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Libanon – Eine junge Start-up-Szene im Aufwind

Teil 2 unserer Start-up-Serie MENA
Junge Gründer

Junge Gründer tauschen sich auf einer "Fuck Up Night" in Beirut aus

© Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit

Die libanesische Start-up-Szene ist noch relativ jung und dadurch klein. Es gibt keine genauen oder offiziellen Angaben darüber, wie viele Start-ups es insgesamt im Libanon gibt. Einem Insider zufolge sind nur ca. 200 Start-ups registriert. Allerdings hängt die Zahl natürlich stark davon ab, was man unter einem Start-up eigentlich versteht. Zählt man also alle Start-ups dazu, die sich im Moment noch in einem Accelerator und anderen Förderprogrammen wie dem Hult Prize befinden oder aus Hackathons entstanden sind, ohne offiziell registriert zu sein, sind es weit mehr. Bekannte Accelerator sind UK Lebanon Tech Hub, Speed Lebanon, AltCity bzw. Elevate Impact sowie smart ESA.

Hohe Kosten als Gründerbremse

Es gibt keine separate legale Struktur für ein Start-up im Unterschied zu einem normalen Unternehmen. Die Situation ist noch weitaus schwieriger für eine sogenannte Social Enterprise, also ein Unternehmen mit sozialem Mehrwert. Es wird im Libanon eigentlich nur zwischen Nichtregierungsorganisationen (NGO) auf der einen Seite und Unternehmen auf der anderen Seite unterschieden. Der Prozess für die Registrierung als Unternehmen dauert mindestens zwei Wochen. Dabei muss der Unternehmer ein Guthaben von 20.000 USD auf einem Bankkonto nachweisen können sowie mit 2.000 bis 3.000 USD Rechtskosten zum Beispiel für die Beschaffung von Dokumenten rechnen. Jeder libanesische Staatsbürger kann ein libanesisches Unternehmen eintragen lassen. Aufgrund der hohen Kosten wird jedoch mit der Registrierung oft erheblich länger gewartet als eigentlich nötig, obwohl der Prozess selbst nicht sehr lange dauern muss. Im Gegensatz dazu dauert es aber bis zu zwei Jahre und bedarf eines Trägervereins libanesischer Bürger, um eine NGO zu registrieren.

Auftrieb für eine Szene im Anfangsstadium

Die Start-up-Szene im Libanon hat sich in den letzten Jahren exponentiell vergrößert und verbessert, aber befindet sich trotzdem noch im Anfangsstadium. Aus diesem Grund ist es wichtig, Nachwuchstalente zu identifizieren und zu fördern. Die Banque du Liban, die libanesische Zentralbank, hat 2013 das Programm Circular 331 mit fast 650 Millionen USD ins Leben gerufen, um Investitionen in Start-ups zu unterstützen und der Szene Auftrieb zu verleihen. Durch dieses Programm wurde bereits eine Reihe von weiteren Programmen, Initiativen und Accelerator ins Leben gerufen und finanziert.

Talente entdecken

Junge Libanesen für die Start-up-Szene zu begeistern, passiert dabei vor allem durch Events an Schulen und Universitäten, über persönliche Kontakte oder Veranstaltungen, die auf Kanälen in den sozialen Medien beworben werden. Es gibt bisher keine (bekannte) TV Show wie Die Höhle des Löwen oder Shark Tank. Es gibt eine Anzahl von Hackathons zu verschiedenen Schwerpunkten und Accelerators, die Start-ups im Anfangsstadium unterstützen und dabei eine gute Arbeit machen. Es ist allerdings wichtig zu erwähnen, dass bei diesen Programmen oftmals Mentoren und Trainer eingeflogen werden müssen, da wenige im Libanon ansässig sind.

Besonders der Hult-Preis schafft es, die libanesischen Universitäten zu erreichen und Studierende von verschiedenen Disziplinen sowie auch außerhalb von Beirut für die Start-up-Szene zu begeistern. Neben der eindeutigen Dominanz und Vielfalt in der Hauptstadt Beirut gibt es zum Beispiel in Saida (südlich von Beirut) und Tripoli (nördlich von Beirut) auch eine wachsende Anzahl von Angeboten.

Investoren finden

Kapital für Start-ups ist durchaus vorhanden, zum Beispiel durch Venture-Capital-Unternehmen wie Berytech, IM Capital oder Middle East Venture Partners. Allerdings wird noch eher zögerlich und sehr risikosensitiv investiert. Nur einige wenige sehr erfolgreiche Start-ups haben es geschafft, das nötige Kapital zu sammeln, und haben durch ihren Erfolg wiederum Zugang zu mehr Kapital. Die erste Hürde auf der Suche nach Kapital ist deshalb noch schwierig zu überwinden. Allerdings ist die Szene ja noch am Anfang, dies kann sich schnell ändern. Dabei finden libanesische Start-ups oft auch in der Golfregion Zugang zu Kapital.

Infrastruktur und Inklusion als Herausforderungen

Am drängendsten sind Verbesserungen im Bereich Infrastruktur, also für Büroflächen sowie in der Qualität/Geschwindigkeit und den Preisen für Internetzugang. Auf der anderen Seite werden Nachwuchstalente benötigt, Möglichkeiten für Trainings sowie generell eine verbesserte Zusammenarbeit und Events, um gezielt die Community aufzubauen und zu vernetzen. Die finanziellen Kosten und legalen Hürden, die mit der Registrierung verbunden sind, sollten auch reduziert bzw. der Prozess für Start-ups vereinfacht werden.

Ein weiterer Ansatz wäre, Visabestimmungen zu lockern, um es für ausländische Experten einfacher zu machen, in den Libanon zu reisen und dort zu arbeiten. Dabei geht es nicht nur um Wissenstransfer, sondern vor allem auch darum, schnell und gezielt Fachkräftemangel auszugleichen, zum Beispiel im Bereich IT. Generell wäre es wichtig, ein Umfeld zu schaffen, in dem es einfacher ist, Ideen und Erfahrungen auszutauschen und zusammenzuarbeiten.

Wenn man sich ansieht, welche Unternehmer erfolgreich ein Start-up gegründet und registriert haben, fällt eine Tendenz auf: Es sind oft Libanesen aus der oberen Mittelklasse, die entweder die nötige finanzielle Unterstützung und/oder ein starkes privates Netzwerk haben, das ihnen hilft, sichtbar zu sein und die richtigen Unterstützer zu finden. Es muss also noch viel getan werden, um die Start-up-Szene im Libanon inklusiver zu gestalten und somit auch Nachwuchstalente aus anderen Einkommensschichten zu finden und zu mobilisieren.

Dirk Kunze leitet das Stiftungsbüro in Beirut.