Foto 
  Karl-Heinz
 
  Paqué
Eine Kolumne von Karl-Heinz Paqué

Steuerschätzung
Kraftakt der Glaubwürdigkeit

Die Steuerschätzung fällt niedriger aus als erwartet. Trotzdem muss die Schuldenbremse eingehalten werden.
Christian Lindner, Bundesminister der Finanzen.

Christian Lindner, Bundesminister der Finanzen.

© picture alliance/dpa | Kay Nietfeld

Das Bundeskabinett steht vor einer neuen Herausforderung. Galt bisher das Einhalten der Schuldenbremse im Jahr 2024 schon als ambitioniertes Ziel, so ist es mit der Steuerschätzung noch anspruchsvoller geworden. Gegenüber den bisherigen Erwartungen wird es deutschlandweit 30 Mrd. Euro weniger in den Staatskassen geben, 13 Mrd. Euro davon zu Lasten des Bundes. Die bisherige Haushaltslücke, die Finanzminister Lindner ausgemacht hatte, lag bei etwa 20 Mrd. Euro. Nimmt man die Zahlen als bare Münze, steigt diese Lücke auf 33 Mrd. Euro an.

Kein Zweifel, das ist ein gewaltiger Betrag. Bedenkt man allerdings, dass sich die gesamten Steuereinnahmen auf über 960 Mrd. Euro summieren und der Bund mit immerhin 377 Mrd. Euro rechnen kann, so relativiert sich das Bild. Es geht dann um ein Sparvolumen bei der Aufstellung des Haushalts von 8,8 Prozent der Steuereinnahmen. Das muss möglich sein, zumal es politisch um nicht weniger geht als die Glaubwürdigkeit Deutschlands an den Kapitalmärkten, die wiederum enorme Bedeutung hat für das Vertrauen in den gesamten Euroraum. Wenn Deutschland nach Jahren der fiskalischen Großzügigkeit als Antwort auf die globale Corona- und dann die Energiekrise nicht in der Lage wäre, zur „schwarzen Null“ zurückzukehren, dann würde sich der Anker der Bonität und Stabilität des Euroraums lockern oder gar lösen – mit potenziell verheerenden Wirkungen auf den Finanzmärkten, von scharf steigenden Zinsen bis hin zu einer veritablen Finanzkrise. Die jüngsten Turbulenzen rund um die Silicon Valley Bank und Credit Suisse haben gezeigt, wie schnell dies gehen kann.

Auf der deutschen Ampel-Regierung lastet also eine große Verantwortung. Dies gilt umso mehr, als die Versuchung groß sein könnte, wegen des schwachen volkswirtschaftlichen Wachstums und der Rezessionsgefahren ein keynesianisches „Deficit Spending“ vom Staat zu fordern. Dies wäre der völlig falsche Weg, denn in Deutschland fehlt es nicht an Nachfrage – bei einer Inflation von noch immer über 7 Prozent und einer Arbeitslosenquote, die nach internationalen Maßstäben gemessen unter 3 Prozent liegt, bei massenhaft vorhandenen offenen Stellen und weithin beklagter Knappheit an Fachkräften. Was fehlt, das ist die nötige Flexibilität des Angebots, um die Aufgaben der Modernisierung und Transformation der deutschen Wirtschaft und Verwaltung offensiv anzugehen. Überall drohen Engpässe, überall kommen Großprojekte nicht voran – teils wegen übermäßiger Bürokratie und langen Genehmigungsverfahren, teils einfach wegen fehlender Arbeitskräfte.

Genau da liegt auch die Chance, im Bundeshaushalt die Einsparziele zu erreichen. Denn so manche Projektanmeldung der Ressorts erweist sich bei genauem Hinsehen als unrealistische Planung, wenn man die Angebotsbedingungen in der deutschen Wirtschaft zur Kenntnis nimmt. Besonders deutlich wird dies bei der Umstellung der Heizungen des riesigen Gebäudebestands in unserem Land, die Wirtschafts- und Energieminister Habeck avisiert. Handwerks- und Wirtschaftsverbände haben längst deutlich gemacht, dass dieses Jahrhundertprojekt viel länger brauchen wird, als wir derzeit annehmen, und deshalb auch die Subventionen dafür sehr viel langsamer als geplant abfließen werden. Möglicherweise wird das Projekt ohnehin zeitlich verschoben, weil die ministeriellen Vorbereitungen unzureichend sind. Ähnliches gilt für ambitionierte soziale Projekte wie die Kindergrundsicherung.

Wie es überhaupt an der Zeit ist, Prioritäten zu setzen. Eine Gesellschaft – und selbst eine wohlhabende wie die deutsche – kann nicht gleichzeitig den Sozialstaat massiv ausbauen, die Infrastruktur komplett erneuern und die ökologische Transformation durchführen, und zwar in kürzester Zeit. Dies gilt vor allem dann, wenn es sich um ein Hochsteuerland handelt, bei dem längst die Grenzen der Belastbarkeit von Haushalten und Unternehmen erreicht sind und die Inflation diese Belastung weiter zu erhöhen droht. Es ist deshalb auch vollkommen richtig, dass die Bundesregierung eine steuerliche Entlastung im Volumen von 34 Mrd. Euro gewährt hat – als Kompensation für die kalte Progression der schleichenden Preiserhöhungen. Auch dies ist eine Frage der Glaubwürdigkeit. Der Staat gibt Geld zurück, das ihm nicht zusteht.