EN

Demokratie
Das Vertrauen in die Demokratie muss jeden Tag neu erarbeitet werden

"Demokratie ist nicht nur Mehrheitsentscheidung, sondern Demokratie ist eine wertegebundene Lebens- und Regierungsform, die auch die Rechte von Minderheiten schützt", sagt Sabine Leutheusser-Schnarrenberger zum Tag der Demokratie. © Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit

Ein Wahljahr ist immer eine gute Gelegenheit, um sich zu fragen, wie es um die Demokratie bestellt ist. In Deutschland leben wir in einer lebendigen und wehrhaften Demokratie. Der Prozentsatz der Menschen, die mit der Art und Weise, wie die Demokratie in Deutschland funktioniert, alles in allem gesehen zufrieden sind, bewegt sich in einem stabil hohen Bereich. Eine Erhebung des Meinungsforschungsinstituts Kantar weist für die letzten Jahre Werte von bis zu 70 Prozent der Befragten aus, die entweder sehr oder ziemlich zufrieden mit der Demokratie in Deutschland sind. Die Wahlbeteiligung zu Bundestagswahlen liegt erfreulicherweise weiterhin konstant über 70 Prozent. Auch diejenigen, die von „Merkel Diktatur“ faseln, beteiligen sich an den Wahlen, um das System zu ändern.

Dass unserer Demokratie nicht im Kern gefährdet ist, ist keine Selbstverständlichkeit, sondern muss ständig neu erarbeitet werden. Auch wenn die allgemeinen Zustimmungswerte hoch sind, gibt es dennoch Gefährdungen für das Vertrauen in unser demokratisches System, denen wir wirksam begegnen müssen. Zwei Dinge lassen sich im Hinblick auf die Pandemie und im Hinblick auf die anstehende Bundestagswahl herausstellen.

Vertrauen in Politikerinnen und Politiker in Gefahr

Zum einen wurde bedauerlicherweise während der Pandemiebekämpfung durch die sogenannten Masken-Deals, in die auch Abgeordnete vorwiegend einer Fraktion verwickelt waren, der Eindruck einer Selbstbedienungsmentalität erweckt. Das hat zum Image von Politikerinnen und Politikern, die ohnehin schon einen - im Gegensatz zur Gesamtbewertung der demokratischen Lage - eher schlechten Stand haben, noch einmal negativ beigetragen. Dabei haben gerade in der Pandemie viele Politikerinnen und Politiker unermüdlich für Verständnis und gemeinsame Anstrengungen, wie zuletzt das Wahrnehmen der Impfangebote, geworben. Diese gute Arbeit wird schnell überdeckt von rechtlich fragwürdigem Verhalten, wie es bei den Masken-Deals zu Tage getreten ist.

Eine weitere Gefährdung für das Vertrauen in die handelnden Akteure, in diesem Fall die im Bundestag vertretenen Parteien, stellt der Eindruck dar, dass selbst auf einem Level, auf dem Demokratie professionell und beruflich betrieben wird, Einigungen und Kompromisse nicht mehr möglich sind. Dieses Phänomen war in der zurückliegenden Wahlperiode vor allem bei einer Frage erkennbar, die das demokratische System im Kern betrifft - das Wahlsystem. Es konnte erneut keine Einigung über die Reform des Wahlrechts gefunden werden, was nach den aktuellen Prognosen dazu führen wird, dass der Bundestag in seiner Größe nach der anstehenden Bundestagswahl noch größer und damit weniger handlungsfähig wird. Das Wahlrecht sieht für den Bundestag eigentlich eine Größe von 598 Sitzen vor. Mit der tatsächlichen Zahl von 709 Sitzen liegt sie damit bereits deutlich (knapp 20 Prozent) höher als gesetzlich vorgesehen. Wenn nicht bald eine tragfähige Lösung gefunden wird kann das Vertrauen in die Politik als solche schwer erschüttert werden. Denn es verfestigt sich der Eindruck der eigennützigen Interessenwahrnehmung.

Demokratie ist nicht nur reine Mehrheitsentscheidung

Und eine dritte Gefahr liegt in dem Missbrauch der sozialen Medien zur Desinformation und Manipulation. Auch wenn der Grad der Beeinflussung nicht statistisch klar erfasst ist, haben Wahlen in Demokratien wie in den USA diese Gefahren gezeigt. Da müssen viele Akteure gegenhalten und die Plattformbetreiber ihre Verantwortung wahrnehmen.

Leider nimmt weltweit gesehen die Anzahl der Länder mit einer demokratischen Regierungsform weiter ab. Für die anstehenden globalen Herausforderungen unserer Zeit ist dies kein gutes Vorzeichen. Denn im vor uns liegenden Jahrzehnt wird die Bewältigung der großen Herausforderungen, wie die Klimakrise aber auch das Schritthalten mit der digitalen Transformation, das politische Geschehen bestimmen. Auch wenn es im täglichen politischen Geschäft nicht immer deutlich wird, haben Deutschland und Europa eine Vorbildfunktion gegenüber der restlichen Welt. Und die ist in Gefahr, wenn sogar Mitgliedstaaten der Europäischen Union die liberale Demokratie verlassen und autoritär mit massiver Beschränkung der Meinungs- und Pressefreiheit, der Wissenschaftsfreiheit und der Unabhängigkeit der Justiz regieren. Damit verletzen sie die unverzichtbaren Voraussetzungen eines demokratischen Systems. Demokratie ist nicht nur ein Verfahren, ist nicht nur reine Mehrheitsentscheidung im Parlament, sondern die Demokratie ist an Werte gebunden, die erst die Entfaltung der Bürgerinnen und Bürger ermöglicht und auch Minderheiten diese Rechte gewährt.