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Air India muss an den Markt

In Narendra Modis „Neuem Indien“ ist kein Platz für den defizitären Staatsflieger
Air India
Air India wird sich bald auf dem Markt behaupten müssen © CC BY-NC 2.0 Flickr.com Kamal Kumar

Indiens Ministerpräsident Narendra Modi reist mit großem Gefolge an. Sechs Minister und über einhundert Geschäftsleute werden den Regierungschef in der kommenden Woche auf seinem ersten Besuch des Weltwirtschaftsforums im Schweizer Davos begleiten. Es ist – so berichten die indischen Medien – eine Werbetour im erweiterten Sinne. Modi will ausländische Investoren ins Land locken; dafür wird er von einem „Neuen Indien“ schwärmen und geplante und vollendete Reformen hervorheben. Ganz oben auf dem Sprechzettel steht die heimische Luftfahrtindustrie. Neu Delhi will nun endlich ernst machen und die seit Jahren defizitäre Staatslinie Air India verkaufen – oder zumindest wesentliche Teile der Airline. Die Branche erlebt einen Boom; nur in den USA und China wachsen die Passagierzahlen schneller als in dem südasiatischen Schwellenland.

Für die Dynamik sorgen vor allem lokale Billiganbieter; mit Sonderangeboten, zuverlässigem Service und neuem Fluggerät locken sie immer mehr Kunden in die Flugzeuge. Zwischen Low-Cost-Carriern wie Indigo, SpiceJet und Jet Air herrscht ein erbitterter Wettbewerb, der am Ende vor allem den Passagieren zugute kommt.

In dem dynamischen Umfeld hat die staatliche Traditionslinie Air India keine Chance. Wären da nicht die schützende Hand der Regierung, Air India wäre längst abgestürzt – betriebswirtschaftlich. Die Zeiten, da die Traditionsgesellschaft als Aushängeschild für Land und Leute figurierte, sind lange vorbei.

Viele Inder haben wenig Sympathien für den Staatsbetrieb. In WhatsApp-Gruppen kursieren ätzende Witze, die die vielen Schwachpunkte der Airline aufs Korn nehmen. Air Indias Misere ist längst zu einem Politikum geworden – über einen Mangel an Publicity kann sich das Management nicht beklagen, allein die allermeisten Bezüge sind negativer Art. Erstaunen und Entsetzen löst immer wieder das Verhalten von Politikern aus, die die Flugzeuge fast als ihren Privatbesitz betrachten. Immer wieder kommt es im Zuge von Politiker-Reisen zu kurzfristig „von oben“ anberaumten Flugplanänderungen und Verzögerungen. 

Das staatlich geduldete Missmanagement hat einen hohen volkswirtschaftlichen Preis. Es sind die Zuschüsse des Fiskus, die das Unternehmen über Wasser halten und vor dem Aus schützen. Das soll nun ein Ende haben. Indiens Regierung hat beschlossen, das defizitäre Unternehmen zu privatisieren. Bis Ende des Jahres – so der Plan – soll Air India neue Eigentümer bekommen.

Noch kein Paradies für Investoren

Das reformerische Vorhaben gehört zu einem Paket der Regierung, das darauf abzielt, die Bedingungen für ausländische Investoren zu verbessern. Die angekündigten Liberalisierungen sind ein Baustein der von Ministerpräsident Narendra Modi betriebenen „Make in India“-Kampagne. Diese hat zum Ziel, Arbeitsplätze und Wohlstand in das südasiatische Schwellenland zu locken. Der durchschlagende Erfolg der Kampagne lässt auf sich warten. Von einem Paradies für ausländische Anleger ist Modis Indien weit entfernt, hört man aus Wirtschaftskreisen.

Auch die angekündigte Privatisierung des maroden Staatsunternehmens ist alles andere als radikal – und kommt eher halbherzig daher. Der Anteil des ausländischen Investors ist auf 49 Prozent beschränkt. Es ist nicht das erste Mal, dass die Air India-Privatisierung auf der Tagesordnung steht; die Reform scheiterte bislang aber immer wieder am politischen Widerstand der diversen Interessengruppen.

Um den Privatisierungsgegnern den Wind aus den Segeln zu nehmen, hat die Regierung das Vorhaben mit allerlei Auflagen und Einschränkungen verbunden. Nicht nur soll die 49 Prozent-Obergrenze für ausländisches Kapital verhindern, dass Nicht-Inder die Kontrolle übernehmen. Ausführlich zitiert die Wirtschaftspresse einen nicht näher genannten Regierungsvertreter mit den Worten, Neu Delhi werde darauf bestehen, dass auch das Management in indischer Hand bleibe.

In dem Verkaufsprospekt, den die Regierung im Schulterschluss mit einer renommierten internationalen Beratungsfirma erarbeitet, werden vor allem die Stärken des Unternehmens Erwähnung finden. Air India besitzt 140 Flugzeuge; der Marktanteil auf dem indischen Markt liegt bei internatonalen Routen bei 17 Prozent, im Inland bei 14 Prozent. Ein Pfund mit dem es sich wuchern lässt, ist die Mitgliedschaft in der Star Alliance, wobei sich viele Passagiere fragen, wie es dazu kommen konnte.

Länger als die Liste der Stärken dürfte bei potentiellen Investoren die Mängelliste ausfallen. Nicht untypisch für ein staatliches Unternehmen ist die Belegschaft auch bei Air India mit 20 000 Beschäftigten zu hoch, urteilen Branchenkenner. Doch der vermutlich größte Klotz am Bein ist wohl der Schuldenberg, den Air India über die Jahre angehäuft hat: Die Schulden sollen sich auf umgerechnet 8,5 Milliarden US Dollar belaufen. In Fachkreisen ist man sich einig, dass das Unternehmen nur schuldenfrei einen Käufer finden wird. Die Regierung plane, so  vermelden die Medien, die Gründung einer Objektgsellschaft, die die Altlasten übernehmen soll.

Unter diesen Voraussetzungen rechnet die Beratungsfirma CAPA (Center for Asia Pacific Aviation) mit vier bis sechs „seriösen“ Angeboten. Offiziell Interesse gezeigt hat bislang lediglich der indische Billigflieger Indigo. Nicht bestätigt ist das Interesse von Singapore Airlines und Qatar Airways, über das die Medien berichten.

Kein Thema für Lufthansa

„Für die Lufthansa Gruppe ist die Teilnahme am Bieterverfahren überhaupt kein Thema“, sagt Wolfgang Will, der die deutsche Airline in Indien vertritt, auf Nachfrage. Der Fokus liege derzeit auf der Konsolidierung in Europa, „da gibt es noch vieles zu verdauen“, so der Manager. Wie andere internationale Fluglinien freut sich auch Lufthansa über gute Geschäfte auf dem verkehrsgeographisch günstig gelegenen Subkontinent. „Indien ist ein attraktiver Markt, das Wachstum liegt im internationalen Luftverkehr bei zwischen acht und zehn Prozent“, sagt Will. Und weiter: „Eine neu aufgestellte Air India kann zu Glanz und Gloria wiederkehren.“

Das wünscht  sich auch der indische Regierungschef. Die Tageszeitung  „The Times of India“ verweist auf den größeren politischen Kontext, nennt das Vorhaben einen „Meilenstein in der Reorientierung der Rolle des Staates in der Wirtschaft“. Narendra Modi – so viel ist klar – macht Druck. Als Reformer vor drei Jahren angetreten hat seine Halbherzigkeit bei der wirtschaftspolitischen Liberalisierung bei vielen Zweifel an seinem Reformwillen aufkommen lassen. Viele der Zweifler werden in Davos im Publikum sitzen, wenn der indische Ministerpräsident seine Vision des „New India“ kommuniziert.

Dr. Ronald Meinardus leitet das Regionalbüro Südasien der Friedrich Naumann Stiftung für die Freiheit mit Sitz in Neu Delhi.