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Wolfgang Kubicki über die wirklichen Gründe für das Scheitern der Jamaika-Verhandlungen
Kubicki

Wolfgang Kubicki, Stellvertretender Bundesvorsitzender der FDP

© Freie Demokratische Partei

Dieser Artikel ist zuerst erschienen im liberal-Magazin 01.2018.

Selten war so viel Unehrlichkeit im Spiel. Als die Delegation der Freien Demokraten in jener dramatischen Nacht vom 19. auf den 20. November des vergangenen Jahres die badenwürttembergische Landesvertretung verließ, ergoss sich ein großer Kübel moralingeschwängerter Geringschätzung und Verachtung über die gesamte Partei.

Dass die deutsche Sozialdemokratie mit dieser Entwicklung nicht sonderlich zufrieden war, war hierbei noch nachvollziehbar – denn sie hatte nun an einer Neudefinition ihrer staatpolitischen Verantwortung selbst schwer zu tragen. Dass aber Schwarze und Grüne sich ihrer gegenseitigen Zuneigung selbstvergewissernd in den Armen lagen und über die angeblich verantwortungsvergessenen Liberalen schimpften, war angesichts der Sondierungs-Dramaturgie eher überraschend. Nun war der gemeinsam vorgebrachte Vorwurf zu hören, eigentlich seien alle Beteiligten doch unmittelbar vor dem Abschluss der Gespräche gewesen.
Dies ist und war allerdings falsch. Denn hinter den bereits viel zitierten 237 eckigen Klammern steckten gewichtige Punkte, die nach über vier Wochen Sondierungen noch immer nicht ansatzweise einer Lösung nahe waren.

Den Freien Demokraten ist anschließend vorgeworfen worden, sie hätten doch zum Beispiel in einem ihrer Kernbereiche – bei der Vorratsdatenspeicherung – greifbare Fortschritte erzielt. Die von der Union angebotene Lösung war dann auch immerhin die anlassbezogene Speicherung. Allerdings wollte die Union so viele Anlässe schaffen, dass dies keinen bürgerrechtlichen Fortschritt gebracht hätte. Weiß man hierzu, dass wir derzeit überhaupt keine Vorratsdatenspeicherung haben, weil das Oberverwaltungsgericht Münster die von Union und SPD eingeführte Regelung für europarechtlich unzulässig erklärt hat, hätten wir also mit dem neuerlichen Unionsvorschlag tatsächlich einen datenschutzrechtlichen Rückschritt – der in alter CDU-Manier allerdings als Fortschritt verkauft werden sollte. Es war schon damals erstaunlich, dass die Grünen diesen Weg jubelnd als „bürgerrechtlichen Durchbruch“ mittragen wollten. Wir wollten das nicht.

Will man in die Regierung um des Regierens willen, oder versucht man politische Veränderungen aus der Opposition zu bewirken. Wir haben uns für die zweite Variante entschieden.

Stiftung für die Freiheit Wolfgang Kubicki
Wolfgang Kubicki

Der echte Wille zur Veränderung fehlte bei vielen Beteiligten

Die Abschaffung des Solidaritätszuschlags – der ja immer als zeitlich begrenzte Maßnahme propagiert wurde – war für die Freien Demokraten ebenfalls ein sogenannter „harter“ Punkt. Das war für alle Beteiligten nie ein Geheimnis. Wir wähnten in dieser Frage größere Teile der Union hinter uns. Nach Wochen des fruchtlosen Ringens war der letzte von den Freien Demokraten vorgebrachte Kompromiss, die Entlastung der Bürgerinnen und Bürger in Höhe von 20 Milliarden Euro durch den kommenden Finanzminister, mithilfe von wachstumsbedingten Steuermehreinnahmen einzutreiben. Ohne Steuererhöhungen selbstverständlich. Und gelänge das nicht, hätte der Minister die Torte im Gesicht. Die CSU wäre zu diesem Schritt bereit gewesen. Die Grünen und die CDU unter Angela Merkel nicht.

Am deutlichsten wurde die mangelnde Veränderungssehnsucht der CDU jedoch in der Frage des Bürokratieabbaus. Dass es seit vielen Jahrzehnten einen politischen Konsens in Deutschland gibt, über flüssige bürokratische Regelungen abzubauen, bedeutete zu meiner Überraschung jedoch nicht, dass alle politischen Entscheidungsträger hierzu auch tatsächlich bereit sind.
Und wir haben es an vielen Punkten versucht. Ob es um die Reduzierung der Dokumentationspflicht beim Mindestlohn ging, um Erleichterungen bei der Mietpreisbremse, um die Planungsbeschleunigung großer Bauvorhaben, um eine Reduzierung der Bauvorschriften oder um eine Flexibilisierung der Arbeitszeitverordnung: Am Ende lief es stets darauf hinaus, dass die Grünen eine bürokratische Verschärfung haben wollten und die Kanzlerin salomonisch wie positionslos erkannte: „Gut, dann bleibt es, wie es ist.“ Mir ist keine Forderung der CDU erinnerlich, für die sie in den Sondierungen beherzt gestritten hat.

Bei der Aufhebung des Kooperationsverbotes traten nicht nur die schwarzen Ministerpräsidenten Bouffier und Seehofer mächtig auf die Bremse. Auch der grüne Premier Kretschmann vertrat – entgegen der Parteilinie – die Vetofraktion. Wer gehofft hatte, im Bildungsbereich könnten wir zu greifbaren Fortschritten kommen, wurde vom schwarzgrünen Block enttäuscht. Wir wollten zwölf Milliarden Euro für die Digitalisierung der Schulen, die Grünen zwölf Milliarden für die energetische Sanierung von Gebäuden.

Es mangelte am gegenseiten Respekt

Irrsinnig und irrwitzig wurde die Diskussion jedoch bei der Energiepolitik. Dass die Freien Demokraten von den Ministerpräsidenten Haseloff und Laschet gebeten wurden, gegenüber der Kanzlerin nicht einzuknicken, um die Industriestandorte in der Lausitz und an der Ruhr zu schützen, war schon ziemlich bemerkenswert. Dass aber die Grünen zur Einhaltung der nationalen Klimaziele nicht nur bereit waren, den Wirtschaftsstandort Deutschland massiv zu gefährden, sondern dafür auch Atommeiler im benachbarten Ausland verstärkt in Anspruch zu nehmen, war für mich zugegebenermaßen vorher nicht vorstellbar.

Angela Merkel und Peter Altmaier erklärten zu diesem Zeitpunkt noch: Die nationalen Klimaziele seien definitiv bis 2020 einhaltbar. Wenige Wochen später hieß es aus den Verhandlungen zwischen Union und SPD dann: Die nationalen Klimaziele sind natürlich nicht bis 2020 einhaltbar. Wohl dem, der seine politischen Vorstellungen nach dem Wind ausrichtet.

Anders, als ich dies bei den erfolgreichen Jamaika-Verhandlungen in Kiel erlebt hatte, fehlte in Berlin der gegenseitige Respekt. Die Freien Demokraten haben sich während der Verhandlungen mit keiner Silbe negativ über die Gesprächspartner ausgelassen. Dies war auf der anderen Seite leider nicht so. Wenn mögliche Kooperationspartner als „unmenschlich“ bezeichnet werden, dann ist es schwer vorstellbar, dass es eine tragfähige Vertrauensbasis für vier Jahre geben kann.

Wenn man merkt, dass eine politische Veränderung in der Regierung nicht möglich wird, dann hat man die Wahl: Will man trotzdem in die Regierung um des Regierens willen, oder versucht man, politische Veränderungen wenigstens aus der Opposition heraus zu bewirken. Wir haben uns für die zweite Variante entschieden. Dass wir den Tisch verlassen haben, war keine Entscheidung von Christian Lindner, es war eine Entscheidung von uns allen. Denn anders als die CDU sind die Freien Demokraten nicht in die Bundestagswahl mit dem Ziel gegangen, Angela Merkel zur Kanzlerin zu wählen.

Wolfgang Kubicki ist stellvertretender Bundesvorsitzender der FDP. In dieser Funktion gehörte er zum engen Kreis derjenigen, die unmittelbar an den Sondierungsgesprächen zwischen CDU/CSU, Grünen und FDP beteiligt waren. Kubicki ist seit September 2017 Mitglied des Deutschen Bundestages, wo er das Amt des Bundestagsvizepräsidenten bekleidet.