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Eine Kolumne von Karl-Heinz Paqué

Wirtschaft
Sklerose des Staates

Veronika Grimm fordert mehr Mut beim Abbau von Bürokratie. Sie hat Recht, steht aber im Sachverständigenrat allein.
Veronika Grimm

Veronika Grimm

© picture alliance/dpa | Sebastian Gollnow

"Klempner des Staates"! So hat Patrick Welter den ehrwürdigen Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Lage (SVR) jüngst genannt - in einem treffenden Kommentar der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Der Hintergrund: Die Mehrheit des SVR hatte sich im neuesten Gutachten in seinen Empfehlungen zur wachstumsfördernden Entbürokratisierung auf mehr Effizienz in der Umsetzung von Gesetzen beschränkt - statt die Beseitigung von regulierenden Gesetzen zu fordern. Nur ein einziges heroisches Mitglied des Rates widersprach in einem Minderheitsvoitum: Veronika Grimm.

In einem jüngsten Interview mit der Neuen Zürcher Zeitung begründete sie prägnant, warum sie dies tat. Will man wirklich das Wirtschaftswachstum fördern, sei es eben nicht damit getan, so Grimm, mit marginalen Maßnahmen den Staat in seiner Funktionsweise ein wenig zu verbessern. Nein, der Staat müsse deutlich zurückgeschnitten werden - auf Kernaufgaben: mit Abschaffung von Regelwerken, die der unternehmerischen Freiheit abträglich sind und sie im Keim ersticken, mit Schaffung neuer Freiräume - auch mit dem immerwährenden "Restrisiko", dass dabei etwas Innovatives herauskommt, das von niemandem geplant war. So sieht eben der Kern der Marktwirtschaft aus. Ein sklerotischer Staat hat da nichts zu suchen.

Richtig so, diese Erkenntnis. Allerdings keineswegs neu: Schon vor mehr als 40 Jahren haben namhafte Volkswirte in Deutschland wie Herbert Giersch vor einer derartigen "Sklerose" gewarnt - damals allerdings mit Blick auf Europa, das gegenüber Reagans Amerika zurückzufallen drohte. Das Schlagwort hieß "Eurosklerose", und es ist aktueller denn je, wenn man sich die Lawinen der Regelungswut in Brüssel vor Augen führt, die vor allem von grüner und sozialdemokratischer Seite gerade aus Deutschland in den letzten Jahre angeschoben - und von konservativer und liberaler Seite nicht konsequent verhindert - wurden.

Es bedarf endlich einer radikalen Entfesselung. Andernfalls wird der derzeitig anlaufende Nachfrageschub durch Verschuldung in Preisinflation verpuffen und kein nachhaltiges Wachstum bewirken. Dies wäre ein Desaster. Darauf müssen marktwirtschaftlich gesonnene Ökonomen hinweisen, gerade auch der SVR als politische Speerspitze der Volkswirtschaftslehre. Veronika Grimm tut dies tapfer - als einzige des Gremiums.

Zugegeben, sie tritt damit einen anständigen Streit los, auch innerhalb der Wissenschaft, den Medien und der Politik. Aber wann, wenn nicht jetzt - nach Jahren der Stagnation der deutschen Wirtschaft - muss über den künftigen Kurs zwischen Staat und Markt hart gestritten werden, so wie in den späten vierziger Jahren zu Zeiten von Ludwig Erhard und in den frühen achtziger Jahren zu Zeiten von Otto Graf Lambsdorff? Damals ging es hoch her zwischen Wirtschaftsliberalen und Staatsinterventionisten. Und das war gut so, denn es kam dabei ein Schub an Reformen heraus, der Deutschland voranbrachte. Wir brauchen keine "Klempner des Staates" sondern kritische Vordenker. Nur weiter so, Veronika Grimm!