (ein Tisch, ein Stuhl und ein Regal mit Büchern zum Lesen reichten dafür aus). Ein Supermarkt in Teschen, an der Grenze zu Tschechien, nutzte die Nähe einer Bushaltestelle und nennt sich nun Bushaltestelle. Die Buchklubs und die Bushaltestelle können geöffnet bleiben, da das Gesetz den Betrieb von Unternehmen in den Bereichen Kultur, Sport, Bildung, Tourismus und Freizeit an jedem Tag der Woche erlaubt.

Der Sieg des Teschen-Geschäfts über den polnischen Gesetzgeber währte jedoch nicht lange. Nach einem kleinen Protest von Gewerkschaftern schloss die Polizei den "Bushaltestelle" sofort, da der Verkauf von Alkohol in einer solchen Einrichtung illegal ist.

Polen & Deutschland

Sprachlos

Der polnische Bildungsminister, der ultrakonservative Przemysław Czarnek, hat eine Richtlinie erlassen, mit der die Anzahl der Deutschstunden an polnischen Schulen für Angehörige der deutschen Minderheit reduziert werden soll. Der Unterricht wurde von drei auf eine Stunde pro Woche reduziert, und die Änderung gilt nur für diese eine Minderheit.

Die Richtlinie folgt einem Beschluss des Sejm vom Dezember, die Subventionen für den Unterricht von Minderheiten- und Regionalsprachen an Schulen um fast vierzig Millionen Zloty (ca. 8,8 Millionen Euro) zu kürzen. Stattdessen sollen die Mittel für den Polnischunterricht für Angehörige der polnischen Minderheit in Deutschland verwendet werden.

Die liberale Abgeordnete Monika Rosa (Nowoczesna) bezeichnete die Richtlinie als „empörend“ und sagte, sie werde „unseren Mitbürgern schaden, die hier Steuern zahlen, hier studieren, ihre Kinder großziehen und einen unbestreitbaren Beitrag zur Entwicklung des polnischen Staates leisten.“ Die demokratischen Oppositionsparteien waren gegen die Entscheidung und versuchten, sie im Senat, wo sie die Mehrheit haben, zu verhindern. Das Veto des Oberhauses wurde jedoch durch die Mehrheit der Parteien PiS und Konfederacja im Sejm überstimmt. Dieser feindselige Schritt wurde auch von Vertretern verschiedener Minderheiten, Experten und der Zivilgesellschaft kritisiert. „Ich kann nicht akzeptieren, dass Haushaltskürzungen auf Kosten von Gemeinschaften oder Gruppen vorgenommen werden, die ohnehin oft in verschiedenen Bereichen des sozialen oder kulturellen Lebens an den Rand gedrängt werden und zu deren Unterstützung die staatlichen Institutionen ausdrücklich verpflichtet sind“, sagte der polnische Ombudsmann Marcin Wiącek.

Mitglieder von Organisationen, die deutsche Minderheiten vertreten, kritisieren die Entscheidung scharf. Die deutschen soziokulturellen Vereinigungen in Polen haben eine Erklärung veröffentlicht, in der sie erklären, dass die Entscheidung gegen Artikel 1 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte verstoße. Ähnliche Erklärungen wurden von der Bundesunion Europäischer Volksgruppen und polnischen Gemeinschaften im Ausland (einschließlich des Polnischen Bundesnetzwerks Partizipation und Soziales) herausgegeben.

Der Sachverständigenausschuss der Europäischen Charta der Regional- oder Minderheitensprachen hat die neuesten Schritte der Regierung in Warschau mit Sorge zur Kenntnis genommen. Der Ausschuss erinnerte daran, dass Polen sich verpflichtet hat, die Regional- oder Minderheitensprachen zu schützen und entschlossene Maßnahmen zu ergreifen, um sie zu bewahren und ihre Verwendung im öffentlichen und privaten Leben zu unterstützen.

Der Beauftragte der deutschen Bundesregierung für Aussiedlerfragen und nationale Minderheiten, Bernd Fabritius, sagte bei seinem Besuch in die Region Oppeln, des wichtigsten Zentrums der deutschen Minderheit in Polen: „Ich bin überrascht über diese Regelung, die aus Sicht der deutschen Regierung eine Diskriminierung zwischen nationalen und ethnischen Minderheiten in Polen einführt“.

In den letzten Jahren haben polnische rechte und rechtsextreme Gruppierungen die Tatsache der Asymmetrie in der Behandlung deutscher und polnischer Minderheiten in Polen und Deutschland hervorgehoben. Sie betonen die bevorzugte Behandlung der deutschen Minderheit in Polen. 2021 beschloss die PiS, unterstützt von ultranationalistischen Abgeordneten aus Konfederacja, direkte Maßnahmen zu ergreifen, um Berlin zu zwingen, in Deutschland lebende Polen mehr zu unterstützen. Janusz Kowalski von der PiS, einer der Hauptbefürworter des neuen Gesetzes, betonte, dass Deutschland den Polen den Status einer anerkannten Minderheit geben und den polnischen Unterricht bezahlen müsse, da Berlin derzeit „nicht einen einzigen Euro dafür ausgibt.“

Kultur und Gesellschaft

Schlechtester Zugang zu Verhütungsmitteln in Europa

Einem neuen Bericht des Europäischen Parlamentarischen Forums für Bevölkerung und Entwicklung (EPF) zufolge ist Polen das europäische Land mit dem schlechtesten Zugang zu Verhütungsmitteln und anderen Mitteln der Familienplanung.

Das EPF bewertet die Länder in 15 Kategorien, die sich auf die Politik in Bezug auf Versorgung und Beratung sowie die Verfügbarkeit von Online-Informationen beziehen. Polen erreichte in der ersten Kategorie nur 25 % und in der zweiten Kategorie 43,4 %, was einem Endergebnis von 31,5 % entspricht. Dies ist deutlich weniger als im letzten Jahr (44,8 % insgesamt).

Geliebter Dichter der Rechten

Jarosław Marek Rymkiewicz ist im Alter von 86 Jahren gestorben. Rymkiewicz war Dichter, Essayist, Dramatiker und Literaturkritiker, außerdem Professor für Philologie und Mitarbeiter des Instituts für Literaturforschung der Polnischen Akademie der Wissenschaften im Ruhestand.

Rymkiewicz vertritt extreme politische Ansichten, die mit der PiS übereinstimmen, insbesondere seine Auffassung von Geschichte und Tradition. Er unterstützte Jarosław Kaczyński und seine Regierungen. Er schrieb sogar ein Gedicht mit dem Titel „An Jarosław Kaczyński“, in dem er den Flugzeugabsturz in Smoleńsk als Terrorakt bezeichnete und Gerechtigkeit für den „verbrannten Körper“ von Lech Laczyński forderte.

Parteiunterstützung

IBRiS für Radio Zet, 25.02.2022

  • PiS                                           37,4%
  • Bürgerkoalition                         22,8%
  • Polska 2050                             10,9%
  • Die Linke                                  7,2%
  • Volkspartei (Bauernpartei)        4,9%
  • Konfederacja                            4,1%

Dr. Milosz Hodun ist Experte der Nowoczesna Partei (Polen). Zuvor war er Lehrer an der juristischen Fakultät der Universität Reykjavik. Dr. Hodun ist Vorstandsmitglied bei Projekt: Polska sowie zweiter Vizepräsident des European Liberal Forums.