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Eine eindeutige religiöse Pflicht zur „weiblichen Beschneidung“ gibt es nicht!

Die „Sisters in Islam“ setzen sich gegen die weibliche Genitalverstümmelung in Malaysia ein
Eine eindeutige religiöse Pflicht zur „weiblichen Beschneidung“ gibt es nicht!

Betende Frau in einer Moschee

© iStock/ 1001nights

Weibliche Genitalverstümmelung (Female Genital Mutilation/ Cutting - FGM/C) wird meist aufgrund religiösen Pflichtgefühls durchgeführt. In Malaysia erklärte das nationale Fachgremium für islamische Rechtsauslegungen im Jahr 2009 diese Praxis sogar für verbindlich. Die Organisation Sisters in Islam (SIS), ein langjähriger Kooperationspartner der Friedrich-Naumann-Stiftung in Malaysia, setzt sich insbesondere mit Aufklärung und Expertise zum islamischen Recht gegen FGM/C ein. Syarifatul Adibah arbeitet für die weltweit führende islamische Frauenrechtsorganisation und berichtet hier zur Situation in Malaysia. Sie stellt klar: Eine eindeutige Begründung und Herleitung für FGM/C aus dem islamischen Recht gibt es nicht!

1. Wo steht Malaysia beim Thema Genitalverstümmelung (Female Genital Mutilation/ Cutting, FGM/C) aktuell?

Im April 2009 veröffentlichte der zuständige Fatwa-Rat von Malaysia eine islamische Rechtsauslegung (Fatwa), die die Beschneidung für alle muslimischen Mädchen in Malaysia für verpflichtend erklärte. Hiernach müsse diese Prozedur an allen Frauen durchgeführt werden, solange sie keinen „Schaden“ (physisch und emotional) zufüge. Tatsächlich ist es aber so, dass die in Malaysia vor allem durchgeführten Beschneidungen - vom Typ I, II und IV - immer für die Mädchen schädlich sind.

Die Prävalenz für FGM/C unter muslimischen Frauen in Malaysia soll laut einer akademischen Studie von Dr. Maznah Dahlui von der medizinischen Fakultät der Universität Malaya und der Weltgesundheitsorganisation von 2011 bei 90,8% liegen. Vor der Fatwa von 2009 war keine Veränderungen in den Zahlen zur Prävalenz der weiblichen Beschneidung in Malaysia zu verzeichnen. Nun aber wir die Fatwa als Werkzeug genutzt, um Muslime dazu zu bewegen, FGM/C zu praktizieren und diese Praxis so in der Gesellschaft zu verankern.

Im Allgemeinen gibt es keinen öffentlichen Diskurs über FGM in Malaysia, da es keine öffentlichen Daten zu den negativen Folgen dieser Praxis gibt. 85% der muslimischen Mädchen werden von Ärzten in Privatkliniken meist ohne Komplikationen beschnitten.

2. Welche Herausforderungen bestehen beim Kampf gegen FGM/C?

Die Praxis von FGM basiert auf einem Hadith (Muslimische Erzählung, Bericht zu Handlungen des Propheten mit normativem Charakter, Anm. d. Red.), der von Abu Daud über Ummu Athiyyah erzählt wurde. Diese Frau nahm der Überlieferung nach die Beschneidung in Medina vor. Viele Wissenschaftler bezweifeln jedoch die Authentizität dieses Hadith und betrachteten es als schwache Rechtsquelle. Im Koran selbst findet sich kein einziger Vers über die weibliche Beschneidung. Zudem kam auch der zeitgenössische islamische Rechtsgelehrte Syaikh Muhammad Syaltut zu dem Ergebnis, dass die Beschneidung von Frauen keinen Bezug zu religiösen Quellen habe.

Einer Umfrage des Merdeka Center for Opinion Research zur Folge, neigen 90% der Jugendlichen in Malaysia zu religiösem Konservatismus. Eine Mehrheit unter ihnen würde die Verhängung  von Hadd-Bestrafungen (Religiöse Bestrafungen zum Schutz des Eigentums, der öffentlichen Sicherheit und der öffentlichen Moral, Anm. d. Red.) in Zukunft befürworten. Dieses Ergebnis gibt einen Hinweis auf die religiösen Ansichten der jüngeren Generationen und ihre kritiklose Akzeptanz von religiösen Interpretationen.

Eine eindeutige religiöse Pflicht zur „weiblichen Beschneidung“ gibt es nicht!

Die „Sisters in Islam“ (SIS) sind eine der wichtigsten Stimmen der islamischen Feminismusbewegung in Malaysia und weltweit.

© Sisters in Islam (SIS)

Laut den Untersuchungen von Dr. Maznah aus dem Jahr 2011 bestätigten 83,2% der Befragten, dass sie ihre Töchter hauptsächlich aus religiöser Verpflichtungen beschnitten hätten. Sie führen die Beschneidung durch, da die Praxis "wajib“ (obligatorisch, Anm. d. Red.) und "ein Symbol der Bekenntnis zur Religion" seien. Anderen Befragten war die Praxis dagegen nicht als zwingendes Ritual bekannt, sie führten es aber dennoch durch, da es nach ihnen zumindest als religiös „lobenswertes“ und als "in der malaiischen Kultur normal" empfunden wurde.

3. Was kann die internationale Gemeinschaft tun?

Anders als bei der männlichen Beschneidung, gibt es international sehr unterschiedliche Auffassungsweisen und Interpretationen zur weiblichen Beschneidung bzw. FGM/C. Während es zur männlichen Beschneidung in der islamischen Welt eine recht einheitliche Interpretation der religiösen Quellen gibt, die hier einen medizinischen Vorteil erkennt, gehen Verständnis und islamische Rechtsprechung FGM/C weit auseinander. So ist die Praxis in Ägypten nach der Interpretation der islamischen Rechtsexperten seit 2008 offiziell verboten. In Indonesien wird die Praxis hingegen als „lobenswert“ interpretiert. Darüber hinaus existiert FGM/C auch in Staaten, in denen die Praxis keine Tradition hat, wie etwa Marokko und Saudi-Arabien, da sie von Migranten mitgebracht wird.

Die WHO hat klargestellt, dass FGM/C, auch in seinen weniger invasiven Praktiken, eine Verletzung der Menschenrechte darstellt. Das Verfahren ist schädlich und hat keinen medizinischen oder gesundheitlichen Nutzen. Diese Praxis muss daher aufgegeben werden.

SIS begrüßt diese Bemühungen der internationalen Organisationen, die malaysische Regierung, das Gesundheitsministerium sowie die Abteilung für islamische Entwicklung dazu zu bewegen, FGM/C zu ächten und auch die Fatwa von 2009 aufzuheben. FGM/C darf nicht länger als religiöse Pflicht in Malaysia gelten!

Darüber hinaus gibt auch die Leitlinie des Gesundheitsministeriums zur Medikalisierung von FGM/C von 2010/2011 einen falschen Impuls. Die hierin nahegelegte medizinische Indizierung von FGM/C stellt einen Missbrauch der Stellung des Ministeriums als offizieller Gesundheitsbehörde dar und könnte die gesellschaftliche Akzeptanz von FGM/C weiter stärken.