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Trump: Wahlkampf wichtiger als Regieren

Für Präsident Donald Trump gibt es keinen Kippschalter zwischen Wahlkampf und Regieren, nicht einmal während einer Pandemie. Noch am Tag seines Amtsantritts im Januar 2017 reichte er die Papiere für seine Wiederwahlkampagne ein. Weniger als einen Monat später begann er wieder Wahlkampfkundgebungen abzuhalten. Kurz vor der ersten dieser Kundgebungen, im Februar 2017, sagte er zu Reportern an Bord der Air Force One: „Das Leben ist ein Wahlkampf, unser Land wieder großartig zu machen, ist ein Wahlkampf“. Und genau das ist es, was das Leben für Trump trotz der Coronavirus-Pandemie weiterhin ist: ein Wahlkampf, in dem die Erhaltung seiner Präsidentschaft Vorrang vor der Sicherheit seiner eigenen Bürger hat. Angesichts dieser Logik ist es keine große Überraschung, dass Trump zu Beginn der Pandemie zu den Zentren für Krankheitskontrolle und -prävention (CDC) in Atlanta, Georgia reiste und eine rote Kappe der Wiederwahlkampagne „Keep America Great“ trug. Es ist keine Überraschung, dass Trump seine täglichen Pressekonferenzen im Weißen Haus über die Pandemie als Ersatz für Wahlkamp-Kundgebungen sieht. Es ist auch keine Überraschung, dass Trump schädliche „Heilmittel“ für COVID-19 vermarktet. Durch das Verleumden seiner Gegner und das Vertreten von Verschwörungstheorien ist Trump trotz einer Pandemie, die mehr als 100.000 Amerikaner getötet und die US-Wirtschaft lahmgelegt hat, zu seinen kontroversesten politischen Taktiken zurückgekehrt. Obwohl die Pandemie verständlicherweise die Schlagzeilen beherrscht, haben die Bemühungen der Trump-Administration, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit in ihrem Sinne auszulegen, nicht nachgelassen. In den letzten Monaten hat sich Trumps Appetit auf Konflikte verstärkt, was auch seine Entschlossenheit zeigt, um jeden Preis den Weg für eine zweite Amtszeit zu ebnen, auch wenn dies das Ansehen der USA als globale Führungsmacht in Zeiten außergewöhnlicher Probleme schaden und schwächen könnte. Seit dem Ausbruch der Pandemie musste Trump grundlegende Änderungen an seiner Wahlkampfplanung vornehmen, da das Wachstums- und Wohlstandsthema, das als Grundlage seiner Kampagne dienen sollte, sich durch die Auswirkungen der Corona-Krise aufgelöst hat. Statt zu regieren, hat er weiterhin seinen traditionellen Wahlkampfstil benutzt, um das Problem herunterzuspielen, es zu leugnen und sich als die Person zu präsentieren, die die Probleme unkonventionell lösen kann. Aber die letzten Monate haben gezeigt, dass diese Taktik einfach nicht mehr funktioniert, wenn es der Regierung nicht gelingt, die Tausende von Todesfällen und Infektionen und die Millionen von arbeitslosen Amerikanern zu verhindern. Angesichts dieser neuen Realität, in der er die Pandemie nicht einfach mit einem Tweet wegwünschen kann, geht Trump in die Offensive und versucht, die öffentliche Aufmerksamkeit von ihm weg und auf andere Ziele, insbesondere seinen Rivalen Joe Biden, zu lenken. In der letzten Woche hat die Trump-Kampagne einen Sturm von negativen Wahlspots gegen Biden entfesselt, in denen Trump Bidens Integrität angreift. In vielerlei Hinsicht ähnelt Trumps Herangehensweise an die Wahlen von 2020 der Art und Weise, wie er den Wahlkampf 2016 gegen Hillary Clinton geführt hat, indem er ihre moralische Integrität angriff. Ein wichtiger Aspekt seines Wahlkampfes 2016 war auch, dass er sich als „Außenseiter“, der alles anders machen wird, gegen den Status quo stellte. Das Problem im Jahr 2020 ist, dass er dieses Etikett des „Außenseiters“ nicht mehr verwenden kann, weil er jetzt den Status quo repräsentiert. Innerhalb des politischen Kreises um Trump gibt es Zweifel daran, dass eine überwältigend negative Kampagne im Jahr 2020 erfolgreich sein kann, insbesondere, wenn viele Wähler in einem Krisenmoment, wie es ihn seit den 30er Jahren nicht gegeben hat, nach einer Kombination aus Optimismus, Einfühlungsvermögen und beständiger Führung suchen. Innerhalb der Biden-Kampagne hingegen geben die Trump-Angriffe Anlass zu Besorgnis, da sie den Ruf Bidens als eine Person untergraben könnten, die besser als der Präsident in der Lage ist, dem Land bei der Erholung von der Coronavirus-Pandemie zu helfen. Das Verhalten von Trump in den letzten Monaten hat auch die Demokraten weiter beunruhigt, die seit langem davor gewarnt haben, dass Trump bereit wäre, jeden Hebel der präsidialen Macht zu nutzen und selbst die skrupellosesten Wahlkampftaktiken einzusetzen, um eine zweite Amtszeit zu erreichen. Das Coronavirus hat das fehlgeleitete Vertrauen des Landes in die Fähigkeit seiner Regierung, mit einer Krise umzugehen, offenbart. Gleichzeitig hat es auch ein hartes Licht auf die Grenzen von Trumps Herangehensweise an die Präsidentschaft geworfen - seine Verachtung für Fakten und Wissenschaft. Trump hat andere Herausforderungen an seine Präsidentschaft - einschließlich Amtsenthebungsverfahren - überwunden, indem er die gegen ihn vorgebrachten Fakten energisch in Frage stellte und versuchte, das öffentliche Verständnis der Ereignisse mit alternativen Narrativen zu kontrollieren. Das Coronavirus ist die erste Krise, in der die Fakten so schmerzlich offensichtlich sind, dass sie seiner üblichen Taktik trotzen. Keine Wahlkampftheatralik kann eine Wirtschaft in tiefer Depression oder die Tausende von Amerikanern verbergen, die ihr Leben verloren haben wegen einer Bundesregierung, die sich der Verantwortung für die öffentliche Gesundheit entzieht und sich mehr auf den Wiederwahlkampf als auf das Regieren konzentriert. Ironischerweise wäre wahrscheinlich ein effektives Regieren während dieser Krise die ideale und möglicherweise sogar erfolgreichste Wahlkampftaktik für Donald Trump gewesen. Von Claus Gramckow und Johanna Rudorf